Fußball-WM: Freude in Japan:Morgen ist wieder Alltag

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Nach all den schlimmen Nachrichten, nach Erdbeben, Tsunami, Nuklearkatastrophe und neuen Fällen radioaktiver Verstrahlung von Rindfleisch, gibt es endlich einen Grund zur Freude: Medien und Menschen in Japan feiern den WM-Erfolg ihrer Fußballerinnen ausgelassen.

Christoph Neidhart, Tokio

Japan gefällt sich als Außenseiter, auch im Sport. Umso größer ist die Genugtuung, wenn ein japanisches Team einen Großen besiegt. Oder gleich mehrere. Am Montag, dem "Tag des Meeres", einem Feiertag, als die Japaner als Weltmeister im Frauenfußball erwachten, waren Zufriedenheit und Stolz fast grenzenlos.

Freude auf Tokios Straßen: Die Menschen feiern den Erfolg der Fußballfrauen als willkommene Abwechslung. (Foto: AP)

Manche Leute jubelten laut, obwohl man das in Japan normalerweise nicht tut: Nach all den schlimmen Nachrichten, nach Erdbeben, Tsunami, Nuklearkatastrophe und jüngst den neuen Fällen radioaktiver Verstrahlung von Rindfleisch, endlich ein Grund zur Freude.

Die Frühnachrichten am Montagmorgen widmeten sich ganz dem WM-Sieg der japanischen Fußballfrauen. Die Morgen-Talkshows waren kaum zu bremsen, das 2:2 von Homare Sawa kurz vor Schluss der Verlängerung, die Tore des Elfmeterschießens und die Paraden von Ayumi Kaihori wurden immer wieder gezeigt. Einige Präsentatoren trugen das blaue Trikot der japanischen Mannschaft.

"Ich bin so glücklich", war wohl der häufigste Satz. Dann kamen Live-Schaltungen zu Verwandten der Spielerinnen, in eine Turnhalle, in der noch immer Tsunami-Flüchtlinge untergebracht sind, in ein Containerhaus, in dem zwei Fußballfunktionäre aus der Stadt Minamisanriku das Spiel verfolgt hatten.

Ihre Häuser waren mit der ganzen Stadt vom Tsunami weggeschwemmt worden. Und in ein Hotel in der Stadt Fukushima, in dem Fußballkinder mit ihren Familien Unterschlupf gefunden haben, weil ihr Heim radioaktiv verseucht ist.

Das japanische Fernsehen übertrug das WM-Finale aus Frankfurt live. Aber es begann um 4 Uhr früh japanischer Zeit. In den Unterhaltungsvierteln Shibuya und Roppongi zeigten manche Lokale das Spiel auf Großbildschirmen. Aber die meisten Japaner standen erst später auf und bekamen nur noch das Elfmeterschießen mit. Für die Tageszeitungen kam das Endspiel ohnehin zu spät. Einige verteilten deshalb vor den großen Pendlerbahnhöfen in Tokio Extrablätter und aktualisierten ihre Websites fleißiger als sonst.

Mädchenfußball ist in Japan eine verbreitete Schulsportart, der japanische Verband bildet den Nachwuchs systematisch aus. Die Japanerinnen verloren voriges Jahr bei der U17-WM erst im Finale gegen Südkorea, die A-Mannschaft erreichte bei Olympia in Peking 2008 das Spiel um Bronze, das sie gegen Deutschland verlor. In der Weltrangliste war Japan vor der WM auf Rang vier.

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Die kleine Torfrau Ayumi Kaihori wird für die Amerikanerinnen zum unüberwindbaren Hindernis. Homare Sawa erhält unzählige Preise, dann wird ihr vom Trainer befohlen, ihre Karriere fortzusetzen. Azusa Iwashimizu lässt sich lieber vom Platz stellen, als einen Elfmeter zu schießen. Die japanischen Weltmeisterinnen in der Einzelkritik.

Carsten Eberts, Frankfurt

Ein echter Außenseiter war Japan nicht. Doch japanischen Sportlern versagen in entscheidenden Momenten oft die Nerven. Das kommt so oft vor und sitzt so tief, dass es in einem populären Sprachlehrbuch für Japanisch heißt: "Was, die Japaner haben schon wieder verloren? Schrecklich." Nur selten wachsen japanische Teams über sich hinaus wie jetzt die Fußballerinnen. Der Sieg der Volleyballerinnen bei Olympia 1964 in Tokio ist bis heute eine ähnliche Helden-Legende.

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Japanische Zeitungen bringen nach dem Erfolg der Frauen-Nationalelf bei der WM Sonderausgaben heraus, die Fans feiern auf den Straßen von Tokio. US-Präsident Barack Obama verfolgt das WM-Endspiel im Weißen Haus und schreibt unentwegt auf Twitter. Reaktionen zum WM-Finale.

Es mag stimmen, dass die dreifache Katastrophe die Japanerinnen anspornte. Coach Norio Sasaki motivierte die Spielerinnen mit Bildern aus dem Tsunami-Gebiet. Und Kapitänin Homare Sawa sagte im japanischen Fernsehen: "Mit unserem Sieg wollen wir den von der Katastrophe Betroffenen Kraft und Ausdauer geben." Aber damit lässt sich dieser Erfolg nicht erklären.

Die Japaner mögen Geschichten, in denen ihre Landsleute übermächtige Gegner besiegen. Sie machen sich und ihr Land oft kleiner, als sie sind. Sie können zum Beispiel gar nicht glauben, dass kein europäischer Staat so viele Einwohner hat wie Japan. Und auch vor dem WM-Finale redeten die Fernsehmoderatoren Japans Team kleiner, als es ist.

Nach dem Halbfinale sagten mehrere abschätzig, die Amerikanerinnen seien ja Männer, vor allem Abby Wambach mit ihren 1,81 Meter. Und der Sieg ist nun besonders süß, weil die USA die ehemalige Besatzungsmacht sind, die noch immer Militär in Japan stationiert hat, die man zugleich bewundert und verabscheut.

Die Spielerinnen des japanischen Kaders sind im Schnitt sechs Zentimeter kleiner als die Amerikanerinnen, man kann darüber streiten, ob das wirklich ein so deutlicher Höhenunterschied ist. Jedenfalls schwören die Trainer ihre Spielerinnen wegen ihrer körperlichen Unterlegenheit auf einen speziellen Stil ein, auf gute Ballkontrolle, genaues Passspiel, viel Laufarbeit.

Die Frauen haben diesen Stil nun so erfolgreich angewandt, dass ein ehemaliger japanischer Nationalspieler meinte, die Männermannschaft müsse von den Frauen lernen. Das sind neue Töne in Japan.

Auch die Hauptnachrichten am Montagabend waren noch ganz dem Fußball gewidmet. Man kostete den Sieg noch einmal aus. Bis der Wetterbericht warnte, ein Taifun bewege sich auf Tokio zu. In Westjapan habe er bereits Überschwemmungen verursacht. Morgen ist wieder Alltag.

© SZ vom 19.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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