Süddeutsche Zeitung

Fußballnationalmannschaft der Frauen:Dinge anders machen

Beim Algarve Cup gewinnen die DFB-Frauen ihr erstes Länderspiel - und zeigen schon mal den Fußball, den die Bundestrainerin bei der EM 2021 sehen will.

Von Anna Dreher, Faro/München

Als nur noch wenige Minuten übrig waren, gab es doch noch ein kleines Déjà-vu. Dabei wollten die Spielerinnen der deutschen Fußballnationalmannschaft ja genau das nicht beim Auftakt des Algarve Cup: Szenen, die an den Sommer 2019 erinnern, an das schmerzliche Ausscheiden gegen Schweden im Viertelfinale der Weltmeisterschaft. Auf! Gar! Keinen! Fall! Auch wenn keine von einer Revanche reden wollte. In der 87. Minute bei diesem ersten Wiedersehen beider Teams jedenfalls entwischte Sofia Jakobsson der Abwehr doch mal wieder. Die schnelle und wendige Angreiferin hatte eine Lücke gesehen und den Ball im richtigen Moment zugespielt bekommen, sie wollte weiter in Richtung Tor drängen und wäre wohl auch erfolgreich ausgebüxt, wenn nicht Giulia Gwinn etwas dagegen gehabt und getan hätte.

Die WM sei abgehakt, hieß es. Aber so eine entscheidende Partie vergisst natürlich keine Sportlerin, so etwas fräst sich in die Erinnerung. Gwinn dachte in diesem Moment also sehr wahrscheinlich sehr schnell daran, wie Jakobsson im Juni auch schon entwischt war und dann jenes Tor schoss, das den Anfang vom Ende der WM-Reise der Deutschen markierte. Es war dann vielleicht mehr Reflex als durchdachte Handlung, wie Gwinn mehr an Jakobsson zog, als sie regelkonform irgendwie anders zu stoppen - im Strafraum. Aber sie hatte Glück mit der Schiedsrichterin, und überhaupt: Genau darum geht es ja gerade, Dinge auch mal anders zu machen als sonst.

Der Auftakt des in Portugal ausgetragenen Testturniers am Mittwochabend gegen Schweden ist das erste Länderspiel für die Mannschaft von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg in diesem Jahr gewesen. Einem Übergangsjahr ohne Großereignis, nachdem Olympia durch das WM-Aus ohne den Titelverteidiger stattfinden wird. Einem Jahr, das zur Phase der Weiterentwicklung ausgerufen wurde, personell und fußballerisch, um dann bei der Europameisterschaft 2021 in England endlich wieder auftreten zu können, wie es lange der Fall gewesen war: dominant, torgefährlich, erfolgreich, ausgezeichnet mit Pokalen - zwei Mal bei Welt- und acht Mal bei Europameisterschaften.

Insofern lief dieser Auftakt optimal. Ob es nun Revanche genannt wird oder nicht: Deutschland gewann gegen Schweden 1:0 (1:0) nach einem entschlossenen Schuss von Svenja Huth in der 34. Minute. Die DFB-Frauen treffen nun im Halbfinale am Samstag (18.30 Uhr MEZ) auf das Team aus Norwegen, das sich 2:1 gegen den EM-Zweiten Dänemark durchsetzte.

Vor der Partie gegen Schweden hatte Voss-Tecklenburg gesagt: "Wir wollen neue taktische Varianten ausprobieren und möglichst viele Spielerinnen einsetzen. Die Ergebnisse stehen nicht im Vordergrund. Wir wollen sehen, wo wir gerade stehen." Überraschungen gab es dann zunächst keine, die Bundestrainerin setzte in Gwinn, Sara Doorsoun, Lena Oberdorf, Kathrin Hendrich, Melanie Leupolz, Lina Magull, Klara Bühl, Dzsenifer Marozsan, Svenja Huth und Alexandra Popp auf jene Feldspielerinnen, die entweder viel Erfahrung oder als Talente bei der WM geglänzt hatten (Gwinn, Bühl, Oberdorf); sowie in Abwesenheit der schwangeren Stammtorhüterin Almuth Schult auf die neue Nummer eins Merle Frohms. Im Vergleich zum WM-Aus tauschte sie neben Schult noch Marina Hegering, Carolin Simon, Lea Schüller und die beim Algarve Cup verletzt fehlende Sara Däbritz aus. Die Mittwochsaufstellung dürfte nun weitgehend Voss-Tecklenburgs favorisierte Stammformation sein - und sie funktionierte.

Die Deutschen begannen offensiv und druckvoll, die immer wieder gestarteten Angriffe wirkten überlegt und übersichtlich, vor allem wurden sie bei aller Dynamik ballsicher ausgeführt. Die erste Chance hatte Bühl (8.), danach folgte Kapitänin Popp (14.) und schließlich das Tor von Huth. Bis die Schweden sich gefunden hatten, dauerte es streng genommen bis zur zweiten Hälfte. Aber auch hier gehörte die erste Szene den DFB-Frauen mit einem Lattenschuss von Popp aus mehr als 30 Metern (54.). Weil auch die Defensive geordnet agierte, taten sich die Schwedinnen schwer; erst spät und auch durch vier Auswechslungen gesteigerte Abstimmungsschwierigkeiten auf deutscher Seite kamen sie zu mehr Möglichkeiten.

Nachdem die bewährten Kräfte sich bewiesen haben, soll am Samstag dann doch vieles anders werden. Halbfinale hin oder her. "Wenn nicht hier, wann dann? Wir werden andere Spielerinnen anfangen lassen. Das sind wir auch den Vereinen schuldig, dass wir die Belastung hier bewusst verteilen und möglichst fast alle Spielerinnen einsetzen", sagte Voss-Tecklenburg. "Das ist spannend, auch mal diejenigen zu sehen, die vielleicht international bislang nicht so viel gespielt haben."

Gegen Norwegen sind die Erinnerungen ja ohnehin andere. Das deutsche Team hat in 40 Begegnungen 19 Mal gewonnen und letztmals im EM-Gruppenspiel 2013 verloren. Die Revanche folgte umgehend im Finale, das Deutschland gewann. Von einer Wiedergutmachung spricht also erst recht niemand. Und wenn die deutsche Nationalmannschaft weiter so spielt, wie sie gegen Schweden begonnen hat, wird es womöglich sogar ein titelgekröntes Übergangsjahr. Der Weg ist ja nicht mehr weit.

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SZ vom 06.03.2020
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