Gastgeber Polen bei EM ausgeschieden:Tschechien zerstört den polnischen Traum

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Fußball-Polen ist verloren: Nach einer 0:1-Niederlage scheidet der Co-Gastgeber ohne Sieg aus dem EM-Turnier aus. Der Druck im wichtigsten Fußballspiel seit 30 Jahren war zu groß, Trainer Smuda zieht offenbar sofort Konsequenzen. Tschechien dagegen qualifiziert sich als Gruppenerster fürs Viertelfinale.

Sebastian Gierke

Die Polen gelten nicht als besonders optimistisches Volk. Sie sprechen eher nicht über das schöne Wetter, sondern über die Wolken, die heranziehen. Doch vor dem Tag der Entscheidung, vor dem Alles-oder-nichts-Spiel des Co-Gastgebers, dem wichtigsten Fußballspiel seit 30 Jahren, setzten drei Viertel der Polen auf einen Sieg. Optimismus in Polen! An einem solchen Tag ist kein Platz für Schwarzseherei, lautete das Credo. Eine ganze Nation fieberte mit den "Bialo-Czerwoni", den Weiß-Roten.

Die Tschechen feiern, ganz Polen trauert: Der Co-Gastgeber ist ausgeschieden. (Foto: AFP)

Vor dem Spiel mussten die Polen keine großen Rechenspiele anstellen. Es war ganz einfach: Sie mussten das Spiel gegen die Tschechen gewinnen. Ein Unentschieden reichte nicht. Doch am Ende hatten sie nach einer schwachen Leistung 0:1 verloren. Der Traum wurde zum Trauma, der Pessimismus feierte ein grausames Comeback. Und der erste Gastgeber ist aus dem Turnier ausgeschieden. Tschechien dagegen hat sich nach dem Sieg Griechenlands gegen Russland als Gruppenerster für das Viertelfinale qualifiziert.

Der polnische Nationaltrainer Franciszek Smuda zog nach der Niederlage umgehend Konsequenzen: "Das ist zu einhundert Prozent das Ende meines Weges", erklärte er. Seinen Rücktritt reichte er aber offenbar nicht ein: "Ich muss meine Position nicht aufgeben. Mein Vertrag war nur gültig bis zum Ende der EM." Zum Spiel sagte er: "Wir wollten in der zweiten Halbzeit richtig angreifen. Darüber haben wir in der Pause gesprochen, es dann aber auf dem Feld nicht umgesetzt. Vielleicht waren meine Spieler übermotiviert."

Dabei hatte das Spiel gar nicht schlecht begonnen für die Polen. In den ersten Minuten konnte man spüren, um was es hier ging: das Wohl und Wehe der Nation, zumindest für den Sommer 2012. Österreich blieb 2008 als bislang einziger Gastgeber einer EM-Endrunde sieglos. Das wollten die Polen ihnen keinesfalls nachmachen.

Keine Nationalhymne ist deshalb bei dieser Europameisterschaft mit solchem Nachdruck gesungen worden, wie die polnische an diesem Abend in Breslau. "Noch ist Polen nicht verloren" intonierten 35.000 auf den Rängen - und die Elf auf dem Platz. Die legte im strömenden Regen auch gleich viel Nachdruck in ihre Offensivbemühungen. Es dauerte nur eine Minute und 26 Sekunden, bis der 80-Kilo-Mann Dariusz Dudak am Fünfmeterraum mit einem Fallrückzieher Gefahr für das Tor von Petr Cech heraufbeschwor.

Ein paar Minuten später spielte Jakub Blaszczykowski vor dem Strafraum quer auf Robert Lewandowski, dessen Schuss aus 16 Metern knapp am linken Pfosten vorbeistriff. Dann Blaszczykowski - Außennetz, Blaszczykowski - Cech, Lewandowski - Außennetz, Sebastian Boenisch - Cech. Im Minutentakt feuerten die Polen Schüsse in Richtung gegnerisches Tor ab. Sie waren zweikampfstärker, präsenter. Sie waren besser.

Ein Gewitter zog heran, Blitz und Donner über dem Stadion. Im Stadion zog ein fußballerisches Gewitter über die tschechische Mannschaft hinweg, der man den Ausfall von Tomas Rosicky in der ersten Hälfte deutlich anmerkte. Ohne ihn fehlten lange Ruhe und Übersicht, die Tschechen konnten sich in den ersten Minuten kaum aus der eigenen Hälfte befreien.

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Erst nach einer halben Stunde bekamen die Tschechen das Spiel in den Griff, schossen in der 39. Minute zum ersten Mal auf das Tor von Przemyslaw Tyton. Der 25-Jährige stand im Tor, nicht Wojciech Szczesny. Weil der polnische Trainer sich für den Volkshelden und nicht den Stammtorhüter entschieden hatte. Tyton hatte im Eröffnungsspiel gegen Griechenland nach der Roten Karte für Szczesny einen Elfmeter gehalten. Nun war die etatmäßige Nummer eins zwar wieder spielberechtigt - aber der Stammplatz weg.

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Und Tyton rückte jetzt immer mehr in den Mittelpunkt. Die Tschechen ließen den Ball laufen, die Polen hasteten hinterher. An der Außenlinie raufte sich Smuda das schüttere Haar. Er ist kein moderner Fußballlehrer. Computer mag er nicht, Statistiken auch nicht. Er vertraut auf seine Intuition. Manchmal verlässt er sich auf sein Glück. Doch an diesem Abend hatte das Glück die polnische Fußballnation verlassen.

Im Parallelspiel hatten die Griechen mit dem Pausenpfiff zur 1:0-Führung getroffen. Bei diesem Stand reichte ein Unentschieden für die Tschechen nicht mehr. Jetzt mussten auch sie gewinnen, jetzt mussten auch sie mehr für die Offensive tun. Ein Vorteil für die Polen? Würden sie jetzt mehr Platz bekommen?

Platz bekamen sie, aber sie nutzten ihn nicht. Schon im Spiel gegen Griechenland hatten die Polen nach gutem Beginn plötzlich aufgehört zu spielen. So geschah es auch in diesem Entscheidungsspiel: Der Schwung, der Mut der ersten Hälfte wich Unsicherheit und Verzagtheit. Es schien, als würde der Druck die polnischen Spieler nicht motivieren, sondern hemmen, als würden sie unter ihm zusammenbrechen. Sie versteckten sich jetzt auf dem Platz, wirkten ratlos, hatten keine Ideen. Auch die 35.000 Polen im Stadion wurden ruhiger, die tschechischen Fans waren deutlich zu vernehmen. Der polnische Pessimismus, er war zurück in Breslau.

Nach einem Freistoß hatte Tomas Sivok dann in der 65. Minute die große Chance für die Tschechen, er kam frei vor Tyton zum Kopfball, der polnische Torhüter reagierte großartig. Doch in der 78. Minute war auch er machtlos. Nach einem Fehlpass von Rafal Murawksi konterten sich Petr Jiracek und Milan Baroš durchs Mittelfeld, Jiracek war es, der kühl einschob. Ein polnischer Abwehrspieler war auf dem feuchten Rasen ausgeruscht - und ganz Fußball-Polen erstarrte.

Smuda reagierte sofort mit verzweifelten Auswechslungen. Das Glück einwechseln, das schien jetzt die einzige Möglichkeit. Doch die Zeit lief den Polen davon, sie konnten sich die Angst vor dem Versagen nicht mehr aus den Gliedern spielen. Zwei Kopfballchancen für Wasilewski und Lewandowski, das war´s. In Polen wollten sie für dieses eine Spiel die Wolken nicht sehen. Es kam ein Sturm, der am Ende alle Hoffnung hinwegfegte.

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