Süddeutsche Zeitung

Quarterback Jimmy Garoppolo:Es passt einfach

  • Quarterback Jimmy Garoppolo sollte bei den New England Patriots der Nachfolger von Tom Brady werden.
  • Nun steht er nach einem 27:10-Erfolg gegen die Minnesota Vikings mit den San Francisco 49ers im Halbfinale der NFL-Playoffs.
  • Sein Stil ist nicht spektakulär, passt aber zu den Bedürfnissen der 49ers.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es ist nicht überliefert, was Bill Belichick von den Ereignissen der vergangenen Tage hält. Der Trainer der bereits gescheiterten New England Patriots ist ohnehin nicht bekannt dafür, über seine Gefühlswelt bereitwillig Auskunft zu geben, ein Knurren gilt bereits als Ausflippen. Es darf jedoch davon ausgegangen werden, dass er die Aussagen von Quarterback Tom Brady ("Ich habe noch was zu beweisen. Man kann aus Misserfolgen lernen, trotzig aufstehen und zurück ins Stadion gehen. Genau da werdet ihr mich finden.) und Vereinsbesitzer Robert Kraft ("Ich hoffe und bete, dass wir in Bradys Plänen eine Rolle spielen.") sowie den 27:10-Sieg der San Francisco 49ers im Playoff-Viertelfinale gegen die Minnesota Vikings mit einem miesmuffeligen Bud-Spencer-Grummeln hingenommen hat.

Beide Ereignisse haben auf den ersten Blick überhaupt nichts, bei näherer Betrachtung jedoch sehr viel miteinander zu tun. Belichick und Brady sind das erfolgreichste Trainer-Spielmacher-Gespann in der Geschichte der US-Footballliga NFL, sie haben gemeinsam sechs Titel gewonnen. Allerdings ist Brady mittlerweile 42 Jahre alt, er hat eine für seine Verhältnisse unfassbar schwache Saison hingelegt, die Zeit ist nun mal gegen jeden Sportler unbesiegt. Belichick, der vom Gedöns um Stars ungefähr so viel hält wie von Gefühlsausbrüchen, hatte bereits vor fünf Jahren den Spielmacher Jimmy Garoppolo als möglichen Nachfolger geholt - allerdings: Der spielt mittlerweile in San Francisco.

Belichick bekommt ein Was-wäre-wenn-Szenario präsentiert

Das liegt daran, dass der ehrgeizige Brady keine anderen Götter neben sich duldet. Es heißt, dass er den Transfer des höchstbegabten Garoppolo vor zwei Jahren (die Patriots bekamen dafür lediglich ein Zweitrunden-Wahlrecht bei der jährlichen Talentbörse) bei Eigentümer Kraft forciert haben soll, und es heißt auch, dass Belichick darauf reagiert hat, wie Bud Spencer reagiert, wenn ihm jemand Essen wegnimmt. Da hatte er sorgfältig die Zukunft geplant, doch was sollte er ausrichten gegen einen, den in Boston die meisten Einwohner für einen Gott halten?

Als die Patriots am vergangenen Wochenende überraschend im eigenen Stadion gegen die Tennessee Titans verloren hatten (die an diesem Samstag mit einem 27:10 bei den Baltimore Ravens verblüfften), pfiffen die Zuschauer sämtliche Spieler beim Verlassen des Stadions gnadenlos aus - außer Brady. Den bejubelten sie und forderten vehement die Fortsetzung der Karriere. Es dürfte so kommen, dass Brady bei den Patriots verlängert und dass Belichick mit dem Aufbau eines Nachfolgers weiter wird warten müssen. Es ist eine Abkehr vom so genannten "Patriots Way", bei dem sich niemand wichtiger nehmen darf als das Kollektiv.

In dieser Ausscheidungsrunde bekommt Belichick ein Was-wäre-wenn-Szenario präsentiert. Die 49ers standen bereits im Verdacht, die großen Verlierer dieses Tauschgeschäftes zu sein. Sie hatten ihrem neuen Spielmacher sogleich einen mit 137,5 Millionen Dollar vergüteten Fünf-Jahres-Vertrag gegeben, nach Jahresgehalt der damals bestdotierte Vertrag der Ligageschichte. Garoppolo riss sich jedoch erst das Kreuzband und fiel den Großteil der vergangenen Spielzeit aus, bei seiner Rückkehr in dieser Saison agierte er zwar erfolgreich (San Francisco gewann die ersten neun Partien), aber unspektakulär.

Kritiker motzten über den Vertrag und merkten an, dass für die zahlreichen Siege doch eher die stabile Defensive um Rookie-of-the-year-Kandidat Nick Bosa und Passverteidiger Richard Sherman sowie das Laufspiel mit gleich drei talentierten Running Backs (Raheem Mostert, Tevin Coleman und Matt Breida) verantwortlich seien - Garoppolo sei eher Verwalter denn Gestalter. Nur: Genau so einen hatten die 49ers gewollt, so wie sich die Patriots in den ersten Spielzeiten von Bradys Karriere auch auf Defensive und Laufspiel verlassen hatten. Sie brauchten für ihre Spielphilosophie keinen Quarterback, der regelmäßig dafür sorgt, dass Zuschauern der Unterkiefer nach unten klappt. Sie brauchten: Garoppolo.

Der führte San Francisco zu einer Bilanz von 13:3, das erste Playoff-Spiel als Stammspieler (er durfte bei den Patriots vor fünf Jahren mal kurz aufs Feld) war eine Zusammenfassung seiner Saison bislang: Er warf nur 19 Mal, elf Mal davon in die Hände der Mitspieler für Raumgewinn von gerade mal 131 Yards. Die spektakulärste Aktion war jene, als er bei einem Trickspielzug den Weg für Kollege Deebo Samuel freiblockte und dabei einen der besten Verteidiger der Liga, das 120-Kilo-Ungetüm Anthony Barr, auf den Hosenboden setzte.

"Hin und wieder sollte man sich selbst daran erinnern, dass man nicht nur Quarterback ist, sondern eben doch auch Footballspieler", sagte Garoppolo danach, und genau deshalb lieben ihn die Fans in Nordkalifornien: Er nimmt sich selbst nicht allzu wichtig, sondern setzt die Philosophie von Cheftrainer Kyle Shanahan mit einer Gelassenheit um, die bisweilen an 49ers-Legende Joe Montana erinnert. Sie mögen ihn, weil er solche Vergleiche lässig abtut ("Okay, wir stammen aus der gleichen Gegend, das ist aber derzeit auch schon die einzige Gemeinsamkeit.") und weil er nach Spielen wie dem am Samstag sagt: "Wir sind heute verdammt oft gelaufen, die Jungs an vorderster Front haben sich ihre Hintern aufgerissen. Das hat Spaß gemacht."

Es passt einfach bei den 49ers, die am kommenden Wochenende beim Halbfinale (der Gegner wird zwischen den Green Bay Packers und den Seattle Seahawks ermittelt) erneut Heimrecht haben werden. Sie haben ihren Kader penibel geplant, dass sie so spielen können, wie sie es derzeit tun, und dann haben sie einen Spielmacher geholt, der dazu passt. Sie dürften deshalb auch in den kommenden Jahren zu den Titelfavoriten gehören, womöglich klappt es schon in dieser Spielzeit mit dem Gewinn der Meisterschaft. Bill Belichick dürfte das alles mit einem mürrischen Knurren verfolgen.

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SZ vom 13.01.2020/chge
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