Fußballer des Jahres:Angriff und Verteidigung

Jérôme Boateng gewinnt als erster Verteidiger seit 19 Jahren die vom "Kicker" unter Deutschlands Sportjournalisten durchgeführte Wahl.

Von Benedikt Warmbrunn, Dortmund

Der Anblick des Bundesliga-Spielplans dürfte Mats Hummels eine gewisse Erleichterung verschaffen, davon ist nach diesem Supercup-Sonntag auszugehen. Dieser Spielplan meint es nämlich sehr gut mit ihm: Darauf notiert ist Anfang November die nächste Reise für den neuen Innenverteidiger des FC Bayern München zu Borussia Dortmund, zu seiner Arbeitsstätte der achteinhalb vergangenen Jahre. Und bis Anfang November sind es ja noch einige Wochen. Genug Zeit zum Beispiel für Jérôme Boateng, um wieder ganz gesund zu werden.

Der Supercup - erster Pflichtspieltermin des FC Bayern in der neuen Saison - war auch ein Tag der Innenverteidiger. Hummels musste gleich in seiner ersten Partie als Münchner Rückkehrer zurück nach Dortmund, von wo er im Sommer für angeblich 35 Millionen Euro zum FC Bayern gewechselt war; entsprechend fiel auch der Empfang aus: Jeden seiner Ballkontakte kommentierten die Anhänger der Borussia mit schrillen Pfiffen. Damit, sagte Hummels später, habe er gerechnet, "ich kann das nachvollziehen". Und doch war es zumindest einem souveränen ersten Auftritt im neuen Trikot nicht wirklich zuträglich.

Hummels Aufbauspiel war durchzogen von Fehlpässen; einmal verschätzte er sich zudem bei einem langen Ball der Dortmunder, und schon stand Pierre-Emerick Aubameyang frei vor dem Tor. Dass dort nun Manuel Neuer steht, das dürfte Hummels sehr beruhigen. Genauso sehr wie die Tatsache, dass er bald wieder auf einen zuverlässigen Partner in der Innenverteidigung zählen kann, auf den noch verletzten Boateng. Wie groß dieser Verlust ist, auch das zeigte sich ja am Sonntag.

Der vermisste Boateng wird zurückkehren als Deutschlands "Fußballer des Jahres 2016", womöglich schon zum Bundesligaauftakt am 26. August gegen Bremen, spätestens zum ersten Auswärtsspiel am 9. September auf Schalke; das deutete Boateng jedenfalls im Kicker an. Seit 19 Jahren hatte die vom Kicker unter Deutschlands Sportjournalisten durchgeführte Wahl kein Verteidiger mehr gewonnen, damals siegte Jürgen Kohler. Boateng lag deutlich vor Thomas Müller und Robert Lewandowski, seinen Mitspielern vom FC Bayern.

Noch stärker als die beiden Angreifer war Boateng jedoch durchgehend ein Gesprächsthema in der vergangenen Saison: Spätestens als er sich im Januar schwer verletzte und monatelang fehlte, fiel auf, dass unter ihm die Defensive des FC Bayern nahezu unbezwingbar geworden war. Dies zeigte er auch bei der EM, und nicht immer musste das so spektakulär und kunstvoll sein wie im ersten Gruppenspiel gegen die Ukraine, als er im Rückwärtsfallen auf der Torlinie noch den Ball weghebelte.

Boateng siegte jedoch nicht nur als der vielleicht beste Innenverteidiger der Welt, er siegte auch als eine Figur von gesellschaftspolitischer Bedeutung. Nachdem der AfD-Politiker Alexander Gauland kurz vor der EM behauptet hatte, dass "die Leute" einen wie Boateng sich nicht als Nachbarn wünschten, hatte dieser durch seinen ruhigen Umgang mit der Provokation gezeigt, dass dieses Thema eigentlich kein Thema mehr sein dürfe. "Ehrlich gesagt ist es einfach nur traurig, dass so etwas heute noch gesagt wird", sagte Boateng. Sehr viel mehr sagte er nicht, aber die Botschaft war klar: Seine dunkle Hautfarbe dürfe keine Rolle mehr spielen, das war seine Botschaft; die Nationalmannschaft lebt diese Selbstverständlichkeit seit mehreren Jahren schon vor. So mancher wünscht sich Boateng daher als Kapitän der DFB-Auswahl, auch der 27-Jährige selbst wäre nicht abgeneigt. Er wird jedoch auch ohne die Kapitänsbinde wirkungsvoll bleiben, als stiller Mahner neben dem Platz, als Autorität auf dem Platz. Mats Hummels zum Beispiel wird schon ganz dankbar sein, wenn Anfang November in Dortmund einer neben ihm verteidigt, der ihm den einen oder anderen Ballkontakt im Aufbauspiel der Bayern erspart.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: