Auf dem roten Transparent, das in der Kurve des Longgang Stadium von Shenzhen - auch auf Deutsch - hing, stand in großen weißen Schriftzeichen: "Der Weg nach Kiew beginnt hier". Etwas zu viel der Bedeutung, die die chinesischen Fans des FC Bayern München dem Testspiel gegen den AC Mailand am Samstagmorgen beimaßen. Und trotzdem: Sie dürften nicht ganz falsch gelegen haben, denn wenn sich die Bayern in der kommenden Saison ähnlich präsentieren wie beim 0:4 (0:3) gegen Milan, dann dürfte das Champions-League-Finale am 26. Mai 2018 in der ukrainischen Hauptstadt ohne den deutschen Rekordmeister stattfinden. Soweit die Theorie.
In der Praxis traf eine müde auf eine frische Mannschaft. "Ich bin enttäuscht, wir hatten keine Balance und haben nicht gut gespielt", bekannte Bayern-Trainer Carlo Ancelotti. "Das darf nicht passieren." Weil es aber dann doch nur ein Testspiel war, das er und 40 000 Zuschauer im Stadionrund verfolgten, dürfte die Enttäuschung schnell einer realistischen Einordnung weichen - und der Frage, wie positiv sich eine PR-Tour auf die Markenbildung auswirkt, wenn das beworbene Team mit 0:4 untergeht. Und Juan Bernat ist bereits der zweite Spieler, den die Bayern auf ihrer Asien-Reise verfrüht nach Hause schicken müssen. Thiago kehrte aufgrund einer Wadenverletzung bereits am Donnerstag zurück nach München.
Carlo Ancelotti versucht zu beweisen, dass sein kolumbianischer Zugang auch eine Konkurrenz für Robben und Ribéry sein kann. Der Test gegen den FC Arsenal geht für die Bayern jedoch im Elfmeterschießen verloren.
Das hatten sich auch die Bayern-Verantwortlichen um Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß ganz sicher anders vorgestellt. Ihnen geht es ja bei der Reise in erster Linie um die Stärkung und Etablierung der FCB-Marke im asiatischen Raum, doch auch sie werden sich fragen müssen, ob sportliche Belange nicht höher zu bewerten sind als wirtschaftliche.
Der AC Mailand hat sich in der Sommerpause für rund 200 Millionen Euro unter anderem mit Innenverteidiger Leonardo Bonucci von Juventus Turin, Torjäger André Silva vom FC Porto und dem früheren Leverkusener Mittelfeldspieler Hakan Calhanoglu verstärkt, der zum 4:0-Endstand traf. Das Team von Vincenzo Montella startet bereits kommende Woche in die Pflichtspiel-Saison. Dennoch gingen die Italiener wie der FC Bayern nicht mit der stärksten Elf ins Spiel. Silva blieb 45 Minuten auf der Bank, später durfte auch Bonucci eine halbe Stunde mitmachen.
Bei den Münchnern fehlen zwei Wochen vor dem ersten Pflichtspiel im DFL-Supercup gegen Borussia Dortmund Nationaltorhüter Manuel Neuer, Feingeist Thiago, Flügelspieler Arjen Robben und Innenverteidiger Jerome Boateng sowie die Confed-Cup-Nachzügler Joshua Kimmich, Sebastian Rudy, Niklas Süle und Arturo Vidal. "Wir haben noch Zeit, um uns auf die reguläre Saison vorzubereiten", sagte Ancelotti: "Und das müssen wir machen." Zwei Wochen, in denen neben zahlreichen Personalien die Abgezocktheit vor dem Tor und Ordnung in der Defensive wiedergewonnen werden müssen.
Die Asien-Tour des FC Bayern hat begonnen. Bereits am Flughafen von Shanghai fluten die Fans die Empfangshalle - mit teils kurioser Ausstattung.
Trotz offensichtlicher Schwächen im Deckungsverhalten befand Mats Hummels: "Das Ergebnis fällt etwas zu hoch aus." Der 28-Jährige lief am Samstag 45 Minuten lang neben David Alaba in der Innenverteidigung auf. "Die Tore für Milan fielen zu einfach", fügte er hinzu. "Ich denke, wir können viel aus dem Spiel lernen."
Besonders in der Defensive waren die Bayern in der ersten Hälfte ungeordnet. Ancelotti stellte seinen Innenverteidigern Hummels und Alaba zunächst Rafinha und Juan Bernat auf den Außenpositionen zur Seite. Sie und später Renato Sanches für Hummels und Marco Friedl für Bernat ließen den 17-jährigen Torhüter Christian Früchtl mehrmals allein - an allen vier Toren war der dritte Bayern-Keeper im Gegensatz zu seinen Abwehrkollegen allerdings schuldlos. Besonders Rafinha, der unter der Woche noch mehr Einsatzzeit forderte, fiel immer wieder dadurch auf, dass er seinen Gegenspielern zu viel Platz ließ.
Zu allem Überfluss verletzte sich Linksverteidiger Bernat bei einem Zweikampf nach 30 Minuten am Sprunggelenk und kam nach der Pause mit Krücken aus der Kabine. Der Spanier werde deshalb nicht mit dem Team nach Singapur weiterreisen, teilten die Bayern mit. "Er fliegt zurück nach München. Am Montag wird er untersucht", sagte Ancelotti.
Mailand war frischer und zielstrebiger
Mailand wirkte vor dem ersten Pflichtspiel in der dritten Runde der Europa-League-Qualifikation am Donnerstag gegen den rumänischen Erstligisten Craiova frischer und zielstrebiger. "Das war ernüchternd in der ersten Halbzeit", sagte Thomas Müller, der bei tropischen Temperaturen Manuel Neuer als Kapitän vertrat. Auch in der zweiten Hälfte gelang es den Bayern nur gelegentlich, sich kunstvoll durchs Mittelfeld zu kombinieren - vor allem im Abschluss klappte nicht viel.
An diesem Sonntag reist der Bayern-Tross weiter nach Singapur, wo im Rahmen des International Champions Cup am Dienstag und Donnerstag Spiele gegen den FC Chelsea und Inter Mailand anstehen. Dann ist es noch eine Woche, bis er am 5. August mit dem ersten Pflichtspiel beginnt - und damit der Weg nach Kiew.