Gegner der DFB-Elf:Spottende Schotten

Darren Fletcher

Fernab der Aufmerksamkeit: Schottlands Darren Fletcher beim Aufwärmen.

(Foto: dpa)

Die schottische Fußball-Nationalmannschaft war stets auch ein Symbol für Unabhängigkeit des Landes. Vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland ist ihr diese Strahlkraft abhanden gekommen. Was bleibt, ist der Spott auf die Nachbarn mit den drei Löwen auf der Brust.

Von Raphael Honigstein, London

Am Freitag durfte der schottische Regierungschef und Separatisten- Anführer Alex Salmond als Gastchefredakteur des Daily Record fungieren, nachdem zuvor der Abspaltungsgegner Alistair Darling eine Ausgabe der auflagenstärksten Boulevardzeitung gestaltet hatte. Bis in den Sportteil reichte Salmonds Bestimmungsmacht allerdings nicht hinein.

Die Nationalmannschaft, lange Zeit der Fixpunkt des schottischen Nationalismus, tauchte in Gestalt von Trainer Gordon Strachan nur in Briefmarkengröße auf der Aufmacherseite auf; die großen Sportgeschichten drehten sich, wie gewohnt, um Celtic (Neuverpflichtung John Guidetti) und die Rangers (finanzielle Dauerkrise).

Die Probleme der Nationalelf verblassen

Die Tartan Army ist nur das drittwichtigste Team im Norden der Insel, wenn überhaupt. Selbst vor dem Auftakt in die durchaus aussichtsreiche EM-Qualifikation - "großartig" nannte der stets optimistische Strachan die Gruppenauslosung - richtet sich ein Großteil der Aufmerksamkeit auf die beiden Erzrivalen aus Glasgow, die auf unterschiedliche Weise schwerste Zeiten durchmachen.

Celtic, traditionell der Klub der Katholiken, scheiterte nach einer 0:1-Heimniederlage vor einer Woche gegen NK Maribor in der Champions-League-Qualifikation. In die Playoffs waren die Hoops überhaupt nur aufgrund eines Formfehlers von Legia Warschau gekommen. Die Polen hatten mit insgesamt 6:1-Toren gewonnen, im Rückspiel aber vier Minuten lang einen nicht spielberechtigten Profi eingesetzt.

Die Lokalrivalen Rangers sind nach ihrem Zwangsabstieg in die vierte Liga vor zwei Jahren mittlerweile in die zweite Liga aufgestiegen, doch der überwiegend protestantisch geprägte Klub kämpft weiter ums wirtschaftliche Überleben. Newcastle-United-Besitzer Mike Ashley hat, sehr zum Unmut der Fans, für die symbolische Summe von einem Pfund die Namensrechte am Ibrox-Stadion erworben und hält auch zehn Prozent der Aktien.

Der englische Milliardär darf den Klub aber nicht komplett übernehmen, das verbietet der schottische Verband. Im Moment ist unklar, ob die Rangers rechtzeitig jene fünf Millionen Euro aufbringen können, auf die ihre Gläubiger vehement pochen.

Gegen diese Glasgower Dramen verblassen naturgemäß die Probleme der Nationalmannschaft. Strachan muss im EM-Qualifikationsspiel am Sonntag in Dortmund gegen die Deutschen ohne eine Reihe wichtiger Abwehrspieler auskommen. Einen Punktgewinn gegen die Weltmeister traut dem Team auf der Insel jedoch sowieso kaum jemand zu; dementsprechend entspannt ist die Stimmung. "Ich habe keine Angst, dass wir vor Schreck erstarren", sagte Strachan.

Der schottische Fußball schrumpft und schrumpft

Der ehemalige Mittelfeldspieler und Torschütze bei Schottlands 1:2-Niederlage gegen Deutschland bei der WM 1986 hat oft einen knackigen Spruch parat, auf die Bitte eines TV-Reporters nach einem "schnellen Wort" antwortete er einst "Geschwindigkeit" und zog dann lachend von dannen. Am Sonntag wird es für sein Team in erster Linie darum gehen, den Schwung seiner ersten 17 Monate im Amt nicht gänzlich zu verlieren.

Das Match ist Schottlands letzter Auftritt vor dem Unabhängigkeitsreferendum am 18. September, doch das Thema spielt im Fußball eine auf den ersten Blick verblüffend kleine Rolle. "Als Schottland keine eigenständigen politischen Institutionen in Großbritannien, dafür aber eine starke Nationalelf hatte, in den Siebzigern und Achtzigern, war die Tartan Army ein Sammelbecken für nationalistische Ambitionen und Gefühle; ähnlich wie der FC Barcelona für die Katalanen", erklärt Buchautor ("The Rivals Game") und Labour-Politiker Douglas Beattie.

"Privatsache", sagt Andy Murray

"Da es nun aber einen formalen politischen Prozess mit Parteien und einem schottischen Parlament gibt, konnte sich der Sport von der Debatte mehr oder weniger frei machen." Nationalcoach Strachan hat zwar angedeutet, unter Umständen den Separatisten Salmond unterstützen zu wollen, doch sowohl Verband als auch Spieler halten sich bedeckt. Der frühere Manchester-United-Trainer Alex Ferguson hat sich öffentlich gegen die Unabhängigkeit positioniert; der im Juni verstorbene, frühere Verbandschef David Taylor dafür. Ansonsten: Stille. "Privatsache", sagt auch Tennis-Idol Andy Murray.

Man könnte anführen, dass die schottische Fußball-Unabhängigkeit (eigene Ligen, eigene Nationalelf) der politischen Sezession den Weg bereitet hat, aber rein sportlich hat sich in den vergangenen Jahren eher England von den Nachbarn aus dem Norden abgekapselt. Mit Fergusons Abschied ging die mehr als hundertjährige Ära großer schottischer Trainer in der Premier League vorbei, Stammspieler in den Spitzenvereinen stellen die Schotten schon seit Jahren nicht mehr.

Weder politische Unabhängigkeit noch der Verbleib im Königreich könnten an dieser der Globalisierung geschuldeten Verdrängung etwas ändern. Der schottische Fußball wird, da in den eigenen Grenzen isoliert, weiter kleiner werden. Was bleibt, ist nur der Spott für die Gott sei Dank beständig erfolglosen Männer mit den drei Löwen auf der Brust.

Er habe leider Deutschlands Spiel gegen Argentinien nicht verfolgt, sei dafür aber während Englands 1:0 gegen Norwegen sanft eingeschlummert, teilte Spielmacher Barry Bannan von Crystal Palace vor dem Abflug nach Deutschland mit.

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