40. Geburtstag von Ronaldo:Als der echte Ronaldo der Welt davonflitzte

Ronaldo

Ronaldo in Barcelona (hier gegen Real Madrid) - aus dieser Zeit stammt sein berühmtestes Tor gegen Compostela.

(Foto: Imago)

Seine Tore sind legendär, sein Kollaps vor dem WM-Finale 1998 auch. Der Brasilianer Ronaldo war der beste Stürmer der Welt - bis sein Körper nicht mehr wollte. Eine Ode zu seinem 40. Geburtstag.

Von Jonas Beckenkamp

Endlich ist der Zeitpunkt gekommen, um wieder über dieses Tor zu reden - das beste, schönste, aberwitzigste der 90er-Jahre. Es ist ein Weilchen her, es gab noch kein Twitter und selbst Youtube existierte höchstens in den Köpfen von IT-Nerds, deshalb hier ein kurzer Geschichtsexkurs: Fast 20 Jahre sind seit dem 12. Oktober 1996 vergangen, als ein gewisser Ronaldo lospflügte, als habe er am Zaubertrank von Miraculix genippt. Ronaldo Luís Nazário de Lima, der einzig wahre Ronaldo, fegte über die Sociedad Deportiva Compostela hinweg.

Er krallte sich den Ball hinter der Mittellinie gegen drei Mann, einer rempelte und zupfte noch, aber Ronaldo fiel nicht. Was dann passierte, ist Magie. Ronaldo hielt den Turboknopf gedrückt, er beschleunigte mit dem Ball am Fuß auf gefühlte 80 Stundenkilometer und jagte in seinem Barcelona-Trikot das Stadion entlang. Wer diesen Treffer nicht feiert, hat den Fußball nie geliebt. Mensch Ronaldo, alte Hundelunge, von welchem Planeten kamst du geflitzt?

Es muss ein Himmelskörper mit gewaltiger Fußballtradition sein - und bestimmt gratulieren die Marsianer an diesem Donnerstag auch recht herzlich: Der mittlerweile zum Erdenbürger mutierte Ronaldo wiegt zwar ein paar Kilo mehr als früher, aber das sollte seinen 40. Geburtstag nicht trüben. Während der portugiesische Ronaldo seine Muskeln wie ein Avatar gezüchtet hat, war das Original ein Naturschauspiel.

Der brasilianische Ronaldo hatte Fähigkeiten, die sich kein Mensch antrainieren kann: Er rannte schneller als der Ball, seine Schüsse glichen Torpedos und seine Instinkte führten ihn immer geradewegs vors Tor. Kurzum: Er war zu seiner Zeit der Idealtypus eines Stürmers - in einer Zeit mit mehr Räumen und weniger Boatengs in den gegnerischen Abwehrreihen als heute.

Was Ronaldo so besonders machte

"Il Fenomeno", so huldigten sie Ronaldo in Italien, galt als personifizierte Gegenthese zum Credo von Roberto Baggio. Der sagte einst: "Lasst den Ball laufen - er schwitzt nicht." Dabei müsste es in Wahrheit heißen: Lasst Ronaldo laufen und macht Platz, ihr Narren! Kurz nachdem er mit 17 Jahren beim PSV Eindhoven eingeschlagen hatte wie ein Asteroid, durfte 1994 auch Bayer Leverkusen erleben, wie dieser Vollgasdribbler aus der Vorstadt von Rio de Janeiro sein Tagwerk vollbringt.

Am Ende stand es 5:4, Ronaldo hatte drei Treffer erzielt und RTL-Reporter Norbert König konnte nur staunen: "Nicht zu stoppen. Rotzfrech, der Junge. Gewinnt fast jedes Duell und ist verdammt schnell." Rasend entwickelte sich auch Ronaldos Karriere, und zwar spätestens mit seinem Wechsel zu Barça für die heute geradezu niedlich anmutende Rekordsumme von 30 Millionen D-Mark. In Spanien schoss er in einem Jahr nicht nur jenes Tor gegen Compostela, sondern wettbewerbsübergreifend noch 46 weitere. "Er ist kein einzelner Fußballer, er ist eine ganze Büffelherde", fand selbst Real Madrids Trainerlegende Jorge Valdano.

Der Moment, als Ronaldo fast umkam

Nach dem Gewinn der Copa del Rey und des Pokalsieger-Cups konnte sich Ronaldo mit Barcelona nicht einigen - er zog weiter zu Inter Mailand, wo man mit ihm eine neue Supertruppe aufbauen wollte. Ablöse diesmal: 50 Millionen Mark. Natürlich schoss er auch im San Siro Tore, doch 1998 folgte im Finale der WM in Frankreich die schwerste Krise seiner Laufbahn. Wie später in einem Parlamentssauschuss ermittelt wurde, hatte der Volksheld Brasiliens sieben Stunden vor dem Anpfiff im Hotel einen krampfartigen Anfall erlitten. Er zuckte, röchelte, hatte Schaum vorm Mund. Warum, ist bis heute ungeklärt.

Was 1998 beim WM-Finale passierte

Mitspieler mussten ihn fixieren, der Teamarzt zog ihm die Zunge aus dem Hals. Dennoch landete der blasse Ronaldo 20 Minuten vor Spielbeginn auf Druck des damaligen Verbandschefs Ricardo Teixeira auf dem Aufstellungsbogen - es gab Riesenaufruhr in der Mannschaft. Ohne Aufwärmen begann die Seleção das Finale und ging 0:3 unter. Angeblich soll auch Sponsor Nike darauf bestanden haben, dass ihr Markengesicht spielen müsse. Während des gesamten Turniers war Ronaldo fit gespritzt worden, er hatte Probleme mit dem Knie - doch die Mechanismen des Geschäfts zwangen ihn in die Manege.

Auch die Themen Doping und illegale Absprache umwehen bis heute beide Teams dieses Endspiels. Zurück in Mailand setzten sich die gesundheitlichen Probleme fort. Immer wieder zwickte es Ronaldo in seinen Wunderbeinen, er fiel oft aus - als er sich 1999 und 2000 zweimal hintereinander schwer am Knie verletzte, schien seine Karriere in den Reha-Zentren dieser Welt jäh zu enden. Doch er berappelte sich nach elenden 17 Monaten Pause. Ein nationaler Titel blieb ihm in Italien trotz 49 Toren in 68 Spielen bis zu seinem Abschied versagt.

Dafür gewann er im dritten Versuch 2002 seinen zweiten WM-Titel: Japan und Südkorea erlebten den vielleicht besten Ronaldo überhaupt, denn er spielte nach ewiger Leidenszeit endlich wieder Fußball im Überschallmodus. Als alle Welt hinschaute, mutierte er zur dynamischsten Tormaschine des Planeten. Auch Oliver Kahn dürfte daran bleibende Erinnerungen haben.

Diese Weltmarke konnte sich Real Madrid nicht entgehen lassen, weshalb 45 Millionen (mittlerweile Euro) nach Mailand flossen. Präsident Florentino Perez baute um sein neuestes Präsent für den königlichen Hof die "Galaktischen" auf. Ronaldo fungierte zwischen Luis Figo, Zinedine Zidane und später auch David Beckham als Wuchtbrumme vorne drin - er traf so häufig, dass man mit dem Zählen kaum hinterher kam (83 Tore in 127 Partien).

Der Fußball veränderte sich, Ronaldo wurde alt

So gewann er 2003 und 2007 endlich seine ersten Meisterschaften im Vereinsfußball. Doch es blieben Makel: Immer wieder plagten ihn Wehwehchen, immer wieder scheiterte er in der Champions League - und immer mehr wölbte sich das Bäuchlein unter seinem Trikot. Ronaldo war wie viele Brasilianer rasch gealtert, und der Fußball wurde kleinteiliger, raumverengter, akademischer.

Während Pep Guardiola in Barcelona das Tiki Taka perfektionierte, erlosch Ronaldos Urgewalt schleichend. Über einen einjährigen Aufenthalt beim AC Milan (unter Trainer Carlo Ancelotti) führte ihn sein Weg zurück in die Heimat, wo er noch drei gemächliche Jahre bei Corinthians verbrachte und schließlich 2011 unter Tränen seinen Abschied bekannt gab.

Leider war sein anschließendes Wirken als Funktionär nicht annähernd so strahlend wie sein Fußballerleben. Als Chef des Organisationskomitees für die WM 2014 wirkte er farb- und herzlos, die Probleme Brasiliens schienen zu groß zu sein für einen einfachen Kerl wie ihn. Vor dem Turnier wurde zudem bekannt, dass Ronaldo sein eigenes Apartment während der WM für sechs Wochen an Sepp Blatter vermietete - für 1,5 Millionen Reais, umgerechnet 490 000 Euro. Wie vieles an seiner Karriere war auch das: ein aberwitziger Vorgang.

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