Süddeutsche Zeitung

Fußball-WM:Kanada hat immerhin viel gelernt

Alphonso Davies erzielt gegen Kroatien den ersehnten ersten WM-Treffer für sein Land - das Turnier endet für die Kanadier trotzdem nach der Vorrunde. Jedoch mit wichtigen Lektionen für die Heim-WM 2026.

Von Felix Haselsteiner

Was Alphonso Davies in der ersten Minute der zweiten Weltmeisterschafts-Partie seiner Karriere tat, dürfte die fußballinteressierte Öffentlichkeit zwischen München und Vancouver kaum überrascht haben: Er sprintete quer über das Feld. Die Mehrheit der Spiele dieser Weltmeisterschaft hat bislang recht gemächlich begonnen, weshalb sich die Kroaten auch von Davies' Sprint nicht allzu sehr in ihren Defensivbemühungen anspornen ließen, als der Ball in ihre Hälfte kam. Bis auf einmal eine Halbfeldflanke heranflog - und der Außenverteidiger des FC Bayern längst im Strafraum angekommen war, wo er kurz abhob und dann das 1:0 erzielte. Es war ein Tor von historischer Bedeutsamkeit für sein Land.

Kanadas erster Treffer bei einer Weltmeisterschaft überhaupt bestätigte den Eindruck aus dem ersten Spiel, in dem die Mannschaft schon überzeugt hatte mit ihrem mutigen Offensivspiel, das lediglich an belgischer Kaltschnäuzigkeit und Davies' Nerven beim Elfmeterschießen scheiterte. 0:1 hatte es am Ende geheißen, unverdient und daher umso ernüchternder.

In Erinnerung bleiben werden auch die Erfahrungen einer WM-Bühne, bei der jedes Wort auf der Goldwaage liegt

Die Geschichte sollte sich wiederholen, denn auch gegen Kroatien war Davies früher Treffer zwar die Ouvertüre zu einer couragierten Leistung, bei der allerdings offensichtliche Mängel zu sehen waren: 4:1 gewann Kroatien am Ende und schaffte sich damit eine hervorragende Ausgangsposition für den Achtelfinaleinzug - während fest steht, dass Kanada bereits nach der Gruppenphase die Heimreise antreten wird.

In Erinnerung bleiben werden den Nordamerikanern neben zwei guten Auftritten auch die Erfahrungen einer Weltmeisterschaftsbühne, bei der jedes Wort auf der Goldwaage liegt. Insbesondere wenn es mit "F" beginnt und mit "uck" endet. Kanadas Trainer John Herdman hatte in seiner Euphorie nach dem Belgien-Spiel mit jener drastischen Vokabel angekündigt, man solle sich nicht allzu sehr um Kroatien sorgen. Das hatte ihm eine Antwort von Kroatiens Trainer Zlatko Dalic ("Wir sind der WM-Zweite. Wir erwarten Respekt.") eingebracht und eine des Boulevardmagazins 24 Sata, das Herdman auf der Titelseite zeigte, mit einem großen Ahornblatt auf dem Mund und einem kleinen Ahornblatt in unteren Körperregionen.

Dem Vorgeplänkel folgte dann aber der einschüchternde Lauf von Davies, 22, der mit seinem Tor kurzzeitig auch die nicht nur im Boulevard-Trash-Talk erfahrenen Kroaten verunsicherte. Luka Modric und seine Mittelfeldpartner Marcelo Brozovic und Mateo Kovacic brauchten eine Viertelstunde, um mit dem frühen Rückstand zurechtzukommen - dann allerdings drehte sich das Spiel. Die Kroaten, in der ersten Partie gegen Marokko noch auffallend unauffällig in der gegnerischen Hälfte, kamen minütlich besser ins Spiel, kontrollierten das Geschehen und hatten Chancen: Andrej Kramaric erzielte in der 26. Minute das 1:1, wurde allerdings aufgrund einer Abseitsposition zurückgepfiffen.

Ein Sprint wie beim 1:0 ist auch einem dann 26-jährigen Davies noch zuzutrauen

Elf Minuten später fiel dann der Ausgleich: Ivan Perisic legte durch die Beine seines Gegenspielers auf für Kramaric, der ins lange Eck vollendete. Kroatien schien nun auch in Katar die spielerische Leichtigkeit entdeckt zu haben, die Dalics Mannschaft zuletzt im Vorfeld ausgezeichnet hatte. Vor allem Kovacic schaffte im Mittelfeld immer wieder Räume, während Modric und Brozovic absicherten. In der 44. Minute lief dann Außenverteidiger Josip Juranovic, der in der ersten Minute noch Davies allein gelassen hatte, in Richtung des kanadischen Strafraums und fand über Umwege Stürmer Marko Livaja, der aus 15 Metern flach zum 2:1 traf.

Die Halbzeitführung für Kroatien war durchaus verdient und auch in der zweiten Halbzeit blieb das Bild unverändert: Kanada versuchte es immer wieder mit seinen Konterstürmern, ließ aber in der Defensive zu viele Lücken offen. Kramaric hatte in der 54. Minute schon die Vorentscheidung auf dem Fuß, traf allerdings erst in der 70. Minute zum 3:1, erneut auf Vorlage von Perisic. Kurz vor Schluss erzielte Lovro Majer noch das 4:1, mit dem sich die Kroaten nach anfänglichen Problemen in ihrem Status als Titelkandidat zurückmeldeten.

Rein statistisch liest sich Kanadas Bilanz hingegen eher ernüchternd. Die Erfahrungen allerdings dürften für die Kanadier im Hinblick auf die Heim-Weltmeisterschaft 2026 viel wert sein - und die gute Nachricht ist: Ein Sprint wie beim historischen 1:0 ist auch einem dann 26-jährigen Alphonso Davies noch zuzutrauen.

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