Garmisch-Partenkirchen:Der Sprung ist wieder weg

Die Frauen-Abfahrt in Garmisch-Partenkirchen sollte so spektakulär konstruiert werden wie selten - doch am Tag vor dem Rennen wird sie entschärft.

Von Gerald Kleffmann

Carina Stuffer steht im Zielraum, sie lehnt am Ganggitter, schnauft und unterhält sich mit ihrem Vater Hans, dem früheren Skirennfahrer aus Samerberg. "Heute lief's besser", sagt Carina Stuffer und meint den ersten Sprung. Die 19-Jährige, eines der Talente des Deutschen Skiverbandes, die im Europacup fahren, ist an diesem Wochenende auf der Kandahar in Garmisch-Partenkirchen als Vorläuferin im Einsatz. Am Donnerstag fuhr sie als Zweite über die Strecke, die diesmal mit zwei neuen anspruchsvollen Sprüngen, erbaut von den Verantwortlichen des Skiclubs Garmisch, bestückt wurde - und stürzte gleich oben beim ersten am Tröglhang. Ohne Schuld.

Im letzten Moment waren die Anfahrten zum Abflug verschärft worden, auf Wunsch des Renndirektors Atle Skaardal als Vertreter des Internationalen Skiverbandes FIS, einst auch Profi. "Plötzlich war ein Kick drin wie beim Freestyle", schildert Stuffer, "mit einer Nase nach oben." Es hebelte sie aus, der Unfall endete glimpflich, zumindest für sie. Dafür war dieser Moment der Beginn einer tiefergehenden Debatte um die Sprünge - sowie um die Frage, wie anspruchsvoll Frauenabfahrten im Weltcup sein sollten.

**BESTPIX** Audi FIS Alpine Ski World Cup - Men's and Women's Super G

„Sprünge gehören auf jeden Fall dazu, ich liebe Sprünge“, sagt Tina Weirather, die Spitzenfahrerin aus Liechtenstein und Athletensprecherin der Kolleginnen. Doch diesmal wurde die Grenze des zumutbaren Risikos überschritten.

(Foto: Matthias Hangst/Getty Images)

Daran änderte wenig, dass aufgrund der Wetterprognosen die beiden Wettbewerbe getauscht wurden. An diesem Samstag findet ab 10 Uhr der Super-G statt, am Sonntag (11.30 Uhr) folgt die Abfahrt. Einig sind sich die meisten, dass die Abfahrt die Bezeichnung Klassiker verdient. "Ich bin noch nie auf so einer guten Piste gefahren", sagt Kira Weidle, die neue deutsche Speed-Größe, die sich an die Weltspitze herantastet. Der Untergrund ist zwar eine Nuance härter, fehlerbestrafender, weil die Frauen anders als sonst ihr Weltcup-Wochenende vor dem der Männer erhalten und für die Männer bereits mitpräpariert wurde. Aber das kommt an. "Es ist eine der schwierigsten Abfahrten", findet Weidle, "es ist alles drin." Inzwischen muss man allerdings sagen: fast alles.

Die zwei neuen Sprünge sollten eine zusätzliche Besonderheit bieten, zur Wochenmitte schien die Architektur der künstlich geschaffenen Erhebungen aufzugehen. Stabile 20, 30 Meter flogen die ersten Fahrerinnen, die am Tröglhang über die Stelle fuhren. Auch der Sprung, zur WM 2011 Seilbahnstadlsprung getauft, wirkte belebend und vertretbar. "Das alles war absolut in Ordnung", sagt Stuffer. "Sprünge gehören auf jeden Fall dazu, ich liebe Sprünge", sagt Tina Weirather, die Spitzenfahrerin aus Liechtenstein und Athletensprecherin der Kolleginnen. Doch dann kam Skaardal und verschlimmbesserte die Architektur. Er wollte spektakulärere Sprünge erwirken, mit der Folge: Die Grenze des zumutbaren Risikos wurde überschritten. In Zeiten zunehmender Verletzungen aller Art im Skikosmos erwies der Norweger den Fahrerinnen einen gegensätzlichen Dienst.

Zunächst ließ er die Kante weiter anheben. Somit entstand ein tieferer Anfahrradius aus einer Senke, deren Katapult-Effekt verstärkt wurde, als die Fahrerinnen bei der Besichtigung auf die Sprungkante am Tröglhang zurutschten und Schnee nach vorne pressten. "Problematisch beim ersten Sprung ist, dass es wieder ein bisschen bergauf geht - wie auf einer Skisprungschanze", berichtete Ramona Siebenhofer; die Österreicherin reiste mit der Empfehlung zweier Abfahrten in Cortina d'Ampezzo an. "Dann bekommt man einen Rebound, kommt in Rückenlage und kann nichts tun in der Luft." Die Schweizerin Jasmine Flury befand: "Wenn man den mit Tempo nimmt, kann der sehr gefährlich sein." Unverblümt gingen Cornelia Hütter und Weirather mit der FIS-Rennleitung ins Gericht. "Ich finde, es ist nicht tragbar, dass die Ersten von uns die Testpersonen sind", sagte die Österreicherin. "Es gibt Testläufe am Vortag, da müsste man sehen, dass gewisse Passagen so nicht fahrbar sind. Darum finde ich es eine Gemeingefährdung gegen die Ersten, die darauf vertrauen, dass alles passt, und dann ist es nicht so." Weirathers Kritik zielte auf Skaardal. "Das war fahrlässig", sagte sie nach ihrem zweiten Trainingslauf am Freitag, "er hat zu wenig hingeschaut."

Es klang etwas Genugtuung in ihrer Stimme, als sie berichtete, Skaardal habe sich bei den Fahrerinnen entschuldigt. "Wenn einer einen Bock zugibt, bin ich die erste, die sagt: Schwamm drüber." Begeistert schaute sie dennoch nicht. Verständlich. Nachdem man der Welt zwei taugliche Sprünge bieten wollte, wurde daraus ein vor allem oben unzumutbarer Sprung - nun wurden beide entschärft. "Der Sprung ist weg", sagte Weirather. Sie will sich weiter dafür einsetzen, dass dieses Element öfter vorkommt in Abfahrten. Es brauche nur eine klare Absprungkante sowie Anfahrten und Landungen im richtigen Winkel.

Beim SC Garmisch war man im ersten Augenblick durchaus enttäuscht, man hatte sich das so schön gedacht. Namen sollten die Sprünge erhalten, etwa Maria- oder Kati-Jump, benannt nach Maria Höfl-Riesch oder Katja Seizinger, den früher so erfolgreichen deutschen Fahrerinnen. "No-Jump", frotzelte jemand im Zielraum, so könne man den oberen Sprung nun ja nennen. "Es ist schade, dass es mit den Sprüngen, so wie wir sie ursprünglich konzipiert hatten, nicht geklappt hat", sagte Rennleiterin Stefanie Wild. "In der Form wären sie eine Bereicherung für den Frauenrennsport gewesen." Am Freitag resümierte sie aber versöhnlich: "Die Damen waren heute mit dem Trainingslauf höchst zufrieden. Das verheißt doch jetzt Gutes für die Abfahrt am Sonntag."

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