Um Jogi Löw vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Liechtenstein endlich den verdienten Bahnhof zu bereiten, fünf Monate nach seinem Abtreten, musste der DFB eigens einen Antrag bei der Uefa stellen. Sonst wären den Deutschen womöglich noch die Punkte abgezogen worden, die sie anschließend mit dem 9:0-Sieg erworben haben. Man hätte es den Liechtensteinern geradezu gegönnt, denn diese ungleiche Begegnung löste bei jedem Betrachter, dessen Herz noch nicht vollkommen verdorben ist, Mitgefühl aus. Obendrein hatte der hoffnungslos unterlegene 190. der Weltrangliste durch einen Platzverweis in der neunten Minute weite Teile der Partie in Unterzahl überstehen müssen.
Andererseits wäre es der Uefa womöglich gar nicht aufgefallen, dass die Deutschen eine Zugabe ins Programm eingefügt hatten, denn die Zeremonie fiel so diskret aus, dass der eine oder andere im Stadion sie vielleicht gar nicht mitbekommen hatte. Löw, so hieß es, werde durch ein Spalier ehemaliger Spieler aufs Feld gehen und dort die Ehrung für 15 Jahre Dienst als Bundestrainer erhalten. So hatte es Oliver Bierhoffs Assistent und "Projektleiter" Benedikt Höwedes geplant, und im Prinzip ist es auch so gekommen.
DFB-Elf in der Einzelkritik:Kung-Fu-Tritt gegen Goretzka
Der Münchner wird böse erwischt, Manuel Neuer erhält Szenenapplaus - und Thomas Müller freut sich, dass er getunnelt wird. Die DFB-Elf in der Einzelkritik.
Aber wo waren die Luftschlangen, das Konfetti, die Musik und die lustigen Festreden? "Danke Jogi", rief der Stadionsprecher dreimal, das Publikum rief mit und applaudierte. Ansonsten war es eher ein Akt der diskreten Gesten. Löw umarmte alte Helden wie Sami Khedira, Lukas Podolski, Per Mertesacker, Mats Hummels (in spektakulärem kariertem Mantel) und Manuel Neuer, dann überreichte ihm DFB-Interimspräsident Peter Peters eine Erinnerungsurkunde. Das war's.
Die vielleicht stärkste Ausdruckskraft hatte Löws Wahl des Sitzplatznachbarn während des Spiels: Wolfgang Niersbach, 2014 während der WM in Brasilien DFB-Präsident und immer gern gesehen bei Trainern und Spielern im Campo Bahia, dem Team-Quartier am Strand. Beim DFB musste er 2015 wegen der Geschehnisse rund um das sogenannte Sommermärchen zurücktreten, nun machte ihn Löw zum Ehrengast.
Der DFB muss sich in Wolfsburg wieder einiges nachsagen lassen
Nicht wenige langjährige Wegbegleiter hatten sich ja mindestens gewundert, als der DFB sie im Oktober zur Feier für Löws Abschied bat. Die Einladung war mit Umständen verbunden, die manchem Gast nahezu beleidigend vorkamen: Nichts gegen die tapferen Halbprofis, Studenten, Bank- und Bürokaufleute (ein angehender Osteopath ist auch dabei), die sich zur Nationalelf Liechtensteins vereinigen, aber die Vertretung des Fürstentums hat nun mal wenig gemein mit Spanien, Brasilien oder Argentinien, jenen globalen Fußball-Größen, die in all den Jahren immer wieder schicksalhaft Löws Wege kreuzten.
Darüber hinaus gleicht die VW-Arena am Mittelland-Kanal auch in keiner Weise dem Maracana-Stadion in Rio de Janeiro oder dem geliebten Freiburger Dreisam-Stadion vor Löws Haustür, und ein Novemberabend mitten in Niedersachsen würde Löw garantiert keine Gelegenheit geben, eine coole Sonnenbrille aufzusetzen, im T-Shirt zu erscheinen und seine Sardinien-Bräune zu präsentieren. Immerhin stürmte es nicht aus Nordost, laue zehn Grad machten den Abend angenehm, mit seinem grauen Mantel war Löw adäquat gekleidet.
Der DFB musste sich also wieder einiges nachsagen lassen. Dass er eine Chance verpasst hätte, dass er seine besten Leute nicht angemessen zu würdigen wisse, und dass dieses Arrangement ein weiteres Zeugnis vom chaotischen Zustand an der Spitze des Verbandes ablege. Doch für den späten Termin hatte Löw selbst gesorgt, er wollte seinem Nachfolger Hansi Flick die volle Aufmerksamkeit überlassen und suchte erstmal Abstand. "Nach so vielen Jahren und so einer langen Reise, musste ich natürlich Abstand gewinnen. Ich musste auch einiges verarbeiten. Das letzte Turnier war ja für uns alle ein bisschen enttäuschend. Von daher habe ich eine Weile gebraucht. Aber jetzt habe ich das Gefühl, dass es mir gut geht, und ich mich auf Fußball freue", sagte er am Donnerstagabend bei RTL.
Das Spiel im immerhin ausverkauften Wolfsburger Stadion bescherte allerdings nur bedingt hochklassiges Entertainment. Mit dem besagten Platzverweis für Jens Hofer ging ein Elfmeter einher, den Ilkay Gündogan zum 1:0 nutzte (11. Minute). Liechtensteins Innenverteidiger hatte Leon Goretzka im Strafraum quasi geradewegs ins Gesicht getreten, unabsichtlich zwar, aber schmerzhaft. Der Münchner stand aber bald wieder auf und tröstete seinen schuldbewussten Gegner, als dieser das Feld verließ. Ein schönes Bild.
Lokalmatador Maximilian Arnold darf sein seit sieben Jahren ersehntes Comeback geben
Im Hinspiel in St. Gallen vor zwei Monaten hatten die Liechtensteiner die deutsche Elf lange Zeit geärgert mit ihrer Elf-Mann-machen-den-Strafraum-dicht-Taktik. Diesmal verfing der Plan nicht, zumal da sie das 2:0 für die Hausherren selbst schossen (20.), Daniel Kaufmann war der Unglückliche. Leroy Sané, fleißig und spielfreudig, ließ zügig das 3:0 (22.), Marco Reus das 4:0 (23.) folgen. Da schien sich etwas Zweistelliges anzubahnen, aber dann riss die Produktion ab. Die Deutschen bemühten sich, aber sie trafen nicht mehr.
Zur zweiten Hälfte gewährte Flick dem Wolfsburger Angreifer Lukas Nmecha das Debüt im DFB-Team. Nmecha ist dafür bekannt, dass er nicht lange zögert mit dem Torschuss, aber der Strafraum war so überfüllt, dass immer wieder jemand im Weg stand, wenn er es versuchte, vorerst blieb es bei einem Pfostentreffer. Dafür erhöhten Sané, Thomas Müller (2) und Ridle Baku auf 8:0, Max Goppel steuerte noch ein Eigentor bei, und Lokalmatador Maximilian Arnold durfte sein seit sieben Jahren ersehntes Comeback geben. Die örtlichen VfL-Fans hatten ihre Freude. "So ein Tag, so wunderschön wie heute", sangen einige und meinten das vielleicht sogar ernst.