Fußball-WM:Ich pumpe die WM für euch auf!

  • Die Fußball-WM wird ab 2026 mit 48 Teilnehmern gespielt.
  • Viele einseitige Spiele stehen zu erwarten. Fifa-Präsident Gianni Infantino schmettert die Kritiker trotzdem ab.
  • Befragt, worin er denn den Mehrwert sieht, hat Infantino in Zürich keine Antwort parat.

Von Thomas Kistner, Zürich

Die Fußball-Welt hat ein neues Format für ihr WM-Turnier, das meistbeachtete Gesellschaftsereignis des Planeten. "Ich danke meinen Ratskollegen für das einstimmige Votum", feierte Fifa-Präsident Gianni Infantino am Dienstag seinen sportpolitischen Coup, der ihm die Macht für die nächsten Jahre sichern dürfte. Tatsächlich entlarvt aber schon das Eiltempo, in dem die WM-Aufblähung von 32 auf 48 Teilnehmer durchgepeitscht wurde, die sportpolitische Volte.

Erst seit zehn Monaten regiert Infantino den Weltverband; als er im Februar 2016 den Thron bestieg, ahnte die Fußballwelt noch nicht, wie dringend sie angeblich die Ausweitung ihres Premium-Produkts WM benötigt. Nun aber ist die Sache durch, mit der Wahlkämpfer Infantino seinerzeit vor allem die chronisch bedürftigen Sportfreunde aus Afrika und Asien in sein Lager gelockt hatte. Die WM wird ab 2026 so gespielt: In 16 Dreiergruppen qualifizieren sich je die ersten beiden für die K.-o.-Phase, die dann über Sechzehntel-, Achtel-, Viertel- und Halbfinale ins Endspiel führt.

Die Änderung soll zweierlei bewirken: Sie soll Kleinverbänden von Mali bis Malawi suggerieren, dass auch für sie der WM-Traum näher rückt, und natürlich sollen fünf- bis sechshundert Millionen Euro mehr von TV und Sponsoren generiert werden. Die Geldgeber dürfen künftig 80 statt 64 WM-Spiele bestücken. Das wird aber nur funktionieren, wenn die neue Dreiergruppenrunde zum Auftakt nicht als das auffliegt, was sie offenkundig ist: ein weltmeisterlich etikettierter Bluff.

Geübt schmettert Infantino die Kritiker ab

Sportlich ist hier kaum Brisanz zu erwarten. Auch diese Gruppen werden nach der Setzliste kompiliert, so sind bei den ersten 48 WM-Partien viele einseitige, routiniert abgespulte und spannungsfreie Spiele zu erwarten - bei vier Spielen pro Tag. Befragt, worin er denn das große Mehrwert-Potenzial des neuen Formats für Fernsehen und Sponsoren sehe, hatte Infantino in Zürich keine Antwort parat. Er verwies wolkig auf die zusätzliche K.-o.-Runde, das Sechzehntelfinale, die wahrscheinlich spannende Spiele garantiere.

Ansonsten schmetterte der Fifa-Boss alle Kritiker geübt ab. Dass Spaniens Liga-Chef die Fifa wegen Kartellabsprache mit den Kontinentalverbänden verklagen will? "Viel Glück!" Und dass insbesondere die Kritik aus dem Weltmeisterland Deutschland massiv ist? Infantino pflegt in solchen Fällen die Rhetorik seines Vorgängers Sepp Blatter, der gern Motive in den Raum stellte, die es gar nicht gab - um sie dann zu zerpflücken. Die Deutschen müssten sich keine Sorgen machen, "sie wären sogar dabei, wenn eine WM nur mit zwei Teams gespielt würde", so Infantino.

Dabei ist die Frage der eigenen Teilnahme die geringste Sorge der Deutschen, sie fürchten um die sportliche Qualität der WM. Hier hält Infantino sein Kernargument dagegen, das nach außen nachvollziehbar erscheint - tatsächlich aber, eingedenk der Realität seit Jahrzehnten, Augenwischerei ist. "Wir wollen das Fußballfieber in mehr Ländern schüren", wo auch immer eine WM-Teilnahme gelungen sei, dort habe eine Entwicklung stattgefunden, sagt Infantino. Beispiele von Haiti über Zaire bis Trinidad belegen das Gegenteil - Südafrikas Fußball hat nicht mal eine eigene WM 2010 auf die Beine geholfen.

So dient der Handstreich zur WM-Aufstockung, die vor Jahresfrist niemand auf dem Radar hatte, nach altem Brauch vor allem einer Person: dem Fifa-Chef.

Die Etablierten der Fußballwelt sehen den Modus kritisch

Infantino, vormals Generalsekretär der europäischen Fußball-Union, wurde im Herbst 2015 Verlegenheitskandidat der Uefa, weil das Fifa-Ethikkomitee seinen langjährigen Chef Michel Platini jäh aus dem Verkehr gezogen hatte. Infantino musste ran, der Beschluss fiel über Nacht; und während sich Mitbewerber mit Strukturfragen abmühten, stattete die Uefa ihren Notnagel mit 500 000 Euro Startbudget aus. Infantino jettete im Privatflieger um die Welt; kein Landestrip in die Karibik, die Steppen Afrikas oder Asiens war zu weit für den Verkünder der Frohbotschaft für alle Fußballzwerge: Ich pumpe die WM für euch auf! Beim neuen Jedermann-Turnier dürfen sich bis zu 50 Länder mehr eine Teilnahmechance ausrechnen.

Und aus den Mehrerlösen, die sich der eng am Original lavierende Blatter-Nachfolger erhofft, soll sein zweites, das wichtigste Wahlversprechen finanziert werden: Statt bisher 1,6 Millionen Dollar im Vierjahreszyklus darf die Funktionärswelt von Guam bis Guinea künftig fünf Millionen einstreichen. Bei Bedarf auch mehr. Mit Infantino geht's in eine schillernde Zukunft.

Der Mann, der mit seinem gesperrten Vorgänger neben der Herkunft aus derselben Walliser Alpenregion auch eine rätselhafte Anziehungskraft auf Ermittlungsorgane und Fifa-Ethiker teilt, rückt mit dem WM-Coup in die Ahnengalerie ein. Aufstockungen des Weltturniers hatten seinem Vorvorgänger João Havelange ebenso den Thron gesichert wie seinem Uefa-Chef Platini die EM-Aufblähung auf 24 Teams.

Offen ist, wie die 16 neuen WM-Plätze verteilt werden

Die vielen regulatorischen Probleme, die das neue Format birgt, hat die Fifa in die Zukunft vertagt. Der Verteilungskonflikt ist programmiert, zumal die Etablierten der Fußballwelt dem neuen Turniermodus kritisch gegenüberstehen. Offen ist, wie die 16 neuen WM-Plätze auf die sechs Kontinentalverbände verteilt werden. Verbände wie der englische, der entgegen seiner Kollegen in Deutschland, Spanien und anderswo für die Aufblähung getrommelt hatte, schielen erkennbar auf die Chance, endlich ein WM-Dauerabonnement zu ergattern. Dafür bräuchte es, nimmt man das Abschneiden der Briten seit ihrem Titelgewinn 1966 zum Maßstab, schon eine Zuwendung von vier bis sechs der neuen Startplätze. Allerdings werden gerade Afrikaner und Asiaten, die Infantino auch bei der Wiederwahl anno 2020 brauchen dürfte, ihm nur dann ihre Stimmen geben, wenn sie sich bei der Platzverteilung nicht über den Tisch gezogen fühlen.

Was aber das liebe Geld angeht, das künftig noch üppiger fließen soll, stehen bereits Europas Profiligen parat. Zu deren Lasten geht ja das neue WM-Melkschema der Fifa: Ihre Klubs vor allem müssen noch deutlich mehr Profis abstellen. Da wird sich doch gewiss über die Versicherungs- und Abstellungsgebühren ein schönes Zubrot aushandeln lassen. Europas Profibetriebe lassen sich traditionell mit Geld ruhigstellen; mögen die politischen Kapriolen der Verbände noch so sehr ihre Interessen tangieren. Erst wird gestänkert und rebelliert - dann kassiert. Siehe die Winter-WM 2022 im Fußballmärchenland Katar.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: