Fußball-WM: Presseschau:Zwei Gesichter des Lukas P.

Die Presseschau "Indirekter Freistoss" widmet sich heute der südafrikanischen Euphorie, blassblauen Franzosen, Bastian Schweinsteigers ehemaligem Spitznamen und Lukas Podolski, dem das Lachen vergeht.

Indirekter Freistoss ist die Presseschau für den kritischen Fußballfreund. Fast täglich sammelt, zitiert und kommentiert der Indirekte Freistoss die schönsten und wichtigsten Textausschnitte und Meinungen aus der deutschen, während der WM auch aus der internationalen Presse. Täglich auf sueddeutsche.de und www.indirekter-freistoss.de.

Germany's Podolski listens during a news conference at the Velmore hotel in Pretoria

Der deutsche Fußball-Nationalspieler Lukas Podolski möchte bei der WM 2010 in Südafrika kein Leitwolf sein: "Ich bin nicht der Typ für eine Führungsrolle, ich bin keiner, der Gespräche führt oder sucht."

(Foto: rtr)

Ausnahmezustand in Südafrika: Zwar ist der Ball noch keine Sekunde gerollt, doch in Johannesburg, dem "Herzzentrum des Turniers", hat die WM-Party längst begonnen, wie Bartholomäus Grill (Zeit Online) beobachtet hat: "Die Shoppingmalls haben sich in schrillsten Farben aufgedonnert, an jeder Ecke stehen Riesenbälle oder Soccer-Skulpturen, Verkäuferinnen, Kellner, Bankangestellte, alle tragen die grün-gelben Trikots ihrer Nationalelf. (...) Der letzte Schrei sind Kondome in den jeweiligen Landesfarben, die über die Außenspiegel gestülpt werden. Die Autos sehen dann aus, als hätten sie bunte Ohren." Die ausgelassene Stimmung wirke sich auf ganz Südafrika aus: "Das Land wird in diesen Tagen von einem Optimismus beflügelt wie seit dem Untergang der Apartheid nicht mehr."

Sportlich gerüstet

Nun muss das südafrikanische Nationalteam nur noch die Erwartungen des Landes und seiner 50 Millionen Einwohner erfüllen. Christian Hackl (derstandard.at) fasst die Situation zusammen: "Seit zwölf Partien ist Bafana Bafana unbesiegt. Die Gegner waren nicht unbedingt die allergrößten, aber im letzten Test wurde immerhin Dänemark 1:0 geschlagen. Parreira versichert: 'Wir haben alle Aufgaben erledigt, sind gut vorbereitet. Die Fans sind unser zwölfter Mann. Mit ihrer Hilfe können wir Berge versetzen.' Auch Mittelfeldmann Siphiwe Tshabalala ist optimistisch. 'Wir denken nur ans Gewinnen. Der Himmel ist die einzige Grenze, die uns stoppen kann.' Laut Wetterbericht soll der während des Eröffnungsspiels mit Wolken verhangen sein."

Die mexikanischen Presse sieht dies erwartungsgemäß etwas anders, wie Klaus Ehringfeld von der Frankfurter Rundschau beschreibt: "Am Tag nach dem großen Sieg [gegen Italien] war Mexiko wieder einmal schon so gut wie Weltmeister. Zumindest in den Medien: 'Wir können jeden schlagen', titelte das Fußball-Fachblatt Récord nach dem Erfolg über den schlappen Weltmeister Italien. Und Ovaciones sekundierte: 'Mexiko ist bereit für etwas ganz Großes.' Der Sieg im letzten Vorbereitungsmatch vor dem Eröffnungsspiel gegen Südafrika befeuerte einmal mehr die größte mexikanische Schwäche: das Einschätzen der eigenen Fähigkeiten." In keinem anderen Land der Region klaffe Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander wie in Mexiko - auch im Fußball. Hauptgrund für die fehlende Konkurrenzfähigkeit sei die mangelnde internationale Erfahrung der mexikanischen Fußballer, die nur ungern ins Ausland wechseln: "José Ramón Fernandez, Sportkommentator beim Fernsehsender ESPN, fragt: 'Warum sollten sie gehen? Um zum Beispiel in Deutschland zu leiden? Die Sprache! Die Deutschen! Sie sind hart, stark und grob, sie treten zu... Und dann das Essen: Würste, Kartoffeln, Gemüse, die Kälte, der Winter, die Disziplin.'"

Équipe Tricolore ohne Strahlkraft

Der Tagesspiegel erwartet von dem zweiten Spiel der Gruppe A nichts Atemberaubendes: "Schön wird es wohl nicht, wenn die Himmelblauen aus Uruguay und die mittlerweile eher blassblauen Franzosen aufeinander treffen. (...) Während die Südamerikaner traditionell über das Spiel in den Kampf finden, hat die Èquipe Tricolore unter dem Seitenlinien-Grobmotoriker Raymond Domenech das feine Spiel anscheinend verlernt. Die Grande Nation hat sich eher halbtot durch die Qualifikation geschleppt und besiegte die Iren in den Play-offs nur durch die Dreistigkeit des Welthandballers Thierry Henry, der aber sonst auch nur wie ein billiges Abziehbild jenes Stürmers wirkte, der einst bei Arsenal ganze Viererketten allein zerfurchte."

Nach der blamablen 0:1-Testspielniederlage gegen China ist auch in Frankreich selbst jegliche Euphorie im Keim erstickt worden. Christian Eichler (FAZ) geht hart mit den Franzosen ins Gericht: "Nur eine Revolution kann sie noch retten." Letztlich sei es Henry und dessen Handspiel zu verdanken, dass sie überhaupt in Südafrika sein dürfen - aber auch, dass sie dort vermutlich das unbeliebteste Team sein werden: "Auch in der Heimat hat die Strahlkraft der 'Équipe Tricolore' schwer gelitten. Ihren Finesse gewöhnten Landsleuten haben sie seit langem fast nur Tristesse vorgesetzt: das Aus als Gruppenletzter bei der EM 2008, die schwache WM-Qualifikation (darunter ein 1:3 in Österreich), Henrys Handspiel, Ribérys Rotlichtaffäre, Domenechs bockige Arroganz. Beim 0:2 gegen Spanien im Frühjahr buhte das Pariser Publikum das Team und vor allem Henry gnadenlos aus."

"Schweini" war einmal

Bastian Schweinsteiger wird immer mehr zum Hoffnungsträger der DFB-Auswahl. Jörg Kramer (Spiegel Online) sieht ihn als den "neuen Chef der Nationalmannschaft". Vorbei die Zeit des "Schweinis", als er "mal mit silbernen Haaren, mal mit schwarzlackierten Fingernägeln zur Arbeit und allzu üppigen Sportwagen mit Leuchtdioden entstieg". Mittlerweile sei er erwachsen geworden: "Statt für Bifi zu tanzen, wirbt Schweinsteiger bei N-tv und N24 für die Börse Stuttgart. Manchmal redet er jetzt wie ein Pfarrer. 'Ich hab schon noch 'ne gewisse Frechheit in mir', glaubt er, obwohl er jetzt Sicherheitspässe spielen muss. (...) Schweinsteiger wirkt in der Riege, dem jüngsten deutschen WM-Kader seit 1934, fast seriös wie ein Aufpasser. 'Auf der Position [im defensiven Mittelfeld] kannst du dir keine Fehler erlauben. Oft muss man schnell überlegen: Ist es jetzt besser, nach vorne Druck zu machen oder Zeit zu gewinnen, um die Mannschaft wieder in die Ordnung, in ihre Kompaktheit zu bringen.'"

Podolskis zwei Gesichter

Ähnliches beobachtet Jogi Huber (Tagesspiegel) bei Joachim Löw: "Als sich die deutsche Fußball-Nationalmannschaft auf der Gangway des Airbus A 380 aufstellte, sah das so aus, als würde der Sparkassenzweigstellenchef mit seinen besten Kunden auf Incentiv-Reise nach Südafrika gehen. Das ist natürlich gemein, weil kein Sparkassenzweigstellenchef Jogi Löw heißt, zweitens Herr Löw kein solcher ist, sondern der Bundestrainer; drittens heißt er nicht Jogi Löw, sondern Joachim Löw." Mit der WM in Südafrika sei das Zeitalter der Männer mit i-Tüpfelchen-Format definitiv vorbei: "Olli, Klinsi, Schweini, das verhieß Vertrautheit, Duz-Nähe und war doch nur falsche Kumpanei der Medien. Joachim Löw ist in diesen Trubel hineingeraten und arbeitete dagegen an. Löw ist kein Jogi, ein Jogi würde sich nicht mit Nivea die Fältchen wegcremen, ein Joachim Löw bestimmt. Der will smart sein."

Podolski will nicht reden

Nur bei Lukas Podolski scheint dies noch nicht ganz angekommen zu sein. Heiko Rehberg von der Hannoverschen Allgemeinen erklärt, warum: "Obwohl er mehr Länderspiele hat als Kapitän Philipp Lahm (65) und nur eins weniger als dessen Stellvertreter Bastian Schweinsteiger, gehört Podolski nicht zu den Führungskräften in der Nationalelf, auch dem Mannschaftsrat gehört er nicht an. 'Ich bin nicht der Typ für eine Führungsrolle, ich bin keiner, der Gespräche führt oder sucht', sagte er. 'Ich will vor allem Spaß haben.' Was das konkret bedeutet, zeigte der 25-Jährige gestern bei einer Pressekonferenz: Ständig nestelte er an Harald Stenger, dem Mediendirektor des Deutschen Fußball-Bundes, herum und versuchte, Faxen zu machen. Lediglich als ein australischer Reporter auf Englisch eine längere Frage stellte, verschwand das Lachen aus Podolskis Gesicht, weil er sich von Stenger alles übersetzen lassen musste. Danach war Podolski spürbar der Spaß vergangen."

Zusammengestellt von Jan-Kristian Jessen

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