Süddeutsche Zeitung

Fußballkultur:Fans entdecken vergessene FC-Bayern-Hymnen

Drei Bayernfans stoßen zufällig auf Texte alter Hymnen. In detektivischer Kleinarbeit bringen sie sie zur Südkurvenreife - komplett mit Musikaufnahmen und Video.

Von Christoph Koopmann

Den "Stern des Südens" kann wohl jeder Fan des FC Bayern mitgrölen. Auch "Forever Number One" ist ein Klassiker des Münchner Südkurven-Chors. Bei "Rot und Weiß" oder dem "Bayernlied" ist dagegen selbst von hartgesottenen Anhängern kaum mehr als ein verblüffter Gesichtsausdruck zu erwarten. Diese Hymnen waren jahrzehntelang verschollen. Sie stammen aus den Jahren 1905 und 1907, der Gründerzeit des Vereins. Doch nun sind sie wieder aufgetaucht: Drei FCB-Fans haben sie in akribischer Detektivarbeit zu neuem Leben erweckt.

Das Bayernlied soll vom damaligen FCB-Vizepräsidenten Siegfried Hermann geschrieben worden sein, der Überlieferung nach haben es die Fußballer in den folgenden Jahren auf Fahrten zum Spiel gesungen. Beide Stücke wurden am vergangenen Wochenende vor der Partie gegen die TSG Hoffenheim in der Münchner Arena gespielt, die Fans waren begeistert. Doch der Weg dahin war eine Sisyphusaufgabe.

Drei Podcast-Betreiber stießen zufällig auf die Hymnen

Eineinhalb Jahre lang investierten Ruben Schulze-Fröhlich, 37, und seine Mitstreiter Sebastian Rampf, 34, und Felix Knoche, 29, jede freie Minute, um die Uralt-Hymnen zu rekonstruieren. Die drei betreiben neben ihren Jobs als Online-Redakteur beim Radio, Ingenieur und Apotheker den Fan-Podcast "Erfolgsfans", auf dem sie seit 2012 Audio-Analysen der Bayern-Spiele veröffentlichen. "Irgendwann dachten wir uns, dass die aktuellen Geschichten beim Hörer nicht hängen bleiben", erzählt Schulze-Fröhlich. Sie wollten etwas Neues probieren und begannen, die Historie des Vereins für ihre Internet-Zuhörer aufzubereiten. 2015 veröffentlichten sie nach langer Recherche die erste Bayern-Chronik, datiert aus dem Jahr 1925. Darin enthalten: die Texte zweier offenbar vergessener Klubhymnen. "Dass wir zu den Liedern weder im Internet noch in Archiven etwas gefunden haben, hat uns heiß gemacht", erzählt Schulze-Fröhlich. Auch beim FC Bayern wusste niemand weiter, der Verein sicherte den Hobby-Historikern Unterstützung bei der Recherche zu.

Das Problem: In der Chronik standen nur die Texte, ohne Hinweis auf die Melodien. "Wir haben Lieder-Suchmaschinen ausprobiert, etliche Musikprofessoren angerufen - nichts", sagt der Podcast-Macher. Der Durchbruch gelang dem Trio mit einer simplen Methode: Sie googelten Textfragmente. Dabei stießen sie auf Ähnlichkeiten mit alten Volks- und Studentenliedern, auch das Reimschema passte.

Sie suchten einen Chor, der die Hymnen einsingt. "Keiner wollte das machen", erzählt Schulze-Fröhlich. Mehr als 30 Gruppen hätten sie angefragt. "Viele erklärten uns für verrückt." Andere wollten bezahlt werden, was für das Team des Non-Profit-Podcasts nicht infrage kam. Den Münchner Philharmonikern fehlte es an Zeit. Schließlich ließ sich ein Gospelchor aus Augsburg nach anfänglicher Skepsis überreden. Vor einem Jahr bekamen die Entdecker erstmals das Ergebnis ihrer Recherche zu hören, sie fassen diesen Moment in einem Wort zusammen: "Gänsehaut."

Tontechnik, Archivbilder und die Arena des FC Bayern

Sie organisierten Tontechnik für professionelle Aufnahmen, dann machten sie sich ans nächste Etappenziel: "Wir brauchten geile Musikvideos." Sie setzten sich mit der FC-Bayern-Erlebniswelt, dem Vereinsmuseum, in Verbindung, FCB-Archivar Andreas Wittner half ihnen fortan, irgendwann bekamen der 30-köpfige Chor und fünf Kameraleute tatsächlich für einen ganzen Tag die Arena als Kulisse.

Fehlten noch historische Bilder: "Wir wissen aus der Chronik, dass das Bayernlied 1932 gesungen wurde, als der FCB zum ersten Mal deutscher Meister wurde", sagt Schulze-Fröhlich. Über Umwege stießen die "Erfolgsfans" auf einen Ausschnitt aus der Wochenschau vom Juni 1932 - die einzig noch existierende Aufnahme, die das entscheidende Tor zum 2:0 der Bayern gegen Eintracht Frankfurt zeigt. Franz Krumm lässt am rechten Strafraumrand einen Gegner mit einer Körpertäuschung aussteigen, zieht nach innen und vollendet mit einem Linksschuss ins entfernte Eck. Es erinnert fast an Arjen Robben.

Im neuen Video zum "Bayernlied" hört man zu dem historischen Tor die Zeilen: "Und unser Ruf erschalle stets aufs Neue: Der FC Bayern! Hipp, hipp, hurra!" Irgendwann sollen die alten Hymnen auch in der Südkurve gegrölt werden. "Das wäre natürlich Wahnsinn", findet Ruben Schulze-Fröhlich. Eines aber wüssten die drei nun zu gerne: Ob sie die Lieder "tatsächlich so getroffen haben, wie sie früher gesungen wurden". Ein paar alte Fans müsse es doch noch geben, die ihre Bayern damit einst angefeuert haben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3244961
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.11.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.