Fußball-WM-Qualifikation:Mit Glück und Adler

Zittersieg in Moskau: Mit einem 1:0 gegen Russland qualifiziert sich die deutsche Nationalelf für die WM in Südafrika - und darf sich vor allem bei Miroslav Klose und ihrem Torhüter bedanken.

Johannes Aumüller

Sollte mal jemand Joachim Löw nach der Bequemlichkeit der Trainerbänke im Moskauer Luschniki-Stadion fragen wollen - dieser jemand müsste sich wohl darauf einstellen, keine fundierte Antwort zu bekommen. In der als Endspiel um das direkte Ticket nach Südafrika deklarierten Partie gegen Russland jedenfalls fand der deutsche Bundestrainer kaum die Muße, sich mal für ein paar Minuten auf der Trainerbank niederzulassen.

Ständig stand Löw an der Seitenlinie, schrie und dirigierte, fuchtelte und tanzte umher - und schaute das erste Mal entspannt, als um 18.54 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit Schiedsrichter Massimo Busacca abpfiff und nach einem Treffer von Miroslav Klose Deutschlands 1:0-Sieg und die direkte Qualifikation für die WM 2010 gesichert waren. Doch dann durfte er sich umso länger auf die Bank setzen. "Ich habe gespürt, dass jeder dieses Sieges-Gen in sich hat und nicht auf Unentschieden spielen wollte", sagte Löw nach dem Spiel. "Selbstverständlich hatten wir in einigen Situationen auch etwas Glück."

Seit Wochen, ja seit Monaten hatten Löws und Hiddinks Scouts die gegnerischen Mannschaften beobachtet, und insofern schien es kaum vorstellbar, dass der eine den anderen noch mit einer personellen oder taktischen Alternative würde überlisten können. Aber dennoch versuchte es der deutsche Bundestrainer: Für die rechte Abwehrseite nominierte er weder Hoffenheims Andreas Beck noch Herthas Arne Friedrich - sondern den Hamburger Jerome Boateng, der bisher noch kein Länderspiel absolviert hatte.

Wahrscheinlich hatte Löw begeistert zugeschaut, wie Boateng vor einigen Wochen im Bundesliga-Spiel gegen den FC Bayern zunächst Arjen Robben und dann Franck Ribéry im Griff hatte - und daraus die Hoffnung abgeleitet, dass der erst 21-jährige Boateng auch Russlands meist über die linke Außenbahn kommenden Schlüsselspieler Andrej Arschawin würde ausschalten können. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht, allerdings aus dem ganz simplen Grund, weil Arschawin überraschenderweise kaum über links, sondern meist durch die Mitte oder über rechts kam - zu einer zentralen Figur des Spiels wurde der Debütant trotzdem. Weil ihm sein unerwarteter Gegenspieler Wladimir Bystrow immer mal wieder davon lief, wusste er sich zwei Mal nur mit Fouls zu helfen; für das in der ersten Hälfte sah er Gelb, für das in der 70. Minute Gelb-Rot.

Ansonsten formierte Löw die deutsche Mannschaft von Beginn an in jenem System, das sie auch zuletzt gegen Südafrika und gegen Aserbaidschan gezeigt hatte und das gemeinhin als 4-2-3-1 firmiert. Die einzige echte Spitze war Miroslav Klose, dahinter agierten mit Bastian Schweinsteiger, Mesut Özil und Lukas Podolski drei offensive Mittelfeldspieler, wobei sich Schweinsteiger und Podolski oftmals so weit zurückfallen ließen, dass als Bezeichnung für das taktische Modell 4-4-1-1 eher angebracht war als 4-2-3-1. Sein Gegenüber Hiddink verzichtete im Mittelfeld auf den zuletzt angeschlagenen Kapitän Sergej Semak, sondern setzte stattdessen auf einen Block aus vier Spielern von Zenit St. Petersburg. Davor sollten Arschawin und Alexander Kerschakow für Torgefahr sorgen.

Die deutsche Mannschaft begann wie von Löw angekündigt ziemlich defensiv und ließ den Gegner bis zur Mittellinie kommen. Dass seine Elf nicht so sehr unter Druck stehe und dass er aufgrund der Tabellensituation (Deutschland ein Punkt vor Russland) auch mit einem Unentschieden leben könne, hatte Löw in den Tagen vor der Begegnung mehrfach betont. Erst allmählich wagten sich die Deutschen etwas mehr nach vorne. Insgesamt agierten beide Teams eher zurückhaltend, der Respekt vor dem Gegner war allen anzumerken. Die erste richtige Torchance gab es erst in der 22. Minute, als Podolski aus elf Metern frei zum Schuss kam, doch der Kölner nur den am Boden liegenden Sergej Ignaschewitsch traf.

Auf der nächsten Seite: Als die Deutschen wie die Russen spielten und wie Hiddink die Partie drehen wollte.

Immer wieder Adler

Nach rund einer halben Stunde aber nahm die Partie an Geschwindigkeit auf. Zunächst strich ein Freistoß von Russlands Linksverteidiger Jurij Schirkow nur knapp über das Tor von René Adler, nur 60 Sekunden später tauchte Wladimir Bystrow nach einem feinen Arschawin-Zuspiel völlig frei vor Adler auf - scheiterte aber kläglich. So blieb es beim 0:0, bis in der 35. Minute die DFB-Elf den Gegner mit einem Spielzug jenen Typs überraschte, den alle von den Gastgebern erwartet hatten: mit einer plötzlichen Tempoverschärfung und einem schnellen Ein-Kontakt-Spiel durch die gegnerische Abwehr. Özil spielte einen Doppelpass mit Podolski und bediente dann Klose, der mit seinem siebten Qualifikationsrundentreffer das 1:0 markierte.

Nun standen die russische Mannschaft und ihr Trainer Guus Hiddink unter Zugzwang. Schon im Hinspiel im vergangenen Oktober, das die Löw-Elf 2:1 gewann, hatte die Sbornaja zur Halbzeit zurückgelegen - und hatte Hiddink mit der Einwechselung von Alan Dsagojew und einer daraus resultierenden taktischen Umstellung für neuen Schwung gesorgt und fast noch das Remis erreicht. Und auch am Samstagabend reagierte der niederländische Taktikfuchs mit einem Personaltausch: Er brachte für Igor Denissow den kleinen und wuseligen Dmitrij Torbinskij, der bei der EM 2008 beim Viertelfinalsieg gegen die Niederlande das wichtige 2:1 erzielt hatte.

Daraus resultierte eine etwas offensivere Ausrichtung, und weil auch die deutsche Mannschaft den Gegner früher attackierte als vor dem Seitenwechsel, entwickelte sich ein deutlich offenerer und flotterer Schlagabtausch, der mehr an das Hinspiel erinnerte und nicht so sehr an den verhaltenen Kick der ersten Hälfte. Die Deutschen probierten es immer wieder aus der Distanz, doch Philipp Lahm und Schweinsteiger verzogen - und Özil traf nur die Latte.

Auf der anderen Seite konnte sich Adler mehrfach auszeichnen und seinen Status als Nummer eins unter Beweis stellen. Binnen kürzester Zeit kamen Kerschakow, Arschawin und Wladimir Bystrow zu guten Gelegenheiten, doch wie schon so oft zeigten die Russen bei der Chancenverwertung ein katastrophales Verhalten. "Können Sie mir nach so einem Spiel bitte andere Fragen stellen?", entgegnete Adler auf den Hinweis, ob er nun die Nummer eins für Südafrika sei.

Je länger das Spiel dauerte, desto mehr gelang es der Hiddink-Elf, sich in der Nähe des deutschen Strafraumes fest zu spielen. Hiddink brachte Roman Pawljutschenko, Löw wechselte nach der gelb-roten Karte für Boateng Regisseur Özil aus, um mit Arne Friedrich die Abwehr zu stabilisieren. Doch die Sache mit der Abwehrstabilisierung klappte nur bedingt: Igor Semschow kam zu einer Riesen-Chance, und wieder war es René Adler, der mit einer Glanzparade den Ausgleich verhinderte. Kurz vor Schluss foulte Friedrich im Strafraum Bystrow, doch Busacca entschied nicht auf Strafstoß.

"Wir waren nervenstark und haben an uns geglaubt", sagte Kapitän Ballack. "Wir haben diszipliniert und trotzdem nach vorne gespielt." Ab dem kommenden Donnerstag kann man Joachim Löw getrost fragen, wie es um die Bequemlichkeit der Trainerbänke im Hamburger Stadion bestellt ist. Denn dort steigt am Mittwochabend gegen Finnland das formal letzte Qualifikationsspiel, und die deutsche Elf darf dieses Spiel als Partie mit Freundschaftscharakter verstehen. Oder als ersten Test für das WM-Turnier im kommenden Sommer. Löw jedenfalls will dem einen oder anderen Spieler eine Pause können.

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