Fußball-WM:Messi prallt am Eiswall ab

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Erdrückt von der ganzen Last: Lionel Messi nach dem WM-Spiel gegen Island. (Foto: AFP)
  • Lionel Messi muss beim WM-Mitfavoriten Argentinien die ganze Last der Erwartung schultern.
  • Die Fans verehren ihn ikonenhaft, doch im entscheidenden Moment patzt Messi.
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Von Martin Schneider, Moskau

Sie wollten Messi und Messi erschien. Gut, es war sein Foto, gut, es war auf der Leinwand, aber das Abbild des Heilands reichte schon, um die argentinischen Fans im Spartak-Stadion in Moskau zum Schreien zu bringen. Minuten später lief Messi dann wahrhaftig aus der Kabine auf den Platz, als erster Spieler seiner Mannschaft. Er wollte sein Team an der Spitze in die Weltmeisterschaft führen, die er vor vier Jahren in Rio gegen Deutschland verloren hatte - das war seine Botschaft und jeder in Himmelblau-Weiß verstand sie. Im Stadion hingen Fahnen: Messi mit Heiligenschein, Messi mit Pilgerstab, Messi mit Heiligenschein, der den WM-Pokal von einem Maradona mit Heiligenschein überreicht bekommt. Unter ikonenhafter Religiosität ging nichts.

Und dann kam die 64. Minute: Elfmeter für Argentinien gegen Island, Spielstand 1:1. Messi klemmte sich den Ball unter den Arm wie ein Junge, der zum Bolzplatz geht. Er legte ihn auf den Punkt, ging sechseinhalb Schritte zurück, lief an, schoss schlecht, halbhoch, dankbar für Torwart Hannes Halldorsson, der später sagen sollte, dass ein Traum wahr wurde, als er den Strafstoß parierte.

Messi ging dann aus dem Strafraum, die argentinische Kurve skandierte nur Sekunden nach dem Fehlschuss "Meeeeeessssssi, Meeeeeesssssi". Es wurde zum choralen Gesang und als er sich Minuten nach seinem verschossenen Elfmeter den Ball zu einem Freistoß zurechtlegte, warfen viele Menschen auf der Tribüne beide Arme in einem großen Bogen vor sich auf und ab, als wollten sie sich mehrfach vor ihrem Schützen niederwerfen. Ein ganzes Land zwischen Anden und Rio de la Plata ist davon überzeugt, dass nur dieser Mann aus Rosario Argentinien zum Licht führen kann. Dafür sind sie über den Ozean von Buenos Aires nach Russland geflogen. Den Freistoß schoss er dann drüber.

Messi sagt nicht viel, nur: "Es tut mir weh"

Dieses argentinische 1:1 zum Auftakt gegen Island hat viel mit Messi zu tun, der später nicht viel sagte, außer, dass ein Sieg wichtig gewesen wäre und: "Es tut mir weh, den Elfmeter verschossen zu haben." Sein Trainer, Jorge Sampaoli, meinte "Leo Messi zu bewerten ist schwer". Islands Stürmer und Torschütze Alfred Finnbogason vom FC Augsburg hatte dagegen keine Probleme damit und meinte: "Er hatte nicht seinen besten Tag."

Am Abend zuvor hatte dagegen Cristiano Ronaldo einen seiner besten Tage erwischt, hatte drei Tore geschossen und der seit Jahren gültige Zweiklang des europäischen Fußballs lautet ja: Der eine legt vor, der andere zieht nach. Und dass Messi nachziehen wollte, das sah man. Er wollte. Unbedingt. Das argentinische Spiel ist so strukturiert, dass alle eine taktische Aufgabe zu erfüllen haben - außer Messi. Der wartet auf seinen Moment.

Dann wirkt er zuweilen wie ein Spaziergänger, schlendert über das Spielfeld, beobachtet die Kollegen. Die Statistik erklärte nachher, dass Messi knapp siebeneinhalb Kilometer gelaufen war (normalerweise rennen Fußballer auf dem Niveau mindestens zehn). Aber Messi kam noch nie über den Dauerlauf. Er braucht diese eine Aktion. Das normale Spiel strukturiert bei Argentinien der schlachtenerfahrene Javier Mascherano, aber wenn Messi der Meinung ist, seine Zeit ist gekommen, dann gibt er ein Zeichen und der Ball kommt zu ihm.

Argentinien hat nominell eine der besten Offensiven des Turniers: Sergio Agüero, Gonzalo Higuaín, Paulo Dybala, Ángel Di María - aber sie alle müssen zurückweichen, wenn Messi das will. "Wir müssen genau verstehen, was Messi braucht", hatte Trainer Sampaoli angekündigt, "und er muss auch wissen, was seine Teamkameraden brauchen".

Ein Mann namens Birkir Saevarsson bolzt Messi die Pille weg

Wer die 90 Minuten gegen Island beobachtete, der sah, dass vor allem die erste Hälfte dieser Aussage relevant ist. Je länger das Spiel dauerte und je länger es 1:1 stand, desto mehr versuchte Messi zu führen. Er holte sich die Pässe immer früher ab, rannte alleine auf ganz Island (genauer gesagt auf 0,000032 Prozent der Bevölkerung) zu, aber wenn er an drei Spielern vorbei war, dann standen da noch viele weitere. In der 78. Minute sprintete Messi mal ohne Ball los, nahm eine Flanke elegant im Sprung an, es sah nach dem einen Messi-Moment aus - und dann kam ein Mensch namens Birkir Saevarsson, 33 Jahre alt, der für Knattspyrnufélagið Valur im Osten Reykjaviks spielt und bolzte ihm die Pille weg.

Die Dramatik dieses Spiels wollte es dann noch, dass Messi in der Nachspielzeit einen Freistoß schießen durfte. Gegen Spanien hatte Ronaldo in der 88. Minute getroffen, weil er den Ball rechts um die Mauer drehte. Jetzt lag die Kugel so, dass Messi ihn links um die Mauer hätte drehen können. Er schoss dann in die weiße Wand, und irgendwie musste das passieren, weil es sein Spiel einfach wunderbar zusammenfasste: abgeprallt an Islands Eiswall.

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Argentinien hat sich eindeutig entschieden, sein Schicksal auf den linken Fuß seiner Nummer zehn zu legen und Messi hat beschlossen, diese Last zu schultern. Die nächsten Spiele gegen Kroatien und Nigeria werden zeigen, ob er sich nicht vielleicht doch beim Tragen helfen lassen will. Das einzige Tor dieser Partie für Argentinien erzielte übrigens Agüero. Messi hatte mit dem Spielzug nichts zu tun.

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