Fußball-WM in Frankreich:Was bei den DFB-Spielerinnen besser werden muss

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Kämpferisch: Svenja Huth beim Spiel gegen Nigeria (Foto: REUTERS)
  • Auch dank der tapferen Alexandra Popp erreicht der DFB das Viertelfinale.
  • Die Kapitänin ist ein Beispiel dafür, dass die Elf kämpferisch glänzt, nicht fußballerisch.

Von Anna Dreher, Grenoble

Alexandra Popp hatte gerade erreicht, was vor ihr erst 25 anderen Frauen gelungen war. Aber es ist keine Zeit geblieben für ein großes Fest, Sekt gab's erst recht keinen, nicht mal ein Schlückchen. Sogar mit dem Duschen musste Popp lange warten, so gefragt war sie nach diesem besonderen Spiel, ihrem 100. für die deutsche Fußballnationalmannschaft. Aber das Lächeln von Popp verschwand nicht, ihre gute Laune strahlte auf die gesamte Umgebung ab, draußen auf dem Platz vor 17 988 Zuschauern und in den Katakomben im Stade des Alpes von Grenoble.

Dieses Spiel am Samstagabend war ja nicht nur ihr hundertstes, es markierte gegen Nigeria auch den Einzug ins Viertelfinale bei der Weltmeisterschaft; von drei Toren hatte Popp das erste auf ihre typische Weise, per Kopf, erzielt und war zur besten Spielerin gewählt worden. "Ich glaube, das war ein perfekter Tag heute", sagte Popp. "Wir werden sicher das ein oder andere Lied in der Kabine singen, aber jetzt ist nicht viel mit Feiern, es geht ja weiter. Außerdem bin ich Captain, da muss ich Vorbild sein."

"Hau rein, ne! Schöne Eistonne!"

Almuth Schult, die deutsche Nationaltorhüterin, kam kurz danach auch bei den Journalisten vorbei, und weil es nun mal ein besonderer Tag war - für Schult, weil sie zum vierten Mal bei dieser WM ohne Gegentor geblieben war -, machte es ihr nichts aus zu warten. Sie setzte sich mit ausgestreckten Beinen auf den Fliesenboden, während Popp redete, und als die in Richtung Kabine ging, rief ihr Schult hinterher: "Hau rein, ne! Schöne Eistonne!" Das war für den Moment wohl das höchste der Gefühle für Popp: Abkühlung nach diesem auch temperaturmäßig hitzigen Spiel. Ob die Mannschaft beim Duschen gesungen hat, blieb unter Verschluss, im Bus auf dem Weg zum Hotel ist die Stimmung jedenfalls ausgelassen gewesen. Und auch hier ist Popp, 28, ihrer Rolle als Kapitänin gerecht geworden, sie klopfte gegen die Ablage des Busses und sang als eine der Lautesten bei den Ballermannhits mit.

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Als Popp im Februar 2010 in der Nationalelf debütiert hatte, war es ein ähnlich besonderes Erlebnis für sie gewesen. Popp spielte damals beim Bundesligisten FCR 2001 Duisburg, die Stadt war Gastgeber dieser Partie und kurz nach ihrer Einwechslung hatte Popp: eine Kopfballchance. Es war ein Vorgeschmack auf die nächsten Jahre, in denen Popp auch dank ihrer Kopfballstärke zu einer der zentralen Spielerinnen der Auswahl aufsteigen sollte. Damals prägten Spielerinnen wie Inka Grings und Birgit Prinz Liga und Nationalmannschaft, nicht nur mit ihrer Spielweise und ihren Erfolgen, sondern auch als starke Charaktere.

Und sie prägten auch die gebürtige Ruhrpottlerin Popp, die selbst zu einer Führungsspielerin geworden ist, die zu den wichtigen Typen dieses Kaders gehört und die auf dem Platz so hart malocht wie kaum eine andere. "Ich habe langsam keine Worte mehr für Poppi", sagte die 17-jährige Lena Oberdorf und fand doch welche: "Sie ist eine überragende Spielerin, kann vorne spielen, hinten, auf der Sechs, gewinnt jedes Kopfballduell und beißt auf die Zähne. Ich glaube, ich habe noch nie erlebt, dass Poppi verletzt rausgegangen ist."

Schon gegen Spanien hatte Popp ihre besondere Qualität gezeigt, als sie eine seltene strategische Verwandlung durchlief: Die Offensivspielerin wechselte von der Spitze ins defensive Mittelfeld auf die Sechserposition und rückte schließlich auch noch in die Abwehr zurück, um immer wieder mit viel Verve ein Gegentor zu verhindern. Nun, gegen die für ihre Robustheit, Schnelligkeit und gefährlichen Konter bekannten Nigerianerinnen, wirbelte sie wieder in Angriff und Mittelfeld, sie half kurz in der Innenverteidigung aus - und sorgte spürbar für Sicherheit. In der 20. Minute flog eine Ecke von Lina Magull genau auf den Kopf von Popp, sie stand frei im Strafraum, ging etwas in die Knie und traf den Ball perfekt zur Führung, es war ihr 48. Tor im DFB-Dress insgesamt. Die hohe Flexibilität und Variabilität, die Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg von all ihren Spielerinnen einfordert: Popp lebt sie am deutlichsten vor.

Aber auch gegen Nigeria zeigte sich, dass die ganze Mannschaft dieser Forderung nachkommt. Magull zum Beispiel nahm häufig die seit der Verletzung von Dzsenifer Marozsán vakante Spielmacher-Position ein, mit vielen kreativen Momenten. Später sagte sie kritisch: "Ich glaube, wir können einfach viel, viel mutiger sein. Dass wir es können, hat man in einigen Szenen gesehen." Das hieß aber auch: in vielen anderen Szenen nicht. Magull war nicht nur Vorlagengeberin zum 1:0, sondern holte kurz danach auch noch einen Strafstoß raus, den Sara Däbritz in der 27. Minute verwandelte. Es war ihr drittes Tor im vierten Spiel dieser WM.

Und dann war da noch Lea Schüller, die in ihrem dritten WM-Spiel überhaupt erstmals in der Startformation stand und nach einem Fehlpass Nigerias in der 82. Minute ihr neuntes Tor im 16. Länderspiel erzielte. Wer von der Bank kommt, ist da, auch das gibt Sicherheit. "Das war ein Schritt in die richtige Richtung", sagte Schult. "Es ist ja schön, wenn man sich im Turnier entwickelt als Turniermannschaft. So kann es weitergehen."

Fünf von neun Treffern gelangen bisher nach Standards, die das Team zu seiner Waffe auserkoren hat und die umso wichtiger sind, da es am Spielfluss noch hapert. "Wenn der Ball im Tor ist, ist er im Tor", sagte Popp dazu. "Dat ist mir egal, wie." In dem von zahlreichen Unterbrechungen geprägten Spiel gegen Nigeria profitierte die Mannschaft zudem von Videobeweis-Entscheidungen zu ihren Gunsten.

Ein Netz, das individuelle Fehler auffängt

In den ersten knapp drei Turnierwochen ist ein Netz gestrickt worden, das individuelle Fehler auffangen kann; gepaart mit der auffallend kämpferischen Leistung, die fußballerische Defizite ausgeglichen hat, und einem steigenden Selbstbewusstsein, das sich auch in einer zunehmenden Präsenz der Mannschaft spiegelt. Wirklich rund läuft es jedoch noch immer nicht, teilweise zeigt die Mannschaft Unkonzentriertheiten, die China, Spanien, Südafrika und Nigeria nur nicht zu nutzen wussten - Gegner eines anderen Kalibers, wie im Viertelfinale am Samstag Schweden oder Kanada, wahrscheinlich schon. "Es ist nicht selbstverständlich, dass wir das Viertelfinale erreicht haben. Das war eine tolle Leistung bei schweren Bedingungen", sagte Voss-Tecklenburg. "Aber wir müssen schauen, dass wir in bestimmten Phasen des Spiels eine größere Sicherheit bekommen und uns nicht aus dem Konzept bringen lassen."

Die Bundestrainerin hatte an diesem Abend auch eine Weile warten müssen, bis sie auf dem Podium der Pressekonferenz Platz nehmen konnte. Aber auch sie ließ sich von nichts die gute Stimmung kaputt machen. Voss-Tecklenburg hatte ohnehin eine gute Ablenkung. "Das ist nicht so schlimm", sagte sie, "ich schreibe gerade SMS mit der Bundeskanzlerin."

© SZ vom 24.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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