Galopp:Stützpfeiler gegen den Sturm

15.06.2020, Muenchen, Bayern, GER - Aufgrund der Coronapandemie sind keine Zuschauer auf der Galopprennbahn. Galopprennb

Aktive unter sich: Die Tribünen in Riem blieben dieses Jahr ebenso leer wie die Ränder der Galopprennbahn.

(Foto: Foto: WiebkeArt/galoppfoto.de/imago images/Galoppfoto)

Der Pferderennsport hat sich während der Corona-Krise als erstaunlich stabil erwiesen, dank vieler Solidar-Aktionen, von denen auch die Rennbahn Riem profitierte. Das Problem: Das alles waren Einmal-Effekte.

Von Andreas Liebmann, München

Die Frage "Wo laufen sie denn?" ist bis heute von einiger Berühmtheit. Sie geht zurück auf einen Sketch aus dem Jahre 1948, zu dessen Tonaufnahme der Satiriker Vicco von Bülow alias Loriot Anfang der Siebziger einen Trickfilm zeichnete. Für Loriot-Fans zählt das Zitat bis heute zum Standardrepertoire, wie "Früher war mehr Lametta" oder "Das Bild hängt schief".

"Auf der Rennbahn" hieß jener Sketch, und die Frage wird darin immer und immer wieder gestellt: "Wo laufen sie denn? Wo laufen sie denn hin?" Das führt nun rasch und unmittelbar nach Riem, zur Galopprennbahn und deren Betreiber, dem Münchener Rennverein (MRV). Denn auch im Pferderennsport war die Saison, die vor wenigen Wochen zu Ende ging, keine gewöhnliche, sondern eine von der Pandemie und vom Ausschluss der Zuschauer gezeichnete.

"Wir kommen gut klar", sagt Riems Vereinssprecher Multerer. Sorgen bereitet ihm erst die kommende Saison

Dabei hatte der MRV schon in den vergangenen, normalen Jahren so seine Mühe, an einer schwarzen Null zu kratzen. Meist blieben die Geschäftszahlen rot, wenngleich die dunkelroten Jahre schon etwas länger zurückliegen. Sprich: Der Rennbetrieb war tendenziell defizitär. Dazu kommen dringend sanierungsbedürftige Stallungen, wohingegen die noch dringlicher benötigten neuen Mitarbeiterwohnungen inzwischen fertiggestellt und vermietet sind. Und so ist die Frage "Wo laufen sie denn hin?", bezogen auf das wirtschaftliche Befinden des Vereins und seiner Sportart, am Ende dieses turbulenten Jahres eine naheliegende.

Umso überraschender ist die Antwort. "Wir kommen gut klar", berichtet der Vereinssprecher Sascha Multerer.

Von den Nothilfen profitieren die Rennvereine kaum. Sie sitzen zwischen allen Fördertöpfen

Sieben von acht geplanten Renntagen hat der MRV abgehalten, natürlich fehlten hier wie auch nebenan auf der Trabrennbahn Daglfing, wo Multerer Rennsekretär ist, die Zuschauer, die Bahnwetten, die Einnahmen aus Bewirtung, Vermietungen und Veranstaltungen: "Gut ist sicher anders." Zudem fielen die Rennvereine bei sämtlichen staatlichen Nothilfen "durch jedes Raster", erzählt Multerer, weil sie nun mal zum Beispiel keine Profi-Liga seien, auch keine klassische Veranstaltung, streng genommen im Zweifel auch kein Sport, weil sie auf Basis ihres tierzüchterischen Auftrags operieren. Und anders als in Nordrhein-Westfalen, wo jede Rennbahn 320 000 Euro erhalten habe, werde ihnen auch nichts vom entfallenden Wettumsatz erstattet, weshalb sich die drei bayerischen Bahnen gemeinsam an die zuständige Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) wandten, um dort nachdringlich auf ihre schwierige Position zwischen allen Fördertöpfen aufmerksam zu machen. "Für uns macht sich niemand stark", sagt Multerer mit Blick auf den Profifußball. "Das Problem haben wir allerdings mit den meisten Sportarten gemeinsam."

Und dennoch: Zumindest für die Galopprennbahn Riem muss sich Multerer regelrecht zügeln, um nicht allzu erleichtert zu klingen. Denn die aktuelle Lage ist tatsächlich nur mäßig beklagenswert. Das dicke Aber: Nun gehe es an die Planung für die neue Saison - und erst für die muss der MRV, so seltsam das klingt, die wirklich bedrohlichen Probleme befürchten.

Viele Gönner halfen, die Besitzer, der Dachverband, die Buchmacher: "Die Solidarität war der positive Effekt der Krise"

Bisher sei der Verein nämlich einzig und allein dank "Einmal-Effekten" glimpflich durch die Krise gekommen. Da waren zum Beispiel die Buchmacher, die bis in den Herbst hinein auf ihre Provisionen und konkurrierende Wettangebote verzichtet hatten; die Besitzer, die sich ohne Murren mit großteils halbierten Rennpreisen abfanden; Zuschüsse vom Dachverband Deutscher Galopp, der obendrein viel Geld in ein innovatives TV-Programm investierte; und die Sponsoren, von denen sich in Riem die Mehrheit großzügig an die alten Abmachungen hielt, obgleich ihren Renntagen die Zuschauer und damit das größte Vermarktungspotenzial abhanden kamen.

15.05.2020, Muenchen, Bayern, GER - Saatkraehe sitzt auf den Rails. Galopprennbahn Muenchen-Riem. (Kraehe, Saatkraehe,

Das Galopprennjahr in Riem musste ohne Zuschauer an der Bahn klarkommen - zumindest fast.

(Foto: Foto: WiebkeArt/galoppfoto.de via www.imago-images.de; imago/imago images/Galoppfoto)

Und dann gab es da noch die bemerkenswerte Aktion von Christian Sundermann, jenem von Loriot begeisterten Münchner Pferdebesitzer, dessen Tiere "Ach was" heißen oder "Sie haben da was" - und dessen Stall eben den Namen "Wo laufen sie denn?" trägt. Im Stile von Wetten, dass...? hatte Sundermann mit den beiden Kollegen Guido Schmitt (Düsseldorf) und Lars-Wilhelm Baumgarten (Bad Harzburg) im Frühjahr gewettet, dass es ihnen gelingen würde, 100 Unterstützer zu finden, die in 227 Galopprennen je 50 Euro online auf ein Siegerpferd setzten, was jedem der Gönner 11 350 Euro Einsatz abverlangte. Das Trio hatte Erfolg, kurbelte damit die Wettumsätze aller Vereine ordentlich an, legte im Sommer sogar mit "Wetten, dass...?!? 2.0" nach, mit noch höheren Beträgen. Der Abschluss der Aktion samt Siegerehrung fand im November in München statt, beim Großen Preis von Bayern, dem letzten Gruppe-I-Rennen der Saison, dem ersten mit voller Dotation von 155 000 Euro.

"Diese Solidarität war der positive Effekt der Krise", lobt Multerer. Zuvor habe doch jeder gemeint, der Pferderennsport sei so labil, dass "der kleinste Windhauch" ihn umwerfen würde. Die Pandemie war nun gewiss mehr als ein laues Lüftchen, "und die Struktur hat doch eine gewisse Standfestigkeit bewiesen".

Der große Plan zur finanziellen Erholung liegt weiter brach. Er sah mal Wohnbebauung auf dem Trainingsgelände vor

Nun aber ist absehbar, dass der Wind noch um einiges länger und heftiger über das Land und auch über seine Rennbahnen hinwegfegen wird, gleichzeitig werden die provisorischen Stützpfeiler allmählich abgebaut. Der Dachverband kann nicht ewig weiter investieren, die Besitzer werden nicht auf Dauer mit Preisen klarkommen, die kaum ihre Kosten decken, die Buchmacher nehmen bereits wieder Provisionen, und auch "Wetten, dass...? 17.0" wird es vermutlich nicht geben. Kurzum: Die Einmal-Effekte fallen weg. Gleichzeitig müsse er nun aber mit den Sponsoren über die neue Saison reden, für die erneut acht Renntage geplant sind, samt zwei Gruppe-I- und einem Gruppe-III-Rennen - für die aber niemand seriös Zuschauer versprechen kann, erläutert Multerer.

Der ganz große Plan des MRV zur dauerhaften finanziellen Erholung dagegen liegt im Wortsinn brach. Er sah mal vor, das vereinseigene Trainingsgelände mit Mietwohnungen zu bebauen und dadurch als Vermieter dauerhafte Einnahmen zu erschließen. Allerdings soll nach dem aktuellen Stand der Planungen zum Entwicklungsgebiet Nordost, in dem es um einen neuen Stadtteil für bis zu 30 000 Menschen geht, just das betreffende Areal auf einen CSU-Antrag hin als Grünfläche erhalten bleiben.

Der Verein setzt darauf, dass die komplexen Planungen von Stadt und Bahn noch allerlei Änderung erfahren dürften, vermutlich selbst zu einer Zeit, in der die Pandemie hoffentlich besiegt sein wird. Vorerst treibt Multerer die Sorge um, dass das neue Jahr finanziell weit weniger glimpflich enden könnte als das alte - für das man in Bezug auf die Eingangsfrage immerhin feststellen kann: Sie laufen!

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