Genauso schön dürfte sich Gareth Bale als Kapitän des walisischen Nationalteams die Qualifikation für eine Weltmeisterschaft vorgestellt haben. Jubelnd stand er auf dem Siegerfoto, links und rechts eingerahmt von Mitspielern und Mitarbeitern aus dem Trainer- und Betreuerstab. Vor ihnen prangte auf dem Platz ein Plakat mit der in Landessprache verfassten Aufschrift "Diolch i'r Wal Goch", ein Dankeschön an die rote Wand! Damit waren die Landsleute im mit 32 660 Zuschauern vollgepackten Cardiff City Stadium gemeint, die für eine feurige Atmosphäre gesorgt hatten.
Nach Spielende schmetterten die Fans gemeinsam mit den Akteuren und dem altgedienten Volkssänger Dafydd Iwan - ein überzeugter Nationalist, der sich für die Unabhängigkeit seines Landes einsetzt - dessen Ballade "Yma o Hyd". Übersetzt heißt das 39 Jahre währende Stück: Immer noch hier! Insgesamt 19 Mal wiederholt sich der Slogan in viereinhalb Liedminuten; häufiger, nämlich 23 Mal, wird darin nur besungen, dass Wales "trotz allem und allen" noch existiert.
Die patriotischen Lyrics könnten in ähnlichem Stil auch auf die walisische Nationalelf übertragen werden, die irgendwie ebenfalls weiter da ist. Gerade vielleicht sogar mehr denn je, obwohl sie seit dem Jahr 1958 eigentlich durchgehend weg war. So lange ist es her, dass sich das kleine alte Wales mit rund drei Millionen Einwohnern für eine WM qualifizieren konnte. Damals scheiterte die Nation im Viertelfinale an Brasilien, das Siegtor erzielte ein gewisser 17-Jähriger namens Pelé. Nun sicherte sich das Land am Sonntag zum zweiten Mal in der Historie durch ein erzittertes 1:0 über die Ukraine die Teilnahme an einem Weltturnier. Bei der im November beginnenden Wüsten-WM in Katar wird Wales die Gruppe B komplettieren, in die bereits die USA, der Iran und Nachbar England gelost wurden. Das innerbritische Duell dürfte zu einem der Vorrundenhighlights des Wettbewerbs werden.
In Madrid werfen sie Bale vor, lieber für Wales und Golf zu spielen
Zurückzuführen ist dieser Coup der Waliser besonders auf Ausnahmekönner Bale, der gemäß der Iwan-Hymne ebenfalls immer noch als Fußballprofi zugegen ist. Das muss dieser Tage durchaus betont werden, weil der bei seinem Arbeitgeber Real Madrid in Ungnade gefallene Bale, dessen Vertrag dort Ende Juni ausläuft, in der zurückliegenden Saison auf bloß sieben Pflichtspieleinsätze gekommen war. Dem Angreifer wird vorgeworfen, die Nationalelf (und das Golfspielen) stets über sein Engagement im Klub gestellt zu haben. Die ihm im Zerwürfnis gegenüber stehenden Madrilenen würden wahrscheinlich anmerken, der verletzungsanfällige Bale, 32, könne gerade wegen seiner geringen Auslastung im Verein für Wales noch eine tragende Rolle einnehmen. Jedenfalls gelingt es ihm stets für sein Land rechtzeitig in Form zu kommen - wie sich erneut im Duell mit den Ukrainern zeigte.
Obschon Bale seit seinem Doppelpack gegen Österreich im Playoff-Halbfinale im März (2:1) lediglich 20 Pflichtspielminuten absolvierte, diktierte er im Duell mit den Ukrainern fast jede Offensivszene seiner Elf. Als Wales in der 34. Minute einen Freistoß in halblinker Position zugesprochen bekam (Torentfernung 23 Meter), richteten sich alle Augen auf Bale, den Rekordtorschützen seiner Nation. Die Anhänger jubelten bereits bei seinem Anlauf, weil die Standardsituation an seinen kürzlich gegen Österreich direkt verwandelten Versuch erinnerte.
Bale spricht vom "Spiel meines Lebens"
Diesmal setzte Bale aufgrund des ungünstigen Winkels darauf, seine halbhoch in den Strafraum geschleuderte Flanke würde abgefälscht werden. Und tatsächlich kam es wie erhofft: Zwar lenkte kein Mitspieler, dafür aber Ukraine-Kapitän Andrij Jarmolenko den Ball unfreiwillig per Kopf zum Siegtreffer für Wales ab. Ja, gab Bale hinterher zu, dies sei "das Spiel meines Lebens" gewesen und zugleich "der größte Erfolg" des walisischen Fußballs. Seine erstmalige WM-Teilnahme sei der einzig fehlende "Mosaikstein" in seiner Karriere gewesen, ein Traum, den er seit seinem Debüt im Mai 2006 verfolgt hätte. Die Umsetzung des Ziels mache ihn "sprachlos", seine Gefühle würden sich "nicht mit Worten" beschreiben lassen. Das Massenblatt Sun titelte in Anspielung auf seinen Namen: "Incredi-Bale" - Unglaublich!
Neben seinen fünf Champions-League-Titeln, die er mit Real Madrid in neun Jahren gewann, ist ihm nun mit der geglückten WM-Mission gelungen, woran sich ähnlich hoch dekorierte Landsleute wie Ryan Giggs, Ian Rush, Dean Saunders oder Mark Hughes die Zähne ausbissen. Nach Abpfiff rannte der zuvor ausgewechselte Bale ziellos aufs Spielfeld, entledigte sich während seines Sprints der Jacke und warf sich dann auf seinen langjährigen Mitspieler Aaron Ramsey. Die beiden, fast gleich alt, führen ihr als Wundergeneration gepriesenes Team an, mit dem sie bei der EM 2016 sensationell das Halbfinale erreichten. Kurz vor dem 70. Thronjubiläum der Königin Elizabeth an diesem Wochenende wurde Bale für seine Verdienste mit einem Ritterorden geehrt.
Die Aussicht auf die WM 2022 hat Bale angeblich davon abgehalten, über ein vorzeitiges Karriereende zu sinnieren. Bei einer Niederlage gegen die Ukraine hätte die Partie durchaus das letzte Pflichtspiel für Bale sein können. So kündigte er an, in jedem Fall eine Saison dranzuhängen. Er werde seinen Abschied "ein bisschen" verschieben, witzelte Bale und kokettierte, schon eine "Vielzahl an Angeboten" zu besitzen. Spekuliert wird auch über eine Rückkehr in seine Geburtsstadt Cardiff, der ortsansässige Klub Cardiff City spielt in Englands zweitklassiger Championship. Für welchen Verein auch immer sich Bale letztlich entscheiden wird (sofern überhaupt), dürfte sein Engagement ganz im Zeichen der WM stehen - dem krönenden Abschluss seiner Karriere.