Süddeutsche Zeitung

Trainer Walid Regragui:Das ist Marokkos Beziehungspfleger

Dass das Land im WM-Viertelfinale steht, hat viel mit Coach Regragui zu tun. Er begann seine Arbeit erst vor drei Monaten, doch in kurzer Zeit hat er sich bei den Spielern beliebt gemacht - besonders bei dem wichtigsten.

Von Sebastian Fischer, Doha

Für Fatima Regragui hat sich die erste Reise ihres Lebens zu einem Fußballturnier jetzt schon gelohnt. Nicht einmal in 50 Jahren habe sie ihre Heimat Paris verlassen, um ein Spiel zu sehen, sagte sie jüngst dem marokkanischen Sportsender Arriyadia. Und das, obwohl ihr Sohn zunächst Fußballprofi war, unter anderem in Spanien spielte, und dann Fußballtrainer wurde, mit Stationen bei Vereinen in Marokko und Katar.

Nun, gleich beim ersten Mal, da sie ihn in der weiten Welt bei der Arbeit erlebt, erlangt er Berühmtheit: Walid Regragui, 47, der Nationaltrainer Marokkos, ist durch den Viertelfinaleinzug seiner Mannschaft der erfolgreichste afrikanische Trainer in der WM-Geschichte. Nach dem Sieg im Elfmeterschießen gegen Spanien im Achtelfinale küsste er seiner Mutter die Stirn, festgehalten in einem Video in den sozialen Medien.

Dass die Marokkaner, Trainer und Spieler, in Katar von ihren Familien begleitet werden, ist eine von vielen Geschichten, die das Team hervorheben aus dem Feld der Viertelfinalisten. Angeblich war das die Idee vom Verbandspräsidenten - und von Regragui. Was auf einen entscheidenden Aspekt seiner Arbeit hinweisen würde, dessentwegen er überhaupt diesen Job ausüben kann: Die Pflege von Beziehungen ist ihm sehr wichtig.

Im marokkanischen Nationalteam eskalierte zu Beginn dieses Jahres ein Streit. Hakim Ziyech, der berühmteste Fußballer des Landes, trat aus dem Nationalteam zurück, weil ihn der damalige Trainer Vahid Halilhodzic nicht für den Afrika-Cup nominiert hatte. Es ging, wie so oft im Fußball in solchen Angelegenheiten, offenbar um den Vorwurf mangelhafter Einstellung gegen den für seine Dribblings bekannten Flügelspieler.

Mit Wydad Casablanca wurde er Meister und afrikanischer Champions-League-Sieger - und trat dann zurück

Weil vor allem Fans und Medien Ziyech zur WM aber wieder im Nationaltrikot sehen wollten, verlor der Trainer den Machtkampf und wurde drei Monate vor WM-Beginn entlassen. Es war schon das dritte Mal, dass der Bosnier Halilhodzic, 70, zwar die WM-Qualifikation schaffte, aber nicht an der WM teilnahm. Und es bot die Gelegenheit für Regragui, der gerade ohne Anstellung war, obwohl er noch im Sommer seine erfolgreichste Zeit als Vereinstrainer erlebt hatte.

Geboren in der französischen Gemeinde Corbeil-Essonnes nahe Paris, hatte er eine Karriere als Spieler vor allem in französischen Klubs absolviert, mit der Auslandsstation Racing Santander. Und er spielte für Marokko, das Geburtsland seiner Eltern. 44 Mal, unter anderem bei zwei Afrika-Cups.

Als Trainer arbeitete er zu Beginn seiner Laufbahn ein paar Monate lang als Assistenzcoach der marokkanischen Nationalmannschaft, bevor er als Chef beim Klub FUS Rabat in drei Jahren einmal Meister und einmal Pokalsieger wurde. Nach acht Monaten bei Al-Duhail in Katar übernahm er den Traditionsklub Wydad Casablanca, wurde auf Anhieb Meister und afrikanischer Champions-League-Sieger - und trat zum Bedauern der Fans zurück. Einen Monat später begann er seinen Job als Nationaltrainer.

Ziyech sei "wie Neymar für Brasilien oder Mbappé für Frankreich", sagt Regragui

Was er in der kurzen Zeit anders machte? Einen entscheidenden Unterschied zu seinem gefeuerten Vorgänger hat Regragui nach dem Sieg im Achtelfinale erklärt, als er über seine Beziehung zu den Spielern und insbesondere zu Ziyech sprach, der bei der WM in starker Form ist. "Manche Trainer sagen, alle Spieler müssen gleich behandelt werden", sagte Regragui. "Doch Hakim ist nicht irgendein Spieler. Ich zeige ihm Liebe und Respekt, denn das hat er verdient." Ziyech sei "wie Neymar für Brasilien oder Mbappé für Frankreich. Du kannst ihn nicht wie die anderen Spieler betrachten, er ist der beste Spieler".

Es ist aber nicht nur die Ergebenheit vor Ziyech, die den Trainer auszeichnet. Der ehemalige deutsche U21-Nationalspieler Abdelhamid Sabiri, bislang in Katar einmal in der Startelf und dreimal eingewechselt, sagte über Regragui: "Für unser Team ist er der beste Trainer, den wir haben können. Weil er uns versteht, weil er kein Ego hat, sondern das Beste fürs Team will." Angeblich hauen ihm die Spieler im Training manchmal freundschaftlich auf den Kopf, dessen Form in Marokko mit der einer Avocado verglichen wird. "Vielleicht bringt ihnen das Glück", sagte Regragui.

Auf dem Platz fällt Marokko vor allem mit Defensivarbeit auf, was gegen Spanien den bisherigen Höhepunkt erreichte. In zwei Viererketten verteidigte Marokko, mit dem überragenden Sofyan Amrabat als Türsteher vor der Abwehr dazwischen. Nur ein Tor musste Marokkos Torwart Bono im Turnier bislang zulassen - ein Eigentor.

Eine taktisch disziplinierte Mannschaft ist meist nicht das schlechteste Argument für ihren Trainer. "Wir verfolgen unseren Matchplan, wir haben auf das Elfmeterschießen hingearbeitet", sagte Sabiri. Und Regragui erklärte, er sei nun mal ein logisch denkender Coach. Die 20 vorherigen Auftritte Spaniens habe er gesehen und geschlussfolgert, dass Ballbesitz eine Seltenheit sein würde. "Wir mussten extrem gut organisiert sein", sagte er.

14 Spieler im Kader sind außerhalb des Landes geboren, mehr als bei jedem anderen Team der WM

Die Beziehungspflege mit seinen Spielern, die Vermittlung der passenden Taktik - bleibt noch die Auswahl der richtigen Fußballer, die das Schaffen eines Nationaltrainers bei einem Turnier definiert. Und das war ein umstrittenes Thema in Marokko vor der WM.

14 Spieler im Kader sind außerhalb des Landes geboren, mehr als bei jedem anderen Team der WM. Vier kamen erst in den Monaten vor Turnierbeginn hinzu. Es habe viele Probleme gegeben, sagte Regragui, er habe viel dafür kämpfen müssen, die Vorurteile abzubauen. Er warb dafür, viele Fußballkulturen zu vereinen.

Es ging dabei natürlich immer auch um seine Geschichte, als in Frankreich geborener Marokkaner. Doch diese Geschichte ist inzwischen die des ersten afrikanischen Trainers in einem WM-Viertelfinale. Was ihm das bedeute, wurde er gefragt. Nichts, sagte er. Es gehe um Kompetenz, nicht um die Herkunft, dafür habe er gearbeitet. Aber marokkanische Trainer könnten viel schaffen, wenn man ihnen vertraue. "Das ist die Botschaft, die ich senden will."

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