Fußball-WM 2006:Jagd im Scherbenhaufen

Zwanziger und Schmidt

Damals noch an einem Tisch: Horst R. Schmidt (li.) und Theo Zwanziger (re.)

(Foto: Frank May/dpa)
  • In der DFB-Affäre meldet sich Horst R. Schmidt zu Wort nach den Behauptungen von Theo Zwanziger.
  • Er sagt, die Ausführungen von Zwanziger seien so nicht richtig.
  • Die Affäre ist mittlerweile verworren wie ein Labyrinth.

Von Hans Leyendecker

Jeder Betrieb, jede Organisation, jede Mannschaft hat Leute, die still dafür sorgen, dass alles läuft. Horst R. Schmidt, 73, war so ein Typ: effizient, kundig, fleißig, verlässlich.

Rund vier Jahrzehnte lang hat Schmidt für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) gearbeitet. Wenn sich die Eitlen und die Filz-Virtuosen feiern ließen, stand er etwas verloren daneben. Dabei war er unter anderem 15 Jahre lang Generalsekretär des größten Sportfachverbandes der Welt. Und dennoch hielten viele den General nur für den braven Soldaten.

Seit rund 25 Jahren ist dieser Schmidt aus Aschaffenburg mit Theo Zwanziger, 70, aus Altendiez befreundet. Richtiger ist wohl: war befreundet. "Unglaublich, was Zwanziger gemacht hat", sagt Schmidt der Süddeutschen Zeitung. Schmidt ist "genervt", er ist "am Limit".

Das war passiert

Am Dienstag hatte ihn Zwanziger angerufen, der frühere DFB-Präsident hatte seinen Urlaub abgebrochen. Zu lesen war zuvor, mancher Spitzenfunktionär des DFB erwäge eine Strafanzeige gegen Zwanziger. Der war empört. Im Telefonat, erinnert sich Schmidt, sei es um eine "Bandbreite an Themen" gegangen. Um den DFB, den Weltfußball-Verband Fifa und um Stellungnahmen, die zu machen seien. Was Schmidt nicht wusste: Zwanziger fertigte ein Gedächtnisprotokoll über das Telefonat, und das bekam der Spiegel, der in diesen Tagen so etwas wie das Sturm- geschütz des Theo Zwanziger ist.

Angeblich hatte Schmidt gesagt, der Katarer Mohamed bin Hammam, einst ein großer Strippenzieher des Weltfußballs, habe jene 6,7 Millionen Euro bekommen, um die es jetzt geht. Das müsse so auch in einer Stellungnahme deutlich gemacht werden, soll Schmidt zu Zwanziger gesagt haben. Denn "letztlich" habe Bin Hammam (der 2011 lebenslang für alle Tätigkeiten im Fußball gesperrt wurde) das Geld erhalten. Wofür? Das wisse man auch nicht.

"Falsch", sagt Schmidt. Er wisse "definitiv nicht", wer das Geld bekommen habe. Zwar sei in dem Telefonat der Name Bin Hammam gefallen. Vielleicht, als es um die Fifa-Finanzkommission ging, deren Mitglied der Katarer war, aber der Zusammenhang sei auf jeden Fall anders gewesen, als ihn Zwanziger jetzt kolportiere.

Schmidt ist "empört", dass Zwanziger "den Inhalt eines privaten Gesprächs an die Öffentlichkeit bringt". Und er ist sauer, dass etwas behauptet werde, was er so nicht gesagt habe, weil "ich es einfach nicht weiß". - "Ein Scherbenhaufen."

Eine Affäre wie ein Labyrinth

In den labyrinthischen Korridoren dieser Affäre kann man sich leicht verlaufen, deshalb nur kurz noch mal, in Stichworten, die Geschichte der 6,7 Millionen Euro.

Bei seinem unglücklichen Auftritt am vorigen Donnerstag hatte Zwanzigers Nachfolger als DFB-Präsident, Wolfgang Niersbach, unter Berufung auf Franz Beckenbauer erklärt: Dieser habe Anfang 2002 mit dem damaligen Fifa-Präsidenten Joseph Blatter über einen Zuschuss der Fifa für die WM-Organisation gesprochen. Solche Zuschüsse sind üblich. Aber die Größenordnung und der Zeitpunkt der Zahlungen sind unterschiedlich. Blatter soll erklärt haben, 6,7 Millionen Euro sollten zunächst an die Fifa-Finanzkommission gezahlt werden, damit das liefe. Das wäre so etwas wie eine Schutzgelderpressung. Dann sei der Unternehmer Robert Louis-Dreyfus eingeschaltet worden, um die Millionen an die Fifa zu zahlen. Das OK schloss derweil mit der Fifa eine schriftliche Vereinbarung über einen Zuschuss in Höhe von 250 Millionen Franken. Eine vergleichsweise stolze Summe.

Dreyfus hatte sich, nach dieser Darstellung, offenkundig gekümmert. Jahre später verlangte er das Geld zurück. Die Rückzahlung wurde im April 2005 vom OK abgewickelt. Kreative Buchführung war gefragt. Normal als Rückzahlung war der Vorgang nicht zu verbuchen.

Für den Transfer wurde ein falscher Verwendungszweck ("Beitrag Fifa-Kulturprogramm") eingesetzt. Zunächst ging das Geld auf ein Fifa-Konto. Von dort auf ein Konto von Dreyfus. Die Bilanz des OK wurde gefälscht, der Aufsichtsrat falsch informiert - so ähnlich sieht Geldwäsche aus.

Die Verwirrung um diesen Vorgang ist groß. Die Fifa hat die Schilderung von Niersbach, die auf einer angeblichen Aussage von Beckenbauer beruht, als Unfug abgetan. Und der momentan für alle Fifa-Tätigkeiten gesperrte Blatter hat nun in der Zeitung Schweiz am Sonntag erklärt: "Ich habe niemals Geld von Beckenbauer verlangt. Nie im Leben. Auch nicht vom DFB. Das stimmt einfach nicht." In die ominöse Zahlung sei er "nicht involviert" gewesen.

Hinzugefügt hat Blatter, er habe von seinem Vater einige Grundsätze mitbekommen: "Nimm kein Geld, das du nicht verdient hast, und versuche nie, deine Ziele mit Geld zu erreichen."

Schmidt schont sich nicht

Zurück zu Bin Hammam und dem Telefonat von Schmidt mit Zwanziger. Es gibt theoretisch drei Möglichkeiten: Entweder hat Zwanziger etwas missverstanden. Oder er hat Schmidt missverstehen wollen. Oder er hat Schmidt richtig verstanden, aber der will das jetzt nicht mehr wahrhaben.

Für die Darstellung Schmidts spricht der Leumund des ehemaligen Generalsekretärs sowie der Umstand, dass Schmidt zwei Tage nach dem Telefonat eine Erklärung in eigener Sache abgab. In der steht nichts über Bin Hammam. Er schildert seine Erinnerung an den Fall, beschreibt, wann er informiert wurde (2004), wie der Transfer abgewickelt wurde. Und stellt fest: "Natürlich war ich nicht glücklich über die intransparente Gestaltung."

Schmidt berichtet, dass er gemeinsam mit Zwanziger vergeblich versucht hatte, Dreyfus zu bewegen, auf seine Forderung zu verzichten. In der Erklärung steht auch: "Der zugrundeliegende Sachverhalt hatte nach meiner Kenntnis mit der WM-Vergabe nicht das Geringste zu tun." Nach seiner Kenntnis also kein Stimmenkauf, keine schwarze Kasse des OK. Schmidts Schilderung deckt sich ungefähr mit der Version von Niersbach. Aber Schmidt belastet den Präsidenten auch: "Zeitnah" habe er, so Schmidt, 2004 die Mitglieder des OK-Präsidiums über die Sache informiert. Also auch Niersbach. Der behauptet, erst im Sommer 2015 davon erfahren zu haben.

Schmidt macht seine Rolle nicht klein, er schont nicht Niersbach, nicht Zwanziger. Wahr ist natürlich, dass es auch abseits des Telefonats immer schon Gerüchte um Bin Hammam gab. Der ist in Fifa-Dingen einer der üblichen Verdächtigen.

In manchem Beitrag in diesen Tagen wird Zwanziger als Richter dargestellt. Das war er in seiner Laufbahn nur ganz kurz. Er ist ein geübter Grabenkämpfer. In der rheinland-pfälzischen Politik war er einst für die CDU schwer im Einsatz, auch beim DFB galt er als sehr robust.

Derzeit ist er der Angreifer, der Jäger. Reihum distanzieren sich die Akteure des großen Fußballbetriebes von ihm. Sie attackieren ihn. Aber er sieht sich als Aufklärer. Schon seit geraumer Zeit habe er versucht, mit Mitgliedern des OK 2006 über die damaligen Abläufe zu sprechen.

Ominöses Treffen am Frankfurter Flughafen

Missversteht er dabei, was der Gegenüber sagt? Will er missverstehen? Erfindet er manchmal etwas? Oder leugnen die anderen, was sie ihm anvertraut haben, was aber niemals in die Öffentlichkeit soll?

Da ist die Geschichte mit den vier Asiaten. Die saßen 2000 im Fifa-Exekutivkomitee und sollen beim 12:11 gegen Südafrika angeblich die entscheidenden Stimmen für Deutschland abgegeben haben. Angeblich sollen die Stimmen gekauft worden sein. Zwanziger behauptet, das habe ihm im Herbst 2012 Günter Netzer eher beiläufig gesagt. Netzer saß einst im Aufsichtsrat des WM-OK und war ein enger Vertrauter von Dreyfus, der 2009 verstarb.

Netzer bestreitet energisch, so etwas gesagt zu haben. Auch nicht sinngemäß. Auch nicht in der Art. Steht da wirklich Aussage gegen Aussage? Eher steht doch Lüge gegen Wahrheit. Aber wer lügt?

Und da ist jenes ominöse Treffen am Frankfurter Flughafen, das 2012 oder 2013 stattgefunden haben soll; Zwanziger soll darum gebeten haben. Die Köpfe des alten DFB-Bewerberkomitees waren gekommen. Beckenbauer, dessen Helfer Fedor Radmann, Niersbach, Schmidt. Angeblich, so behauptet Zwanziger, sei auch über die 6,7 Millionen Euro gesprochen worden. Angeblich habe er gedrängt: "Klärt das, sonst sind wir die Gejagten."

Alle, außer Zwanziger, sagen, darüber sei überhaupt nicht gesprochen worden. Kein Wort. "Bei dem Flughafengespräch in 2012 oder 2013 war dieses Thema nicht Gegenstand der Erörterung", schrieb Schmidt in seiner Erklärung. Er sei erst in diesem Oktober mit dem Thema "wieder konfrontiert worden".

Manchmal kommt im Leben die Wahrheit im Plural vor. In diesem Fall geht das nicht. Zwanziger kündigte am Wochenende beim Sport-Informations-Dienst an, er wolle zur Aufklärung beitragen. Seine Anwälte würden bereits zu Wochenbeginn mit der Wirtschaftskanzlei Freshfields, die den Fall im DFB-Auftrag untersucht, einen Gesprächstermin vereinbaren.

Bei dem Gespräch mit der Nachrichtenagentur machte Zwanziger seine ohnehin komplizierte Geschichte noch ein bisschen komplizierter. Angeblich habe er bis vor wenigen Jahren geglaubt, die 6,7 Millionen-Überweisung via Fifa an Dreyfus habe dem Ausgleich einer Provisionszahlung gedient. Zwanziger war damals der Finanzverantwortliche im OK für die WM 2006. Er hat die Überweisung gezeichnet.

Erst nach Ablauf seiner Amtszeit als DFB-Präsident 2012, so Zwanziger, sei er auf die Spur des Schwarzgeldes gekommen. Also gehe der Vorwurf "fehl", er hätte den Vorgang im Amt überprüfen müssen.

Vieles in diesem Märchengate erinnert an die wunderbaren Dialoge aus dem Kultfilm Casablanca.

In Szene 51 etwa, sie spielt vor "Ricks Cafe Americain", wird der Nachtclubbesitzer Rick Blaine vom korrupten Polizeichef Captain Louis Renault gefragt, was ihn denn nach Casablanca verschlagen habe.

Rick: "Meine Gesundheit. Ich kam nach Casablanca wegen der Quellen."

Renault: "Quellen? Was für Quellen? Wir sind in der Wüste."

Rick: "Man hat mich falsch informiert."

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