Süddeutsche Zeitung

Galopp:Klingt nach Schokolade, ist aber knallhart

Drei Siege zum Start der Großen Woche von Iffezheim: Die Schweizer Jockette Sibylle Vogt setzt sich in einer Männer-Domäne durch.

Von Frank Ketterer, Iffezheim

Der Anfang war schon mal nicht schlecht, anders kann man das bei drei Siegen in zwei Tagen jedenfalls kaum sagen. Die kurzen SMS-Botschaften mit den Glückwünschen zum gelungenen Auftakt hat Sibylle Vogt dennoch mit eher gebremster Euphorie beantwortet. Natürlich hat sich die 25 Jahre alte Schweizerin brav und freundlich bedankt für die lobenden Worte zu ihrem formidablen Start in die Große Woche auf der Galopprennbahn in Iffezheim, aber dann hat sie ihren Blick auch ganz schnell wieder auf die restlichen drei Tage des Turfspektakels in der Nähe von Baden-Baden gerichtet, das am Freitag fortgesetzt wird. "Wichtig ist, dass es so weiterläuft", hat Vogt ihren Dankesworten angefügt.

Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Schließlich reiht Vogt schon seit einiger Zeit Sieg an Sieg. 28 waren es im Vorjahr, darunter jener auf Winterfuchs im prestigeträchtigen Busch-Memorial in Krefeld. Mehr als 30 Erfolge sind es schon jetzt in diesem Jahr, obwohl die Galoppsaison wegen der Corona-Pandemie erst Anfang Mai so richtig begonnen hat. "Wahnsinn", findet Vogt das selbst.

Mehr Überschwang gestattet sie sich freilich nicht, das liegt nicht in ihrer Natur. "Es muss immer besser werden. Ich bin nie zufrieden", sagt sie und fügt hinzu: "All die Siege sind zwar schön. Aber ich habe deswegen nicht das Gefühl, es jetzt geschafft zu haben." Dass "das kleine Bauernmädchen", wie sie sich selbst nennt, aus dem 500-Einwohner-Dorf Leimbach im Kanton Aargau, mittlerweile dennoch und immer häufiger um Interviews und Autogramme gebeten wird, findet sie nach wie vor gewöhnungsbedürftig. "Das hätte ich nie gedacht", gibt die 25-Jährige fast schon verlegen lächelnd zu.

In diesen Worten liegt nicht der Hauch von Koketterie. Vielmehr sind sie das Ergebnis jenes Weges, den Sibylle Vogt zurückgelegt hat, um das werden zu können, was sie heute ist: die beste Jockette Deutschlands, eine der besten weltweit. Dabei mag die Schweizer Reiterin noch nicht einmal den vom Duden festgelegten Begriff für weibliche Jockeys - Jockette eben. Irgendwie klingt er ihr zu sehr nach Schokolade. "Amazone gefällt mir besser", lässt sie wissen.

Um ausreichend Beschäftigung muss sich die 25-Jährige nicht mehr sorgen

Leichter macht ihr das den Job freilich auch nicht. Schon der Beruf des Jockeys ist knallhart, der der Amazone ist noch ein Stück härter. "Als Frau muss man viel mehr leisten, um Anerkennung zu bekommen", stellt Vogt fest. Das ist im Galopprennsport nicht anders als in anderen Männerdomänen. Und man muss mit Vorurteilen zurechtkommen, beispielsweise mit jenem, Frauen hätten nicht genug Kraft, um ein Vollblut als Sieger ins Ziel führen zu können. Die 1,68 Meter große und 51 Kilo schwere Frau rollt da nur ihre Augen. "Natürlich ist Kraft wichtig, wenn man tausend Meter und mehr quasi in der Hocke im Sattel steht", sagt sie: "Aber es geht auch ums Feeling und um die Taktik."

Dass sie von allem mehr als ausreichend besitzt, hat Sibylle Vogt Ende Februar ausgerechnet in Saudi-Arabien am anschaulichsten unter Beweis gestellt, wo Frauenrechte nicht die oberste Priorität haben. Bei der International Jockey Challenge in Riad, einer Rennserie, in der die (vermeintlich) sieben besten Jockeys der Welt gegen die (vermeintlich) besten Amazonen antreten, gewann sie nicht nur eines der Rennen, sondern wurde zunächst Gesamtzweite - und später gar zur Siegerin erklärt. Der vor ihr platzierte Amerikaner Mike Smith wurde im Nachhinein disqualifiziert, weil bei einem der ihm zugeteilten Pferde die Dopingsubstanz Kobalt nachgewiesen wurde. Dass plötzlich Vogt auf dem obersten Treppchen stand, empfand nicht nur die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) als "eine Geschichte wie im Märchen".

Bei der Challenge in Riad wurden die Pferde den Reitern und Reiterinnen zugelost, alle hatten also die gleichen Chancen. Normalerweise läuft es anders: Die Reiter müssen sich ihre Ritte (und die Pferde dafür) bei Trainern und Besitzern zum Großteil selbst besorgen, was dazu führt, dass die am meisten Erfolg versprechenden Jockeys oft auch auf den aussichtsreichsten Galoppern sitzen.

Für junge Jockeys ist es deshalb zu Beginn gar nicht so leicht, ausreichend Ritte zu ergattern, um davon leben zu können. Auch Sibylle Vogt hat das erfahren. "Ich habe mich von unten hochgearbeitet. Da gab es auch Monate, in denen das Geld nicht gereicht hat", erinnert sie sich. Um so wichtiger war und ist für sie, Carmen und Georg Bocskai als Förderer an ihrer Seite zu haben: An deren Iffezheimer Stall ist sie angestellt, bei ihnen hat sie in der Schweiz ihre Jockey-Ausbildung absolviert. Um ausreichend Beschäftigung muss sich die 25-Jährige mittlerweile jedenfalls nicht mehr sorgen. Ihr Name hat längst Strahlkraft in der Szene. Sie gibt jetzt sogar Interviews und Autogramme.

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Quelle:
SZ vom 09.09.2020
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