Vor der Fußball-WM:Ronaldo entfernt sich von seinem Mythos

Vor der Fußball-WM: Spötter empfehlen flüssige Nahrung: Cristiano Ronaldo entfernt sich immer mehr vom eigenen Mythos.

Spötter empfehlen flüssige Nahrung: Cristiano Ronaldo entfernt sich immer mehr vom eigenen Mythos.

(Foto: Octavio Passos/Getty)

In nahezu letzter Minute sichert sich Spanien einen Platz im Final-Four-Turnier der Nations League - und befeuert bei Nachbar Portugal die Debatte um den zusehends alternden Cristiano Ronaldo.

Von Javier Cáceres

Vielleicht war es wirklich nicht der ideale Moment, um die Lebensplanung zu debattieren. Aber dass Luis Enrique Martínez, Spaniens Trainer, nach dem 1:0-Sieg defätistisch daherkam, überraschte dann doch. "Bah!", rief Luis Enrique in das Mikrofon des spanischen Senders TVE: "Die Zukunft existiert nicht!"

Der Ausruf war die Antwort auf eine Frage, über die bislang nur im Hintergrund diskutiert worden war - und die in den kommenden Woche zunehmend Relevanz bekommen dürfte: ob Luis Enrique, 52, seinen Vertrag verlängern wird. Seine Bindung an den spanischen Verband RFEF endet mit der diesjährigen Weltmeisterschaft, bei der sich Spanien in der Vorrunde auch mit Deutschland auseinandersetzen muss, am 2. Spieltag der Gruppe E (27. 11.). Die Gelegenheit, ihn auf seinen weiteren Karriereplan anzusprechen, war günstig: Durch den Sieg in Portugal hatte Spanien das Final-Four-Turnier der Nations League erreicht, im Juni treffen die Iberer an einem noch nicht bestimmten Ort auf Kroatien, die Niederlande und Italien.

Angesichts der Weltläufe ist kaum zu bestreiten, dass jeder Pessimismus gerechtfertigt ist. Doch dass Luis Enrique das Angebot ausschlug, über seine Pläne zu sprechen, lag eher daran, dass er ganz rational den Moment als solchen auskosten wollte - zumal er noch angefüllt war von der Euphorie, die das späte Siegtor verursacht hatte.

Ein Punkt hätte den Portugiesen für den Einzug in die attraktive Schlussrunde der Nations League gereicht

Erst in der 88. Minute trafen die Spanier durch Álvaro Morata zum Sieg, der Stürmer von Atlético Madrid stürmte sofort zu Nico Williams (Athletic Bilbao), der in seinem zweiten Länderspiel für Spanien den Treffer per Kopfballablage vorbereitet hatte und seine Aussichten auf eine Nominierung für die WM verbesserte. "Dieses Tor gehört Dir!", habe Morata gerufen, berichtete Williams, der zusammen mit Sergio Busquets und Pedri, die ebenfalls eingewechselt worden waren, die Partie zugunsten der Spanier gekippt hatte.

Vor der Fußball-WM: Spaniens Siegtorschütze Alvaro Morata (rechts) jubelt an der Seite von Nico Williams

Spaniens Siegtorschütze Alvaro Morata (rechts) jubelt an der Seite von Nico Williams

(Foto: Miguel Riopa/AFP)

Die Spanier hatten in der ersten Halbzeit dröge gewirkt; die Schuld für das sterile Hin- und Hergeschiebe des Balles nahm Luis Enrique hernach auf sich. Er habe sein Team zu eindringlich gemahnt, Pässe in bestimmte Gefahrenzonen zu unterlassen, zur Halbzeit korrigierte er die ursprünglichen Anweisungen. Er forderte und bekam mehr Tiefe. Die Portugiesen hatten sich in Sicherheit gefühlt, ein Punkt hätte ihnen für den Einzug in die überaus attraktive Schlussrunde der Nations League im kommenden Juni gereicht. Doch am Ende zahlten sie einen hohen Preis, für den konservativen Ansatz des Trainers Fernando Santos ebenso wie für die Chancen, die sie ausgelassen hatten. Auch Cristiano Ronaldo, der wie seine Kameraden am überragenden spanischen Torwart Unai Simón scheiterte.

Der mittlerweile 37 Jahre alte Stürmer von Manchester United entfernt sich immer mehr vom eigenen Mythos. Früher spielte er im Stile eines Großgrundbesitzers und beackerte unendliche Felder, mittlerweile beschränkt sich sein Aktionsradius auf einen kleinen Garten, lästerte die spanische Zeitung El País im Vorfeld der Partie. So deutlich mag das in Portugal niemand sagen, noch ist der Mythos ist zu groß. Rund um die 60. Minute rief das Publikum in Braga seinen Namen.

Doch der Zweifel, ob Portugal ohne Ronaldo besser spielen würde, drängt sich derart penetrant auf, dass sich Bruno Fernandes, ebenfalls bei Manchester United unter Vertrag, zu einer Verteidigungsrede bemüßigt fühlte. "Wir sollten nicht vergessen, dass er immer noch der Nationalmannschafts-Rekordtorschütze ist", sagte Fernandes: "Fangt jetzt also nicht mit irgendwelchen Märchen an. Sobald er trifft, wird er die Ruhe haben, um noch mehr Tore für uns zu erzielen." Bislang waren es 117 Treffer in 189 Partien.

Die anschwellenden Debatten um seine Amtsführung jucken Portugals Trainer Fernando Santos nicht

Ronaldos Ziel, sein Tore-Konto zu verbessern, ist weiterhin aktuell. Obschon er allmählich in ein Alter kommt, in dem er sich zunehmend unverschämte Vergleiche gefallen lassen muss. So schrieb jüngst das Sportblatt Marca, er solle besser auf feste Nahrung verzichten und "auf Suppen umsteigen". Ronaldo selbst sieht sich noch auf Jahre hinaus in Portugals Nationalmannschaft. Ungeachtet der Tatsache, dass ihm Stürmer wie Diogo Jota (Liverpool) oder Rafael Leão (Milan) den Rang ablaufen.

Dass Ronaldo nach Ende der Partie wieder einmal die Kapitänsbinde fortwarf, war nur seinem Zorn über das bittere Nations-League-Aus geschuldet. Sein Ziel bleibt es, an der kommenden Europameisterschaft teilzunehmen, sie wird 2024 in Deutschland ausgetragen. Auch Trainer Fernando Santos, 67, möchte dabei sein, die anschwellenden Debatten um seine Amtsführung juckten ihn nicht, sagte er. "Mein Vertrag läuft bis 2024. Direkter kann ich es nicht sagen", erklärte Santos. Doch ob für ihn eine Zukunft im Verband existiert, dürfte vor allem vom Abschneiden der Portugiesen bei der WM abhängen.

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