Süddeutsche Zeitung

Garcia-Report:Geldflüsse aufs Konto einer Zehnjährigen

  • Nach zweieinhalb Jahren veröffentlicht die Fifa den Garcia-Report zur WM-Vergabe 2018 und 2022.
  • Der Report enthält viele Indizien gegen Katar, aber kaum Vorwürfe gegen Russland - allerdings waren im Falle Russlands nur sehr begrenzt Informationen verfügbar.
  • Bemerkenswert umfänglich ist das Kapitel zu Franz Beckenbauer.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Als Michael Garcia Ende 2014 die Fußball-Bühne verließ, war er wütend und enttäuscht. Ein Unding sei es, wie der Weltverband mit seinem Report zu den umstrittenen WM-Vergaben an Russland (2018) und Katar (2022) umgehe. Seine Rolle in dem Prozess sei beendet, zürnte er vor zweieinhalb Jahren, und die Kultur der Fifa halt nicht zu ändern. Er ging und hinterließ das Rätsel, was nun genau drinsteht in dem 430 Seiten starken Dossier. Dieses Rätsel ist keines mehr. Dienstagabend veröffentlichte der Fußball-Weltverband Fifa überraschend den Report. Und zusammenfassend lässt sich festhalten: Garcia trug doch eher dick auf, als er mit Türenknall die Bühne verließ.

Zwar sammelte er viele interessante und entlarvende Fakten, vor allem über die Vergabe an Katar und das obstruktive Verhalten mancher Funktionäre. Daraus ergibt sich fürwahr ein vernichtendes Sittengemälde der damaligen Fifa-Zeit; auch verstießen nahezu alle Bewerber für 2018 und 2022 gegen Regeln. Aber wirklich revolutionäre neue Erkenntnisse oder Beweise beinhaltet der Report nicht. Sehr oft verweist er selbst bei Fakten auf Medienveröffentlichungen.

Garcia hatte 2012 als Chef der ermittelnden Ethikkammer nach hartnäckigen Korruptionsvorwürfen zu der Ende 2010 erfolgten Doppelvergabe an Russland und Katar mit seiner Arbeit begonnen. Er untersuchte die Arbeit von sieben Verbänden, die sich für eines der Turniere beworben hatten; lediglich Russland und die USA prüfte Stellvertreter Cornel Borbély.

Der Report dokumentiert mysteriöse Geldflüsse - etwa nach Angola

Nach zwei Jahren beendete Garcia die Arbeit. Jedoch lehnte die Fifa-Spitze eine Publikation ab. Stattdessen gab es eine kurze Zusammenfassung des Berichts durch den Münchner Richter Hans-Joachim Eckert, damals Chef der Ethik-Spruchkammer. Garcia trat empört zurück, das Dossier ging an die Berner Bundesanwaltschaft. Seitdem weigerte sich die Fifa, es zu veröffentlichten. Am Montag berichtete dann Bild über Inhalte des Reports. Daraufhin erklärte sich die Fifa-Spitze für unter Druck gesetzt - und publizierte ihn.

Dabei hieß es, der neue Fifa-Boss Gianni Infantino sei schon lang für die Veröffentlichung, was er öffentlich so jedoch nie gesagt hatte. Allein die im Mai geschassten Ethik-Chefs Borbély und Eckert hätten das verhindert, deren Nachfolger die Publikation nun ermöglicht. Die beiden wiesen gestern Abend darauf hin, dass der Fifa-Vorstand 2014 verfügt habe, dass nur Chefrichter Eckert über die Offenlegung des Berichts "befinden soll, sobald alle Verfahren (...) beendet sind. Dies ist bislang nicht der Fall." Auch habe sich Infantino "bis heute nie wegen einer Veröffentlichung an uns gewandt".

Die nun veröffentlichten Erkenntnisse vertiefen die ohnehin zahlreichen Fragwürdigkeiten und Unregelmäßigkeiten vor allem der Katar-Bewerbung. Viele Beispiele sind aber schon bekannt. So dokumentiert der Report diverse mysteriöse Geldflüsse etwa an den angolanischen Verband oder aufs Konto der damals zehnjährigen Tochter von Brasiliens Top-Funktionär Ricardo Teixeira. Darüber wurde schon vor Jahren berichtet. Wie auch über die Unterstützung von Katars staatlicher Aspire Academy, die just in Ländern, in denen Fifa-Vorstandsmitglieder saßen, besonders üppig ausfiel. "Diese Aktionen führten aber dazu, dass die Integrität des Bieterverfahrens untergraben wurden", schreibt Garcia.

Bemerkenswert ist, dass auch das unmittelbare Umfeld des langjährigen und inzwischen gesperrten Fifa-Patrons Sepp Blatter betroffen war - in Person seiner langjährigen privaten Vertrauten und Kabinettschefin Christine Botta. Deren Gatte ist Chef einer Bauentwicklungsfirma, die viel von Fifa-Aufträgen profitiert hatte; auch an der Zürcher Verbandszentrale war sie beteiligt. Botta soll für die Geschäfte ihres Mannes bei Katar geworben haben.

An Russlands Bewerbung haben die Ermittler hingegen wenig auszusetzen. Zwar dokumentieren sie diverse Geschenke und Annehmlichkeiten wie Ballettbesuche - oder auch, dass Franz Beckenbauer nur eineinhalb Jahre nach der Abstimmung als Botschafter der Russian Gas Society anheuerte. Aber sie monieren es kaum. In der Zusammenfassung blieb der einzige Kritikpunkt, dass Russlands Bewerber nur partiell die Regeln einhielten, die für die Kontakte mit Fifa-Vorständen gelten.

Die Zurückhaltung hatte wohl einen Grund: Es waren nur sehr begrenzt Informationen verfügbar. Russlands Bewerber hatten ihre Computer geleast und später zerstört, so behaupteten sie. Der Mailverkehr sei über gmail-Adressen gelaufen, doch habe Google auf den Antrag, auf diese Daten zurückzugreifen, nicht geantwortet.

Neben den Einschätzungen zu den WM-Werbern bietet der Report einen enormen Fundus an Fehlverhalten einzelner Personen, insbesondere Exekutivmitgliedern, denen es um den "persönlichen Nutzen" gegangen sei. Auch hier sind jedoch viele Aspekte bekannt. So forderte Garcia Ethikverfahren gegen neun Vorständler. Bemerkenswert umfänglich ist das Kapitel zum damaligen deutschen Exekutivmitglied Franz Beckenbauer. Der war schon während Garcias Ermittlungen 2014 zu einem 90-tägigen Fußball-Bann verurteilt worden, weil er nicht kooperiert hatte. Beckenbauer beklagte damals, ihm seien die Fragen in Juristen-Englisch vorgelegt worden.

Nun merkt der Report sarkastisch an, Englisch sei laut Beckenbauers Fifa-Biografie eine Sprache, die er spreche. Zudem legt Garcia dar, er habe die Fragen auch ins Deutsche übersetzt. Indigniert vermerkten die Ermittler damals, dass sich auf den Fragenkatalog an Beckenbauer nur dessen Vertrauter Fedor Radmann meldete, unter anderem um eine gemeinsame Aussage vorzuschlagen. Dabei war Radmann selbst ein wichtiger Zeuge für diese Untersuchung.

Diese aus ihrer Sicht unangemessene enge Bindung Beckenbauer/Radmann dokumentieren die Ermittler nicht nur bei der Aufarbeitung der Vergaben, sondern auch beim konkreten Vergabeprozess. Radmann war damals als Berater für den WM-2022-Bewerber Australien tätig. Dass der Strippenzieher bei einem Kandidaten unter Vertrag stand und zugleich seine enge Zusammenarbeit mit dem abstimmungsberechtigten Vorstandsmitglied Beckenbauer fortsetzte, würde "Zweifel an der Integrität des Bewerbungsprozesses" erzeugen, heißt es im Report. Später wurde Beckenbauer wegen der mangelnden Kooperation mit einer Verwarnung und 7000 Franken Geldstrafe sanktioniert. Aktuell läuft gegen ihn ein Verfahren wegen seines Verhaltens um die WM 2006. Und in der Schweiz wird gegen beide ermittelt.

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SZ vom 28.06.2017/chge
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