Fußball-WM:Mexiko kämpft gegen den Achtelfinal-Fluch

Mexico Training & Press Conferece - FIFA World Cup Russia 2018

Die mexikanischen Mannschaft im Stangenwald vor dem Spiel gegen Brasilien.

(Foto: Getty Images)
  • Seit 1986 sind die Mexikaner bei Weltmeisterschaften spätestens im Achtelfinale ausgeschieden.
  • Heute soll diese Regel gegen Mitfavorit Brasilien gebrochen werden.
  • Mexikos Hoffnung basiert auf dem Sieg über Deutschland, einem baskischen Motivationstrainer und dem Geist von Olympia.

Von Javier Cáceres, Samara

Seit ein paar Tagen hat Imanol Ibarrondo, 51, wieder etwas mehr Arbeit. Vielleicht nicht ganz so viel wie damals, als er seinen Job als Mentalcoach der mexikanischen Nationalmannschaft antrat. Und auch nicht ganz so viel wie unmittelbar vor Beginn der WM, als die Zeitungen weltweit voll waren mit Berichten über die Abschiedsparty der Mexikaner, an der 30 Escort-Damen teilgenommen haben sollen. Ibarrondo hat unter anderem Héctor Herrera, einen Schlüsselspieler der Mexikaner, auf der Reise zur erzürnten Ehefrau begleitet, die er zu besänftigen half.

Aber ein paar Dinge musste Ibarrondo, der baskische Motivationskünstler, zuletzt in seinen Gruppensitzungen ohne Trainerstab schon aufräumen. Denn nach dem Hochgefühl des 1:0-Gruppensiegs gegen die deutsche Mannschaft im WM-Auftaktspiel und dem darauf folgenden 2:1 gegen Südkorea verlor Mexiko das letzte Gruppenspiel gegen Schweden 0:3; fast wäre das Team noch ausgeschieden. Seine Aufgabe vor dem Achtelfinalspiel an diesem Montag gegen Brasilien in Samara beschreibt der Experte wie folgt: Es gelte, "die Emotionen nach einer fürwahr enttäuschenden Niederlage zu prozessieren".

Bei der WM spielt Mexiko gegen die eigene Vergangenheit

Es ist nicht wenig, was auf den Mexikanern lastet, und das hat nicht nur mit der jüngeren Vergangenheit zu tun. "Das letzte Spiel markiert den emotionalen Zustand bei der nächsten Partie", erklärt Ibarrondo, der selbst Fußballer war, auf beachtlichem, wenn auch nicht auf höchstem Niveau. Die ältere Vergangenheit indes wiegt mindestens ebenso schwer. Seit Jahrzehnten rennt Mexiko dem "fünften Spiel" hinterher: Bei Weltmeisterschaften war seit 1986 noch stets nach dem vierten Spiel, dem Achtelfinale also, Schluss. "So viel Druck ist keine Tugend, sie kann in Obsession umschlagen", befindet Ibarrondo, der nach einer wahrlich bedrückenden Niederlage verpflichtet wurde. 2016, nachdem die mexikanische Nationalelf bei der Copa América in den USA gegen den späteren Champion Chile verlor. 0:7.

Dass Juan Carlos Osorio trotz jener peinlichen Pleite Trainer bleiben durfte, war ein Wunder - es ließ die Anfeindungen, denen er ausgesetzt war, aber bis in die WM hinein zunächst so unzerstörbar erscheinen wie die Azteken-Pyramiden von Teotihuacán. Doch nach dem Sieg gegen die Mannschaft von Joachim Löw war in den mexikanischen Zeitungen dann viel davon die Rede, dass man ihm vielleicht doch eine Vertragsverlängerung anbieten sollte.

Die neue Sympathie für den kolumbianischen Fußball-Lehrer hat sich zwar noch nicht wieder ins Gegenteil verkehrt. Aber Osorio sah sich schon wieder in die Defensive getrieben: "Wir sind weitergekommen, weil wir gegen Deutschland und Korea gewonnen haben", betonte er nach der Niederlage gegen Schweden. Um der Interpretation zu widersprechen, die in dem nordamerikanischen Land kursiert: Mexiko sei nur in der nächsten Runde, weil Deutschland gegen Korea verloren habe.

Der Underdog auf olympischen Spuren

Nach der Niederlage gegen Schweden hat Trainer Osorio alle Schuld auf sich genommen. "Wegen des Vertrauens, das ich in meine Leute hatte, habe ich mir gesagt: Diesmal richten wir uns nicht nach dem Gegner aus, wir setzen unseren Stil durch." Der Respekt gegenüber den Brasilianern ist groß genug, dass kein Mexikaner auf die Idee kommt, die Rolle des Underdogs abzulehnen, die Osorio nun anstrebt. Vier Mal sind die Mexikaner bei Weltmeisterschaften auf Brasilien gestoßen (1950, 1954, 1962, 2014), nie haben sie gewonnen.

Das 0:0, das die Mexikaner vor vier Jahren in Fortaleza dank Torwart Guillermo Ochoa retteten, war das beste Resultat gegen den fünfmaligen Weltmeister. Gleichwohl schöpfen die Mexikaner Kraft aus einem Duell mit den Brasilianern: Bei den Olympischen Spielen von London 2012 holte Mexiko Gold - und in Russland sind gleich sieben Olympiasieger dabei, darunter der Frankfurter Marco Fabián. Auf Seiten der Brasilianer wiederum stehen vier Spieler, die in der Hauptstadt Großbritanniens nur Silber holten: die Außenverteidiger Marcelo, Danilo, Kapitän Thiago Silva und Stürmer Neymar Jr.

Beim Duell gegen Brasilien soll auch die Erinnerung an das Auftaktspiel gegen Deutschland eine Rolle spielen, das übrigens mit einem freien Tag gefeiert wurde (offenbar ohne Escorts, die Ehefrauen sind nach Russland gereist). "Wir hatten noch nie gegen Deutschland bei einer WM gewonnen, daran werden wir uns festhalten", sagte Kapitän Andrés Guardado, "wir sind hierher gekommen, um Geschichte zu schreiben."

Eine Bestmarke könnte unabhängig vom Ergebnis der Veteran Rafael Márquez, 39, aufstellen. Sollte er zum Einsatz kommen, wäre er der erste Spieler, der bei Fußball-Weltmeisterschaften in fünf Achtelfinals eingesetzt wurde. Die mögliche Kehrseite des Rekords: Er könnte auch der erste Spieler der WM-Geschichte werden, der fünfmal im Achtelfinale scheitert.

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