Süddeutsche Zeitung

Fußballwelthauptstadt Rom:"Als Idioten gefahren, als Weltmeister zurück"

Lesezeit: 3 min

Die Römer bereiten der Squadra Azzurra einen Empfang, wie sie ihn selbst Cäsar nicht zuteil werden ließen.

Birgit Schönau

Erinnert sich noch jemand an Forza Afrika? Vor vier Wochen waren ein paar Römer auf die Idee gekommen, bei der WM Ghana, Angola, Togo, Tunesien und die Elfenbeinküste zu unterstützen. Bloß nicht die eigene Nationalmannschaft mit fünf Juventus und Milan-Spielern, angeführt vom ehemaligen Juve-Coach Marcello Lippi.

Also, man kann jetzt ganz offiziell feststellen: Forza Afrika ist nicht mehr. Irgendwo zwischen Achtel- und Viertelfinale verlorengegangen, wahrscheinlich aber viel, viel früher. Als diese Juventini und Milanisti nämlich am Montag aus Germania zurück in Rom ankamen, da war das wie Weihnachten, Ostern und das antike Wolfsfest Luperkalien zusammen.

Der größte Triumphzug der Geschichte, nicht einmal Cäsar hatte nach seinem Siegen über die Gallier so viele Menschen zusammengebracht. Über eine Million Römer waren unterwegs - dieselben, die schon in der Nacht nach der Siegerehrung in Berlin ein spontanes Volksfest zwischen Kolosseum und Vaterlandsaltar gefeiert hatten, mit anschließendem Autocorso bis morgens um vier.

"Popopopopoooooooopo" - die heimliche Nationalhymne

Der Montag hatte dann zunächst ganz normal ausgesehen. Schnelles Frühstück in der Bar, Blick in die Zeitung (Rekordauflage der Mailänder Gazzetta wie des römischen Corriere dello Sport: 2,3 Millionen.), ab zur Arbeit. Abends um acht aber ging's weiter. "Popopopopoooooooopo" - weil man ja diesmal schlecht "Grazie Roma" singen konnte, eben dieser Ersatz, inzwischen Italiens heimliche Nationalhymne.

Als Siegesbeute heimgebracht von den Tifosi des AS Rom nach einem Auswärtsspiel in Belgien, wo die dortigen Fans diese Zeile der nicht gerade weltmeisterlichen Band "The White Stripes" grölten. In Rom dann poetisch verklärt zum sommerleichten Gesang, in der Nacht des Triumphs an die Hauswände gesprüht, sogar vom Staatspräsidenten Giorgio Napolitano angestimmt - im Duett mit Volkstribun Francesco Totti.

Natürlich war es auch Tottis Triumphmarsch, da wog die Popularität mehr als die Spielkunst. Eineinhalb Stunden für drei Kilometer im offenen Bus. Das Modell, das zu normalen Zeiten Pilger durch die Ewige Stadt transportiert, jetzt aus gegebenem Anlass im Blau der Azzurri lackiert.

"Ave Totti!" heißt es im Circus Maximus

Ein Delirium vom Palazzo Chigi, wo Regierungschef Romano Prodi einen kurzen Empfang gegeben hatte, über die antike Via del Corso am Kolosseum vorbei zum Circus Maximus.

Oben auf der Plattform schossen die Spieler Fotos vom Volk, unten blitzten Hunderttausende Handys und Kameras. Hier feierte sich ein Volk, das alte Volk von Rom, Weltmeister im Feiern seit den kollektiven Siegesräuschen der antiken Imperatoren.

"Ave Totti!" brüllte die Menge im Circus Maximus, dem Schauplatz der Triumphe genialischer Wagenlenker in der Talmulde zwischen Palatin und Aventin, und auf dem Podium unter den Ruinen der Kaiserpaläste musste der Volksschauspieler Carlo Verdone das rasende popolo romano daran erinnern, dass es zwar auch diesmal "nur einen Kapitän" gab, dass der aber ausnahmsweise jetzt Fabio Cannavaro hieß.

Der Neapolitaner Cannavaro ließ die Menge einen Chor für Gianluca Pessotto anstimmen, den ehemaligen Juve-Spieler, der vor zwei Wochen versucht hatte, sich das Leben zu nehmen.

Totti und Verdone wandten sich an die Franzosen: "Aridatece la Gioconda!" - Gebt uns die Mona Lisa zurück. Einige im Volke verstanden nicht ganz, wer damit gemeint war und antworteten mit anzüglichen Sprechchören.

A propos anzüglich: Alessandro Del Piero grölte mit nackter Brust "We are the champions" und Marco Materazzi wurde zum civus romanus, zum Ehrenbürger ernannt. Was er Zidane geflüstert hatte, um ein derart weltbewegendes Ausrasten des Franzosen zu provozieren, konnten sich die Römer denken: "Zizou, wieso kommst du nicht auch zu Inter?"

Roma Caput Mundi - Rom die Fußballwelthauptstadt

Andere meinten, deutlich zynischer, es sei "um die Preise von Zidanes Schwester" gegangen - Gespräche also, die römische Fußballer schon von klein auf beim calcetto auf dem Kirchhof üben.

Für die Besiegten, die sie ja diesmal nicht mehr in Fesseln hinter dem Triumphwagen präsentieren durften, hatten die Heerscharen den freundlichen Gruß: "Wir im Circus Maximus, ihr höchstens im Zirkus." Darin lag eine höhere Wahrheit, getoppt nur noch vom ultrarömischen: "Keine Kutteln für Katzen." Aber hier bewegen wir uns schon stark in Richtung Existenzphilosophie.

Auch Marcello Lippi richtete, weißhaarig und elegant, ein paar Worte an die Menge. Für ihn war es der letzte Auftritt als Nationaltrainer - aber was für einer. In Roma Caput Mundi, der neuen Fußballwelthauptstadt.

Einer hielt das Spruchband hoch: "So' partiti cojoni, so' tornati campioni." Unübertrefflich, auf Deutsch aber leider nur ein mageres "Als Idioten gefahren, als Weltmeister zurück". Totti wurde eingeheizt, er solle sich das mit seinem Abschied von der Nationalelf gefälligst noch mal überlegen.

Dann gingen die Helden schlafen und das Volk stand ein paar Stündchen im Stau. In der Nacht konnte wegen großer Hitze wieder keiner schlafen. Träumen aber schon.

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Quelle:
SZ vom 12.07.2006
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