Galopp:Pracht und Pacht

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Traditions-Turf: In Baden-Baden, wo ein Fünftel aller Wettumsätze verbucht werden, schlägt das Herz des Galoppsports. (Foto: Frank Sorge / Imago)

Seit 162 Jahren veranstaltet die bedeutendste deutsche Rennbahn in Iffezheim Galopp. Nun aber kämpft sie ums Überleben - ein Aus wäre ein fataler Einschnitt.

Von Ulrich Hartmann, Iffezheim/München

Eine der schönsten Geschichten über die Baden-Badener Rennbahn erzählt vom allerersten Rennen überhaupt, am Sonntag, dem 5. September 1858. Die Distanz lautete auf 2000 Meter, ausgeschrieben für Pferde, "im Großherzogtum Baden geboren oder seit Januar daselbst befindlich". Tausende Menschen waren per Kutsche nach Iffezheim angereist, der Großherzog höchstpersönlich hatte auf der Tribüne Platz genommen - und dann lief da drunten aus heute nicht mehr nachzuvollziehenden Gründen bloß ein einziges Pferd. "Amazone" ging in die Annalen der Rennbahn ein.

Man kann sich über so eine vergilbte Anekdote amüsieren, doch im deutschen Galoppsport und auf seiner renommiertesten Bahn gibt es im Moment nicht viel zu lachen. Der Rennbahnbetrieb ist defizitär, erst recht seit der Ausbreitung des Coronavirus. Die gesamte Branche hierzulande erlitt in der Pandemiesaison Einnahmeausfälle in erheblicher siebenstelliger Höhe. Fast die Hälfte aller Umsätze, die sonst auf den Bahnen am Ort erzielt werden, fielen weg. Der Rennbahn Baden-Baden droht das Aus. Es wäre ein fataler Einschnitt auch in die deutsche Pferdezucht. Der Verband Deutscher Galopp und die Gemeinde Iffezheim arbeiten an einer Lösung für den Fortbestand der 162 Jahre alten Bahn. Für die malade Branche wäre es ein bedeutendes Signal.

Dem Vernehmen nach überlegt der Rennbahnbesitzer Gerhard Schöningh, der 2008 bereits die Anlage in Berlin-Hoppegarten vor dem Aus bewahrt hat, sich auch an der Rennbahn Baden-Baden zu beteiligen. Durch eine Bündelung könnten sich Synergien im sechsstelligen Euro-Bereich ergeben. Schöningh, 59, ist in Krefeld in der Nähe der dortigen Galopprennbahn aufgewachsen und hat schon als Kind die besondere Faszination des Rennbetriebs aufgesogen. Darum liegen ihm Rennbahnen so am Herzen.

Erster Besitzer der Baden-Badener Rennbahn war von 1858 an der örtliche Spielbankbetreiber Edouard Bénazet, der beim Iffezheimer Bürgermeister Severin Schäfer einen Pachtvertrag unterzeichnete und für 300 000 Francs Tribünen und Funktionsgebäude errichten ließ. 1872 übernahm der gesellschaftlich hochkarätig besetzte "Internationale Club" die Bahn und unterhielt sie 137 Jahre lang, ehe er im Jahr 2009 Schulden in Höhe von 14,2 Millionen Euro angehäuft hatte und pleite ging. Die Zeiten für den Galoppsport waren schon damals nicht mehr gut, doch man fand eine Lösung. 2010 pachtete die eigens gegründete Gesellschaft Baden Racing mit dem Kaffee-Erben Andreas Jacobs und dem Verleger Paul von Schubert als Gesellschafter die Rennbahn von der Gemeinde Iffezheim. 2015 wurde die Pacht um 20 Jahre verlängert, doch kürzlich nahm Baden Racing angesichts der Corona-Beeinträchtigungen ein außerordentliches Kündigungsrecht zum Ende des Jahres in Anspruch. "Die Verluste sind dramatisch", sagte Jacobs, "wir sahen uns nicht mehr in der Lage, die geforderte Pacht in Höhe von 200 000 Euro jährlich zu bezahlen."

Dabei ist die Pacht längst nicht alles. Samt Nebenkosten und Unterhalt summieren sich die festen Ausgaben pro Jahr auf nahezu 400 000 Euro - und damit ist noch kein Rennen ausgetragen. In den vergangenen zehn Jahren schwankte das Netto-Betriebsergebnis von Baden Racing zwischen einem Minus von einer Viertelmillion Euro und einem Minus von knapp einer Million. Ihr persönliches Engagement in dieser Zeit beziffern Jacobs und Schubert auf annähernd sechs Millionen Euro. Binnen zwei Jahren subventionierten zudem der Galoppverband, die Besitzervereinigung und die Baden-Badener Auktionsgesellschaft die Rennbahn mit zusammen mehr als einer Million Euro. Man muss sich das also so vorstellen: Im Blitzlichtgewitter wurden auf der Bahn die strahlenden Sieger gekürt, und im Hinterzimmer tippten sich verzweifelte Buchhalter die Finger wund.

22 Galopprennbahnen gibt es in Deutschland noch. Baden-Baden ist die wichtigste, die mit dem größten Promifaktor bei den Rennwochen und die, auf deren Jährlingsauktionen Millionen von Euro umgesetzt werden. Der dortige Wettumsatz von 5,7 Millionen Euro machte 2019 mehr als ein Fünftel des gesamten deutschen Wettumsatzes aus. "Baden-Baden ist systemrelevant", sagt der Galopp-Präsident Michael Vesper. Baden-Baden ist das Herz dieses Sports, und an diesem Herzen wird gerade offen operiert.

Bei einem Runden Tisch in der vorigen Woche schärften Sport, Verwaltung und Politik ihre Sinne für die Dramatik der Situation. Und doch erschweren zwei Unwägbarkeiten weiterhin die wirtschaftliche Lage: Corona sowie die noch immer nicht erfolgte Notifizierung der Rennwettsteuer-Rückerstattung. Bundestag und Bundesrat hatten die Erstattung von Rennwettsteuern ausländischer Buchmacher an die deutschen Rennvereine bereits im November 2019 beschlossen, doch die Europäische Union hat dieses Gesetz immer noch nicht offiziell angezeigt und dadurch verzögert, dass es in Kraft treten kann. Sobald dies geschieht, können geschätzte 800 000 Euro fließen. An den Rennbahngründer von 1858 erinnert in Iffezheim die Bénazet-Tribüne. Von "Amazone" kündet die Anekdote ihres ungefährdeten Siegs. In den Büros über der Rennbahn befürchten sie, dass zu all den Geschichten aus 162 Jahren Pferderennen keine neuen mehr hinzukommen könnten. Genau das versuchen sie bis zum Jahresende um jeden Preis zu verhindern.

© SZ vom 22.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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