Süddeutsche Zeitung

WM-Vorbereitung der deutschen Nationalelf:Quartier in bester Wüstenlage

Lesezeit: 3 min

Die Gruppengegner sind bekannt, nun sucht der DFB eine geeignete Bleibe für die WM in Katar. Bundestrainer Hansi Flick tendiert zur Abgeschiedenheit.

Von Philipp Selldorf

Sollte der eine oder andere deutsche Nationalspieler mit WM-Perspektive dieser Tage mal seine mutmaßliche Unterkunft für die Zeit des Turniers in Katar googeln, wird er womöglich zugleich entsetzt und entzückt sein. Die bebilderte Selbstdarstellung des Zulal Wellness Resort verspricht grüne Gärten und elegantes Interieur, einen Hort geistiger Erbauung und körperlicher Erfrischung.

Allerdings gibt es in der Fotogalerie auch eine entlarvende Luftaufnahme, die den Nationalspieler denken lassen könnte, das präsentierte Paradies sei bloß eine dieser Luftspiegelungen, denen einst in "Tim & Struppi" die Geheimpolizisten Schulze und Schultze aufsaßen. Man sieht zwar die großzügig angeordnete Siedlung inmitten azurblauer Pool-Landschaften, die von grünen Gewächsen umstanden sind. Man sieht aber auch vor den Türen des Resorts die Realität der Wüste, deren Anblick Durst, Hitzewallungen und Gefühle der Verlassenheit auslösen könnte - zumindest bei sensiblen Nationalspielern.

Hansi Flick hat sich dennoch bereits vor einiger Zeit für den just in der Eröffnung befindlichen Komplex an der Nordküste entschieden, der von der Hauptstadt Doha und somit vom Mittelpunkt des Turniergeschehens so weit entfernt liegt, wie es nur irgendwie geht in diesem kleinen Land. "Es ist ruhig, da kannst du das Fenster aufmachen, bist allein. Das wäre eine gute Sache", sagte der Bundestrainer am Rande der Auslosung für die Endrunde. Mit "Abschotten" habe das "nichts zu tun - es geht einfach darum, wo wir die besten Voraussetzungen haben". Die Trainingsplätze sollen ausgezeichnet sein, berichten DFB-Gesandte. An Wasser für den Rasen mangele es dank Meerwasserentsalzungsanlagen nicht.

Verglichen mit den vielen Flugreisen 2014 in Brasilien sind die Transfers in Katar Kaffeefahrten

Dass es außerhalb der bewässerten Hotel-Zone nur Sand und Steine und Hitze gibt, das braucht die Leute vom DFB nicht zu kümmern - außer zum Training und zu den Spielen verlassen die Spieler vermutlich sowieso nicht das Gelände. Schon in ihrem berühmten Selfmade-Quartier in Brasilien 2014, das in einem netten Dorf und am herrlichen Atlantik lag, fanden einige Insassen erst nach Wochen heraus, dass es einen Zugang zum Strand gab. Andere haben das Dorf nie betreten, weil sie den Märchen glaubten, es sei gefährlich dort.

Einen Mietvertrag für das auch diesmal wieder sehr spezielle deutsche Domizil hat das Management des Nationalteams trotz Flicks eindeutiger Präferenz noch nicht vorgelegt. Das hat aber, so heißt es, technische Gründe. Es geht um Verträge und um Kosten, auch die Fifa hat ihre Interessen und redet mit. Dass DFB-Direktor Oliver Bierhoff jetzt noch mal darauf hinwies, es gebe gute Gründe für eine stadtnahe Alternative zum abgelegenen Wellnesstempel, das dient wohl vor allem als entlastendes Argument in den laufenden Verhandlungen.

Flick darf jedoch ganz beruhigt sein, er weiß: Sein Wunsch ist maßgebend. Die Formalitäten kann er getrost der Verwaltung überlassen. Gleich nach der Auslosung am Freitagabend ist er wieder nach Deutschland geflogen, um am Samstag ebenso pünktlich wie pflichtbewusst auf der Tribüne des Stadions in Sinsheim zu sitzen und die Partie zwischen der TSG Hoffenheim und dem VfL Bochum zu besichtigen.

Wie im echten Leben sah er sowohl Erfreuliches - einen Treffer seines erstaunlichen Linksaußen David Raum - und Erschreckendes: zwei Tore von VfL-Angreifer Takuma Asano, mit dem es am 23. November beim Start in die WM ein Wiedersehen geben könnte. In Japans Nationalelf gehört Asano neben dem ehemaligen Sechziger-Löwen, Kölner und Bremer Yuya Osako zur Sturmbesatzung.

Sicherlich wurden bereits in der neuen DFB-Akademie Dossiers zu den beiden angelegt, es wird ja bei der WM grundsätzlich an alles gedacht. Erst recht, wenn es ums Wohnen und Wohlbefinden geht: Zur Unterbringung in Doha fällt Bierhoff auch noch der Vorzug ein, dass der DFB-Tross nicht auf Reisen gehen müsste, um am Tag vor dem Anstoß - wie vom Reglement vorgeschrieben - am Spielort zu sein. Aber im Vergleich mit den langwierigen Flugreisen in Südafrika, Brasilien und Russland sind die Trips in Katar Kaffeefahrten.

Während der Vorrunde lernen die Deutschen lediglich zwei der acht WM-Stadien kennen. Bei ihrem Start-Einsatz gegen Japan am dritten Turniertag geht es ins Khalifa-Stadion westlich von Doha, Ortszeit 16 Uhr (Deutschland: 14 Uhr). Nachmittagshitze und Dehydrierung braucht der DFB-Internist Tim Meyer nicht zu befürchten, der Bau kann auf 24 Grad heruntergekühlt werden. Die beiden übrigen Spiele sind Spätveranstaltungen, Ortszeit 22 Uhr (Deutschland 20 Uhr). Im Al-Bayt-Stadion nördlich der verkehrsreichen Metropole findet zuerst die allseits für brisant erklärte Begegnung mit Spanien statt, zum Abschluss kommt entweder Costa Rica oder Neuseeland.

"Wir sind froh zu wissen, wie es anfängt, und wie es weitergehen muss", sagte Flick. Die Gegner ließen seiner Mannschaft keine Eingewöhnungszeit, "man muss von Anfang an da sein", meint der Bundestrainer. Der nächste Weg durch den Wettbewerb hätte es dann auch in sich: Gegner wie Belgien, Kroatien und Brasilien drohen für das Achtel- und das Viertelfinale. Gute Erholung zwischen den Spielen könnte dann erst recht wertvoll werden.

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