Saudi-Arabiens Selbstbewusstsein war vor der Partie unter anderem an einem Fan-Plakat zu erkennen. "Wo ist Messi?" war darauf zu lesen, der Satz war rot durchgestrichen. Darunter stand: "Wo ist Lewandowski?" Die beiden grün-gekleideten Anhänger hielten das Transparent vor die Linsen jedes Fotografen, der ein Bild davon haben wollte, und das waren viele. Wenn dieses Saudi-Arabien Argentinien und Lionel Messi 2:1 schlagen kann, warum dann nicht auch Polen und Robert Lewandowski?
Wo Lewandowski war, das sahen die beiden Fragesteller in der 40. Minute - nämlich im saudischen Strafraum. Nach einem schnellen Spielzug aus der eigenen Hälfte scheiterte Lewandowski erst am saudischen Torhüter Mohammed Al-Owais, erwischte den Abpraller aber selbst noch reaktionsschnell und tänzerisch elegant vor der Torauslinie, legte nach einer Pirouette quer auf Piotr Zielinski, der nur noch einschießen musste. Eine Vorlage wie ein Tor.
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Und acht Minuten vor Schluss stand Lewandowski dann zu nah an Verteidiger Abdulellah al-Malki. Der stoppte den Ball nicht sauber, Lewandowski schnappte ihn sich, schoss das 2:0. Der Stürmer des FC Barcelona, der nach seinen Toren oft choreographiert mechanisch jubelt, lag erst mal vor Erleichterung mit dem Gesicht auf dem Rasen und verdrückte wohl sogar ein paar Tränen. Es war im fünften Spiel sein erstes Tor bei einer Weltmeisterschaft. Im Auftaktspiel gegen Mexiko hatte er noch einen Elfmeter verschossen.
Es war ein am Ende bitteres 0:2 für Saudi-Arabien und seine Fans, die im Education City Stadion eine fantastische Atmosphäre erzeugten, sogar eine Choreographie mit einem grün-weißen Herz vorbereitet hatten. Ja, auch das gibt es hier. Es hatten auch nicht alle Karten bekommen, auch die Fan-Zonen waren voller grün-weiß gekleideter Menschen, die aus dem benachbarten Königreich über die Grenze kamen. Still waren sie erst in Nachspielzeit - da hörte man nur den kleinen polnischen Block, wie er Robert Lewandowski feierte.
Szczesny hält erst den Elfmeter, dann den Nachschuss
Das war zu Beginn gar nicht abzusehen, Saudi-Arabien startete extrem mutig gegen den ja eigentlich immer-noch Favoriten aus Europa. Der wirkte überrumpelt vom aggressiven Anlaufen des Gegners, kam überhaupt nicht ins Spiel. Nach 13 Minuten lenkte Wojciech Szczesny einen Schlenzer von Mohamed Kano gerade so noch über die Latte. Polen reagierte mit Härte gegen die Ambitionen des Außenseiters, sah innerhalb von drei Minuten zwischen der 16. und 19. Minute dreimal Gelb, alle Karten wegen zu harter Fouls.
Das klappte ein bisschen, aber besser wurde das Spiel dadurch nicht. Lewandowski kam erst nach gut einer halben Stunde immer mal wieder an den Ball, wurde von saudischen Verteidigern hart bewacht, in der 37. Minute trat er in einem dieser Zweikämpfe Ali al-Bulaihi unglücklich auf den Arm, der Verteidiger musste behandelt werden, konnte aber weitermachen.
Nach dem polnischen Tor hatte das Team des französischen Trainers Herve Renard die beste Chance auf den Ausgleich - einen Elfmeter. Krystian Bielik foulte Saleh al-Shehri, Schiedsrichter Wilton Sampaio aus Brasilien gab den Strafstoß nach Studium der Videobilder - zwei saudische Spieler sanken nach der Entscheidung wie zum Gebet auf den Rasen. Kapitän Salem Al-Dawsari trat an, Szczesny hielt, nicht nur den Elfmeter, sondern auch noch den Nachschuss nach einem bemerkenswerten Reflex. "Er hat dieses Spiel gewonnen", sagte Trainer Renard nach dem Spiel zur Leistung von Szczesny.
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Dass der Torwart von Juventus Turin dann auch in der zweiten Halbzeit der wichtigste Mann der Polen war, sagte viel über den Spielverlauf aus. In einer unübersichtlichen Situation im eigenen Strafraum klärte er wieder final gegen Al-Dawsari, in der 60. Minute musste er nur deswegen nicht eingreifen, weil der Schuss von Firas al-Buraikan nach einer schönen Kombination drüber ging. Saudi-Arabien hätte zu diesem Zeitpunkt den Ausgleich mehr als verdient und zeigte, dass der Sieg gegen Argentinien kein Zufall war.
Polen fehlte zwar spielerische Klasse, doch im Gegensatz zum Gegner hatten sie Wucht im Strafraum. Erst knallte Arkadiusz Miliks Hechtkopfball an die Latte, dann spitzelte Lewandowski einen Querpass noch Richtung Pfosten. Eine Viertelstunde vor dem Ende zischte dann wieder ein Schuss von Saudi-Arabien knapp vorbei. Es war ein 2:2-Spiel, das sich als 2:0 verkleidet hatte.
Für Polen geht es nun ums Weiterkommen gegen Argentinien, das bei einer Niederlage am Samstagabend gegen Mexiko raus wäre. Saudi-Arabien wird gegen Mexiko ums Achtelfinale spielen. Die Partie findet zum Glück im Finalstadion mit seinen 80 000 Plätzen statt. Nach den Eindrücken der ersten WM-Woche könnte es das stimmungsvollste Spiel dieser WM werden, auch Mexiko hat sehr viele Fans nach Katar mitgebracht. Obwohl die Anreise sehr viel weiter war.