Gastgeber Niederlande:Die leisen Löwinnen

Die Niederländerinnen kämpfen noch damit, eine Euphorie für das Heimturnier zu entfachen. Das Thema Terror sparen sie inzwischen aus.

Von Frank Hellmann, Utrecht

Das Wahrzeichen von Utrecht, der 112 Meter hohe Turm des Doms, strahlt in orange - es wirkt so, als schauen alle Niederländer auf den Start der Frauenfußball-Europameisterschaft. Passenderweise eröffnet ja auch der Gastgeber in Utrecht. Die Niederländerinnen treffen am Sonntag auf Norwegen (18 Uhr/ ZDF). Das Stadion Galgenwaard mit seinen knapp 24 000 Plätzen ist ausverkauft. Natürlich rechnen alle damit, dass das Publikum sich komplett in orangefarbene Kluft hüllt.

"Wir können es gar nicht mehr abwarten, dass es endlich losgeht", sagte Mandy van den Berg am Samstag. Und dann erzählte die Kapitänin und Abwehrchefin mit strahlenden Augen, dass sogar ihr Elternhaus ganz in orange gehalten sei - außen wie innen. Dem Anlass entsprechend. Keine Frage: Die "Oranjevrouven" haben einiges vor. Sie nennen sich aber lieber "OranjeLeeuwinnen". Orange Löwinnen klingt besser.

Leider fehlen im historischen Zentrum von Utrecht zwischen Giebelhäusern und Grachten aber noch Hinweise auf die Veranstaltung. Auch die großen Tageszeitungen wie De Telegraaf oder Algemeen Dagblad üben sich vor dem ersten Anstoß in vornehmer Zurückhaltung. Und so wissen nicht alle in den Kultkneipen und Terrassencafés, um was es fortan genau geht. Eine EM oder WM? Immerhin: Es hat sich herumgesprochen, dass die Frauen spielen.

Die Niederlande baut auf ihren großen Nachwuchs

Das muss ja fast schon so sein, die Männer qualifizieren sich ja derzeit eher nicht für ein großes Turnier. Sie haben die EM 2016 in Frankreich verpasst und drohen die WM 2018 in Russland zu verspielen. "Wenn die Männer verlieren, ist immer das ganze Land verwirrt", sagte die 47 Jahre alte Nationaltrainerin und ehemalige Nationalspielerin Sarina Wiegman. "Aber wir wollen uns nicht vergleichen, wir schreiben unsere eigene Geschichte." Das niederländische Frauen-Team, das bei der EM vor vier Jahren in Schweden die Vorrunde nicht überstand - nach einem 0:0 zum Auftakt gegen Deutschland - hat genug damit zu tun, vor einer Rekordkulisse seine Leistung abzurufen.

Der Königliche Niederländische Fußball-Bund (KNVB) hätte die Aufbruchstimmung für den Frauenfußball verdient, den er mit nachhaltiger Förderung seit Jahren voranbringt. Mittlerweile spielen rund 155 000 Frauen und Mädchen in fast 4500 Vereinen Fußball, davon sind mehr als 90 000 unter 18 Jahre alt. Tendenz steigend. Die EM kommt also zum richtigen Zeitpunkt.

"Die Tatsache, dass das Turnier in den Niederlanden stattfindet, ist eine einmalige Gelegenheit. Wir versuchen, unserer Verantwortung gerecht zu werden", versprach Wiegman. Vor allem auf zwei Offensivspielerinnen mit Erfahrung aus der Frauen-Bundesliga stützen sich ihre Hoffnungen: Topstürmerin Vivianne Miedema, die am Samstag ihren 21. Geburtstag feierte, ihren Vertrag beim FC Bayern nicht verlängern wollte und zu Arsenal London gewechselt ist, hat ihre Begabung ausreichend nachgewiesen. Angreiferin Lieke Martens, 24, einst beim FCR Duisburg, geht bald für den FC Barcelona auf Torejagd. Mit dem EM-Finalisten Norwegen treffen die Gastgeberinnen gleich auf den härtesten Prüfstein der Gruppe. Danach geht es gegen Dänemark (20. Juli) und Nachbar Belgien (24. Juli) - auch diese Partien sind inzwischen ausverkauft.

Das Thema Terror sparen die Niederländer inzwischen aus

Was auch daran liegt, dass die Spiele in den kleineren Stadien stattfinden: Die größte Arena in den Niederlanden, die Amsterdam Arena, bleibt im Turnier außen vor. Wer das Endspiel erreicht, spielt am 6. August in Enschede im 30 000 Menschen fassenden Stadion des FC Twente. Die weiteren Austragungsorte neben Enschede und Utrecht sind Breda, Deventer, Doetinchem, Tilburg und Rotterdam, dort allerdings nicht das Stadion vom Großklub Feyenoord, sondern das 11 000 Zuschauer fassende von Sparta Rotterdam.

Kleine Stadien, kurze Wege, familiäre Atmosphäre - das ist das Motto. "Viel Herzblut", sagt DFB-Direktorin Heike Ullrich, hätten die Kollegen im Nachbarland in die Vorbereitung gesteckt. "Sie werden ein charmantes Turnier auf holländische Art organisieren." Dazu gehört auch der entspannte Umgang mit bedrohlichen Nachrichten. Da die niederländische Antiterrorbehörde (NCTV) für die sich aus einem IS-Chat abgeleitete Gefährdungslage rund um das Gruppenspiel England gegen Schottland am 19. Juli in Utrecht bereits leichte Entwarnung gab, wurde das Thema vorsichtshalber bei den Medienterminen einen Tag vor dem Eröffnungsspiel dieser Frauen-EM völlig ausgespart. Vielleicht auch ein starkes Zeichen.

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