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50. Geburtstag von Gabriela Sabatini:Nummer eins wollte sie nicht werden

Gabriela Sabatini brachte mit krumpeligen Schlägen Steffi Graf aus dem Konzept. Nun wird die Argentinierin 50 Jahre alt. Über eine der populärsten Sportlerinnen des späten 20. Jahrhunderts, die eines nicht mochte: Ruhm.

Von Milan Pavlovic

August 1990 in New York, einer dieser schwülen Spätsommertage vor dem Beginn der US Open. Gabriela Sabatini blickt im Training kurz dem Ball hinterher, den sie gerade weit ins Aus geschaufelt hat. Dann dreht sie sich um, trottet breitbeinig, mit ausladenden Schritten, zur Grundlinie zurück, als wäre sie eine Nachfahrin des großen, massigen Westernhelden John Wayne. Nun beginnt sie von Neuem. Sie tippt den Ball zwei-, dreimal auf, ihr Kopf kippt vor der Ausholbewegung zum Aufschlag schwer nach links, als wollte er sich vielleicht noch einmal auf der Schulter ausruhen. Ihr muskulöser Oberkörper dehnt sich in Rücklage. Dann ruckelt der rechte Arm nach oben wie bei einer schlecht geölten Puppe, für Bruchteile einer Sekunde ist sie scheinbar im Stillstand, während sie darauf wartet, dass der Ball auf ihren Schläger tropft. Sie trifft den Ball nach einer übergroßen Schleife in einer etwas unrunden Bewegung und wuchtet die Filzkugel über oder in das Netz. Aber was heißt hier wuchtet? Die Argentinierin gibt dem Ball einen derart tempomindernden Effet, dass dieser langsam durch die Luft eiert. Die Speed Gun zeigt im Schnitt nur in zwei von fünf Fällen Messwerte an, sie liegen bei laschen 70 Meilen pro Stunde - und das waren wohlgemerkt Versuche, den ersten Aufschlag zu üben. Beim zweiten Service scheint der Ball Stehversuche zu machen.

Aber Gabriela Sabatini macht weiter.

Wer sie damals nach einigen Jahren am Fernseher erstmals live erlebte, war einigermaßen erstaunt. Es ging weniger darum, dass der ganze Auftritt überhaupt nicht zum fließenden äußeren Erscheinungsbild passte, das die Argentinierin zu einer der populärsten Sportlerinnen des späten 20. Jahrhunderts werden ließ. Es ging in erster Linie darum, dass man sich fragte, wie es diese Spielerin in die Top Ten, ja sogar unter die besten Drei der Weltrangliste geschafft hatte. Sie wirkte müde und uninspiriert, wenn sie ans Netz schlich, so wie John J. Rambo nach einem Dschungelkampf zu viel. Alles fiel ihr schwer. Den Anweisungen ihres neuen Trainers Carlos Kirmayr, so oft wie möglich zu attackieren, schien sie eher widerwillig zu folgen. In keiner Sekunde sah es so aus, als könnte sie bei dem anstehenden Turnier Steffi Graf oder Monica Seles oder Martina Navratilova ernstlich gefährden.

Es hätte eine der großen Rivalitäten im Frauentennis werden können

Keine zwei Wochen später gewann die 20-Jährige aus Buenos Aires die US Open und damit ihr erstes Grand-Slam-Turnier. Im Finale bezwang sie Steffi Graf, indem sie immer wieder den Weg ans Netz suchte, egal wie krumpelig die Vorbereitungsbälle waren, und damit ihre Gegnerin aus dem Rhythmus brachte.

Niemand hatte damit rechnen können. Und niemand konnte ahnen, dass dies der einsame Höhepunkt in Sabatinis Karriere bleiben würde - und in ihrem ewigen Duell mit Graf. Die Brühlerin, Jahrgang 1969 und damit ziemlich genau elf Monate älter, war schon mit 13 Jahren Profispielerin geworden, aber es war Sabatini, die sich schneller in die Liste der Turniersiegerinnen eintragen konnte: 1984 als Juniorin bei den French Open, 1985 als Profi im fernen Japan, da war sie gerade mal 15. Einen großen Teil ihrer Karriere erlebte Sabatini dann parallel zu der deutschen Ausnahmespielerin - oder doch eher hinter ihr.

Es hätte eine der großen Rivalitäten im Frauentennis werden können, medienwirksam verwertbar als Zweikampf der blonden Deutschen und der dunkelhaarigen Argentinierin mit der mächtigen einhändigen Rückhand. Aber erstens waren beide zu introvertiert für verbale Scharmützel. Zweitens konnten sie gut miteinander - was sich nicht zuletzt bei ihrem Doppel-Triumph 1988 in Wimbledon gezeigt hatte. Und drittens war die Bilanz ihrer Duelle zu eindeutig. 40 Mal spielten sie gegeneinander, 29 Mal gewann Graf. Noch klarer ging es in den großen Partien zu: Bei Grand-Slam-Turnieren behielt die Deutsche in elf von zwölf Versuchen die Vorhand; sie stemmte 22 Mal Grand-Slam-Pokale - Sabatini eben nur einen, einmal.

Wenn man sich einige Schnipsel der definierenden Momente des Frauentennis anguckt, steht auf der einen Seite des Netzes Steffi Graf und auf der anderen Sabatini, quasi als bessere Stichwortgeberin: 1988 vervollständigte Graf gegen sie bei den US Open den Grand Slam; wenige Wochen später erweiterte sie durch Olympiagold in Seoul gegen Sabatini die Ausbeute zum Golden Slam; und 1991, die Argentinierin erlebte die erfolgreichste Phase ihrer Karriere und hatte ihre Rivalin fünfmal hintereinander bezwungen, setzte sich im Wimbledon-Finale dann doch Graf durch, 8:6 im dritten Durchgang - nachdem ihre Gegnerin bei 5:4- und 6:5-Führung zweimal zum Matchgewinn serviert hatte.

Näher kam Sabatini einem großen Titel nie wieder.

Sie war ein paar Jahre lang immer noch gut für Halbfinal-Teilnahmen, aber dann standen ihr regelmäßig Graf oder Monica Seles, Arantxa Sánchez Vicario oder die neue Teenager-Sensation Jennifer Capriati im Weg. Im Herbst 1996, Martina Hingis begann gerade, spielerisch für Furore zu sorgen, Anna Kurnikowa erfreute die Paparazzi, und die Williams-Schwestern waren noch ein Gerücht aus Los Angeles, hatte Sabatini genug. Genervt von hartnäckigen Problemen mit der Bauchmuskulatur, jäh gestoppten Comeback-Versuchen und einer generellen Tennis-Müdigkeit, trat sie mit gerade einmal 26 Jahren zurück.

"Der Ruhm war ein Problem für mich"

Und verschwand weitgehend von der Bühne, fast so entschieden wie drei Jahre danach Steffi Graf. Selbst ihre eigenen Produkte im Parfüm-Segment vermarktete die Argentinierin vergleichsweise zurückhaltend. Erst viel später, 2013, verblüffte sie mit einem Geständnis: Sie habe gerade zu Beginn ihrer Profi-Zeit einige Spiele "absichtlich verloren, in Halbfinals, nur um nicht mit der Presse sprechen zu müssen. Ich habe den ersten Satz verloren, danach habe ich das Match quasi weggeworfen".

Rückblickend wirkt es nicht bloß harsch, sondern gemein, dass viele Journalisten sich damals vor Pressekonferenzen mit Sabatini drückten, weil dort praktisch nur Worthülsen fielen und nichts Druckbares herausprang, undankbarer waren nur Termine mit Arantxa Sánchez Vicario.

Sabatini ging in dem Interview mit der argentinischen Tageszeitung La Nación noch weiter: "Ich war sehr introvertiert, sehr nervös. Ich hatte deshalb auch einige Probleme in der Schule, so dass deswegen mehrmals meine Mutter angerufen wurde. Später war dann der Ruhm ein Problem für mich." Das Spektakel um ihre Person hätte sie "wohl nicht ertragen", wenn sie mal die Nummer eins der Welt geworden wäre: "Es war nicht das, was ich wollte. Es war nicht die Nummer eins an sich, sondern das, was damit verbunden gewesen wäre."

Wer erlebt hat, wie elegant und entspannt sie in den vergangenen Jahren aufgetreten ist, der kann Gabriela Sabatini als strahlendes Beispiel dafür nehmen, dass es sich lohnen kann, "nur" die Nummer drei der Welt zu sein - und trotzdem ein gutes Auskommen zu haben. An diesem Samstag feiert sie ihren 50. Geburtstag, vielleicht in ihrer Heimat, vielleicht in der Schweiz, wo sie seit ein paar Jahren in Pfäffikon residiert. Sie wird es die Welt wissen lassen, auf Twitter und Instagram, ganz so scheu wie früher ist sie nicht mehr.

Ihr Geheimnis, warum sie nicht so aussieht wie eine Frau, die 1970 geboren wurde, hat sie 2019 in Paris verraten, es ist in der heutigen Zeit eher verblüffend: "Ich esse alles und ganz viel Rindfleisch!" Ein Satz, wie ihn selbst John Wayne nicht schöner hätte sagen können.

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