Süddeutsche Zeitung

Fußball-WM: Verletzte Spieler:Wie verhext!

Beckham, Ballack, Essien, Drogba, Mikel, vielleicht auch Arjen Robben: Inzwischen muss man in Südafrika fast die Frage stellen, wer von den versprochenen Weltstars überhaupt bei der WM dabei sein wird.

Claudio Catuogno

Hüftprobleme. So lautete bis Samstagabend die Diagnose, und Arjen Robben, 26, würde ein kleines Vermögen geben, könnte er den Rest der Geschichte ungeschehen machen. Diesen Übersteiger in der 87. Spielminute, die harte Landung auf dem Amsterdamer Rasen, den "stechenden Schmerz im Oberschenkel", die Ungewissheit bis zur Kernspin-Untersuchung am Sonntag, während die Kollegen in den Flieger nach Südafrika stiegen, ohne ihn. Hüftprobleme - deshalb verpasst man nicht gleich die WM. Wegen einer Verletzung im linken Oberschenkel womöglich schon.

Am Sonntag fehlt der Mittelfeldspieler des FC Bayern jedenfalls, als die WM-Auswahl der Niederlande kurz vor zehn Uhr Ortszeit in Johannesburg eintrifft. Dabei hatte die Szene vom Vorabend zunächst das Zeug zur entgegengesetzten Botschaft an die Nation: Hüftprobleme? Alles Quatsch! Seht her, ich bin gesund! Zwei Tore hatte Robben schon erzielt beim 6:1 gegen Ungarn, doch damit nicht genug, jetzt noch dieser Trick, um den Ball mit der Hacke in den Lauf von Gregory van der Wiel zu zaubern...

Nachdem Robben dann - tapfer winkend - vom Platz gehumpelt war, musste Hollands Nationaltrainer Bert van Marwijk bereits die Frage beantworten, wen er denn nachnominieren werde für den wichtigsten Impulsgeber der Oranje-Offensive. Darüber wolle er "noch nicht nachdenken", entgegnete van Marwijk, "weil ich hoffe, dass Arjen doch noch spielen kann. Solange eine kleine Chance besteht, werde ich ihn mitnehmen."

Etwas Hoffnung gab es also am Sonntag noch für die Niederlande und ihren Rechtsaußen. Doch da war das Malheur längst mit einer Bedeutung aufgeladen, die weit hinausweist über die Frage, wie sich ein gerissener Muskelstrang denn so auswirken würde auf die WM-Vorfreude zwischen Krachten und Küste.

David Beckham, Rio Ferdinand, Michael Essien, Didier Drogba, John Obi Mikel, Michael Ballack, Andrea Pirlo, nun womöglich Robben: Inzwischen muss man in Südafrika fast die Frage stellen, wer von den versprochenen Weltstars überhaupt dabei sein wird, wenn der WM-Zirkus ab Freitag den schwarzen Kontinent beehrt.

Dass der Frühsommer eine gute Zeit ist für Ermüdungsbrüche, Knorpelschäden und Faserrisse aller Art, ist keine neue Erkenntnis, und prominente Opfer gehören seit jeher ebenso zum Geschäft wie die fruchtlose Fachdebatte zum Thema Überbelastung, die auf solche Verletzungen stets folgt. Das Hamsterrad aus nationalen Ligen, Pokalwettbewerben, Champions- und Europa-League-Spielen sowie den Qualifikationsrunden der Nationalteams dreht sich nicht langsamer, weil man seine Risiken kennt. Neu ist, dass sich das sogenannte Verletzungspech seine Opfer diesmal nicht mehr oder weniger wahllos auszusuchen scheint. Um in Michael Ballack und Rio Ferdinand die Kapitäne der deutschen und englischen Nationalmannschaft auszuschalten, musste die Wahrscheinlichkeitsrechnung schon mal beide Augen zudrücken; und zum Dank hat sich das Verletzungspech dann in Ghana, Nigeria und der Elfenbeinküste zielgerichtet an jene Spieler herangeschlichen, die für ihr jeweiliges Land mehr sein sollten, als die sportlichen Anführer: Essien, Makel und Drogba waren als Identifikationsfiguren für den gesamten afrikanischen Fußball vorgesehen, und zumindest in dieser Hinsicht ist die WM schon entkernt, bevor sie überhaupt begonnen hat.

Wobei auch im Fall Drogba noch etwas Hoffnung verbreitet wird, von der man nicht weiß, wie viel Trotz und wie viel medizinische Expertise dahintersteckt. Der Stürmer vom FC Chelsea hatte sich am Freitag in einem Test gegen Japan (2:0) den Ellbogen gebrochen, "die WM ist vorbei", rief er spontan und begab sich in eine Fachklinik. Doch zwei Tage später vermeldete der Verband der Elfenbeinküste, der "notwendige chirurgische Eingriff" sei "erfolgreich verlaufen", man hoffe auf "schnelle Genesung". Und Nationaltrainer Sven-Göran Eriksson hofft jetzt, "dass Didier vielleicht mit einem Schutz spielen kann". Mit einer Arm-Manschette, wie sie sich schon Philipp Lahm bei der WM 2006 um das kaputte Gelenk geschnallt hat.

Auf derartige Hilfsmittel hofft man beim deutschen Gruppengegner Ghana nicht mehr, Michel Essien wird das Turnier definitiv verpassen wegen einer nicht ausgeheilten Knieblessur. Statt auf einer Manschette ruhen die Hoffnungen hier auf einem gewissen Kevin-Prince Boateng - jenem ehemaligen DFB-Jugendspieler aus Berlin, der im englischen Cup-Finale Ballacks Sprunggelenk zertrat, und der nun im zentralen Mittelfeld der Ghanaer für Essien einspringen soll.

Die Meldung wiederum, dass auch John Obi Mikel, 23, nach einer Knöchel-OP nicht rechtzeitig fit wird für den WM-Einsatz, hat nicht nur in Nigeria für einige Erschütterungen gesorgt. Sondern auch in London, wo man bilanzierte: Ballack, Drogba, Essien, Mikel, dazu der Portugiese José Bosingwa. Fünf prominente Akteure des Double-Gewinners FC Chelsea werden vermutlich die WM verpassen - kann das noch mit rechten Dingen zugehen?

Nigerias Coach Lars Lagerbäck hat unterdessen den 21-jährigen Ideye Brown vom FC Sochaux nachberufen, und bei allen Respekt: Ideye Brown (null Länderspiele) war nicht gerade die Art Fußballer, die man sich erhofft hatte bei dieser WM. Ebenso wenig wie Michael Dawson, 26, von Tottenham Hotspur (null Länderspiele), den Englands Coach Fabio Capello nachträglich in den Royal Bafokeng Sports Complex nach Rustenburg beordert hat, wo Rio Ferdinand nun mit Krücken herum humpelt. Und das Gefühl dieser WM-Vorbereitung in ein einziges Wort fasst: Er fühle sich "verhext".

Die Brasilianer? Sie hat es bisher verschont, und dazu passt, dass der Stürmer Grafite vom VfL Wolfsburg gerade berichtet hat, die Selecao trainiere mit "angezogener Handbremse - damit uns so was nicht passiert". Zweikämpfe verboten! Der Kollege Maicon (Inter Mailand) hat das Unbill der Konkurrenz schon zum eigenen Vorteil umgedeutet: "Das ist für Brasilien auf dem Weg zum Titel natürlich viel besser."

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Quelle:
SZ vom 07.06.2010
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