Protest gegen Katar-WM:Sportler haben Macht - aber sie müssen reden

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Tim Sparv, 34, Kapitän der finnischen Nationalmannschaft. (Foto: Tomi Hänninen/Newspix24/Imago)

Finnlands Kapitän richtet einen flammenden Apell an Fußballer und Fans, um den Blick auf die Missstände im WM-Land Katar zu lenken. Die Kraft solcher Worte darf man nicht unterschätzen.

Kommentar von Claudio Catuogno

"Wir müssen über Katar reden", sagt Tim Sparv, 34, der Kapitän der finnischen Fußball-Nationalmannschaft. Und das ist nicht nur die Überschrift über einem bemerkenswerten Beitrag des Fußballers für das Magazin Players Tribune. Sondern auch dessen wichtigste Botschaft an seinen Berufsstand und darüber hinaus, letztlich "an jeden, dem Menschenrechte am Herzen liegen": Redet, schreibt, bloggt und twittert, formuliert Kritik, erhöht den Druck - nutzt die Aufmerksamkeit, die die nahende WM 2022 auf das Emirat Katar lenkt, um die fatale Menschenrechtslage dort und die oft miserablen Arbeitsbedingungen der Wanderarbeiter zu thematisieren.

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"Denkt an das Privileg, das wir als Spieler haben", schreibt Sparv, "und an die Kraft unserer Plattformen. Diese Arbeiter haben nicht das gleiche Privileg, aber wir können sie unterstützen, indem wir ihre Geschichten erzählen und gemeinsam unsere Stimme erheben."

Tim Sparv, der in der Saison 2013/14 bei Greuther Fürth unter Vertrag stand und nun wieder in seiner Heimat bei HJK Helsinki spielt, ist zum Glück nicht der Erste, der seine Stimme erhebt. In vielen Mannschaften knien Spieler inzwischen vor dem Anpfiff, als Zeichen für Vielfalt und gegen Rassismus. Auch die deutsche Elf setzte zum Auftakt jener Qualifikationsrunde, die sie zur WM nach Katar bringen soll, ein Zeichen: mit riesigen Buchstaben auf den Einlauf-Shirts, die sich zum Schriftzug HUMAN RIGHTS zusammenfügten.

Der DFB hat sein eigenes Signal selbst desavouiert

Es war ein vielbeachtetes Signal, das allerdings dadurch etwas desavouiert wurde, dass der Deutsche Fußball-Bund (DFB) bald das passende Marketingfilmchen nachreichte. Das ist eben immer das Risiko: dass man sich, wenn man auch mal was macht, dem Verdacht aussetzt, bloß der Erwartung zu genügen, dass man auch mal was machen muss. Tatsächlich kam der Impuls aber wohl aus der Mannschaft, und wer Spielern wie Leon Goretzka oder Joshua Kimmich beim Thema Menschenrechte Kalkül unterstellen würde, läge sicher falsch. Was nicht heißt, dass sie mit ihrem Verein FC Bayern nicht auch beim nächsten Mal wieder mit dem "Platin-Partner" Qatar Airways ins Trainingslager nach Doha fliegen. Ach, es ist halt immer so kompliziert ...

Tim Sparv ist über jeden Kalkül-Verdacht erhaben: Er schildert, wie er sich "in den vergangenen zweieinhalb Jahren auf eine persönliche Reise begeben" hat, "um mehr über die Situation in Katar zu erfahren". Im Grunde ja ein naheliegendes Bedürfnis: "Wir könnten bald in Stadien spielen, für die Arbeiter ihr Leben lassen mussten. Wir Spieler werden das Gesicht eines Turniers sein, über das wir kein Kontrolle haben."

Tim Sparv ließ sich also von der internationalen Spielergewerkschaft Fifpro informieren; er bezieht sich auf Recherchen des Guardian , wonach seit 2010 allein aus den fünf Ländern Indien, Pakistan, Nepal, Bangladesch und Sri Lanka 6500 Wanderarbeiter in Katar gestorben seien; er zitiert Vorwürfe von "Amnesty International", wonach sich Katar vor Entschädigungen drücke, indem es Tausende Todesfälle nicht aufkläre.

Denkt Tim Sparv an Boykott? Er habe auch "direkt mit den Arbeitern gesprochen", schreibt er: "Sie fühlen sich ermutigt durch die Tatsache, dass jemand sie unterstützt und bestärkt." Also: lieber kein Boykott! Das ist das Dilemma, in das der Weltverband Fifa Spieler wie Sparv gestürzt hat: dass sie jetzt etwas Falsches durchziehen müssen, weil es den Betroffenen noch schlechter ginge, würde der Scheinwerfer der kritischen Öffentlichkeit sofort ausgeknipst.

Also: doch wieder nur reden?

Die Spieler wie Tim Sparv sind ja letztlich die WM

Ein bisschen mehr kann man schon tun. Schwedens Nationalelf hat gerade entschieden, ihr geplantes Trainingslager im Winter in Katar abzusagen. Die Finnen fliegen ebenfalls nicht mehr hin. Und man darf die Kraft der Worte und Zeichen auch nicht unterschätzen. Der Plan der Katarer, sich mit der WM als Teil der modernen Welt zu präsentieren, geht nicht mehr auf, wenn zu viele so denken und handeln wie Tim Sparv. Und das zynische Kalkül vieler Verbände, dass man in autoritären Staaten mit Turnieren weniger Scherereien hat, gerät auch an seine Grenzen, wenn die Teilnehmer selbst die Risse in die Fassaden hauen.

Spieler wie Tim Sparv sind ja letztlich die WM. "Wir sind das Produkt, (...) das die Fifa für ein Vermögen verkauft. Aber wir haben keinen Einfluss darauf, wo die WM stattfindet. Das erfahren wir in den Neun-Uhr-Nachrichten. Oh, schau, wir werden in Katar spielen."

Schon das wäre ja ein Fortschritt: wenn die Artisten in Zukunft ein Wörtchen mitzureden hätten, wo ihr Zirkus gastiert. Athleten haben mehr Macht, als viele von ihnen vielleicht denken, das gilt nicht nur für die WM in Katar, das gilt auch für die kommenden Winterspiele in Peking.

Aber sie müssen reden.

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