Süddeutsche Zeitung

Fußball-WM:Ohne Russland, mit russischer Mannschaft

Trotz des angeblich strengen Vier-Jahres-Bannes könnte die Sbornaja in Katar teilnehmen.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Der Fußball gehört zu den Sportarten, in denen Russlands Einfluss hinter den Kulissen besonders groß ist. Insbesondere das Verhältnis zwischen Russlands Staatschef Wladimir Putin und dem Weltverbands-Chef Gianni Infantino ist erkennbar auffallend eng. Nun darf Infantino, dem Putin jüngst einen Orden anpinnte, auch noch ins IOC einrücken; er wird dort die ohnehin massive Pro-Moskau-Fraktion verstärken. Die Fifa wollte sich nicht zur Entscheidung der Welt-Anti-Doping-Agentur und zu deren Folgen für den Fußball äußern. Sie teilte nur mit, dass sie diese zur Kenntnis nehme. In Hinblick auf Infantinos Vorliebe für Alleingänge und seine engen Drähte zu Putin ist allerdings zu erwarten, dass der Beschluss faktisch keine Auswirkungen auf eine Fußball-WM-Teilnahme Russlands haben, wohl aber zu absurden Konstellationen führen dürfte.

Trotz des angeblich strengen Vier-Jahres-Bannes könnte die Sbornaja an der nächsten WM 2022 in Katar teilnehmen. Nächstes Jahr beginnt bereits die Qualifikation für das Turnier, und hier darf die russische Fußballnationalmannschaft laut der Wada-Prüfkommission ganz normal teilnehmen. In russischen Nationaltrikots, unter russischer Flagge, zur russischen Hymne. Das Argument: Die Qualifikation sei ja kein Turnier, bei dem der Weltmeister ausgespielt werden würde.

Sollte sich das russische Team einen der 13 europäischen WM-Startplätze erkämpfen, dürfte es in Katar laut den Regeln dann nicht als Mannschaft antreten, die Russland repräsentiert. Ein Problem wäre das nicht. Jonathan Taylor, der Chef der Wada-Prüfkommission, zeigte am Montag das Hintertürchen auf: "Wenn ein entsprechender Mechanismus eingeführt wird, können sie beantragen, auf neutraler Basis anzutreten."

Das heißt, dann könnten die russischen Fußballer, die als russische Nationalmannschaft die Qualifikation für Katar geschafft haben und den Integritätscheck der Wada überstehen, eine Mannschaft bilden und an der WM teilnehmen. Sie müssten dies nur in anderen Trikots, unter neutraler Flagge und unter einem anderen Namen als "Russland" tun. Aber "unabhängige Fußballer aus Russland" wäre in Analogie zum russischen Olympiakader bei den Winterspielen in Pyeongchang 2018 eine Alternative, mit der sich bestens leben ließe - und ein Shirt, das farblich ans eigene Nationaltrikot erinnert, dürften die Designer in Moskau auch hinkriegen.

Für alle anderen wichtigen Fußball-Wettbewerbe hat der Wada-Spruch überhaupt keine Konsequenzen: nicht für den Europapokal, nicht für das in Sankt Petersburg geplante Champions-League-Finale 2021 und nicht einmal für die erstmals europaweit ausgetragene Europameisterschaft im kommenden Jahr. In Sankt Petersburg können wie geplant drei EM-Gruppenspiele sowie ein Viertelfinale veranstaltet werden, und die Sbornaja darf in diesem Turnier auch ganz normal als Sbornaja antreten.

Das Argument der Welt-Anti-Doping-Agentur: Die EM sei nur ein kontinentales und somit regionales Ereignis. Zudem hat die Uefa den Wada-Code, der die Sanktionen bei Dopingvergehen regelt, formal noch gar nicht unterschrieben. Aber die EM als regionales Ereignis zu klassifizieren, ist durchaus eine bemerkenswerte Einschätzung für eine Veranstaltung, die nach der Fußball-WM und den Olympischen Spielen als drittwichtigstes Sportereignis des Globus gilt.

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SZ vom 10.12.2019
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