Viertelfinale bei der Fußball-WM:"Wir haben diesen verdammten Deutschland-Spuk satt"

Frauenfußball-WM - Schweden - Kanada

Die Schwedinnen jubeln - auch am Samstag gegen Deutschland?

(Foto: dpa)
  • Das DFB-Team sammelt Kräfte für das Viertelfinale gegen Schweden.
  • Die verletzte Spielmacherin Dzsenifer Marozsán könnte dann wieder mitwirken.
  • Die Schwedinnen haben 20 von 28 Begegnungen gegen Deutschland verloren.

Von Anna Dreher, Bruz

Der Dienstag lieferte ein Beispiel dafür, dass es auch Nachteile haben kann, Fußball-Bundestrainerin zu sein; an und für sich fallen einem da ja nicht so viele ein. Aber am dritten Tag, nachdem die deutsche Nationalmannschaft der Frauen das Viertelfinale der WM in Frankreich erreicht hatte, bekamen alle Spielerinnen frei - Martina Voss-Tecklenburg nicht. Immerhin wurde es ein kurzer Arbeitstag, und Voss-Tecklenburg musste sich auch nicht groß akklimatisieren. Denn das deutsche Team ist zurückgekehrt ins idyllisch gelegene Golfressort Domaine de Cicé-Blossac, wo diese WM-Reise vor drei Wochen begann. Der Turnierverlauf wollte es so, Deutschland trägt sein Viertelfinale gegen Schweden am Samstag in Rennes aus. Dort, wo alles gegen China begann - und nun möglichst weitergehen soll.

Voss-Tecklenburg, 51, lief am Dienstagvormittag lächelnd über die Anlage des Hotels, vorbei an golfspielenden Gästen, sie trug ein weißes Trainingsshirt, Turnschuhe und eine schwarze Jogginghose. Alles ganz gemütlich, noch ist die Anspannung weit weg, bis Samstag bleibt viel Vorbereitungszeit - für Behandlung, Regeneration, Training, Analysen, Gespräche.

Nur eben am Dienstag nicht, da durften (fast) alle tun, was sie wollten. "Langeweile kommt überhaupt nicht auf, weil wenn die Spielerinnen nicht wissen, was sie machen sollen, macht die Trainerin eine Videoanalyse", sagte Voss-Tecklenburg und grinste: "Ich finde es gut, diese Zeit zu haben, weil es uns Möglichkeiten gibt, zu Kräften zu kommen. Vor allem, was Dzsenifer Marozsán betrifft, ist diese Woche sehr wertvoll."

Marozsán könnte mit ihrer Qualität helfen

Germany Press Conference & Training - FIFA Women's World Cup France 2019

"Jede Serie kann irgendwann zu Ende gehen": Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg (rechts, mit Svenja Huth) warnt vor den Schwedinnen, gegen die die DFB-Auswahl 20 von 28 Partien gewonnen hat.

(Foto: Maja Hitij/Getty Images)

Gegen Schweden, hatte Voss-Tecklenburg nach dem 3:0 im Achtelfinale gegen Nigeria gesagt, werde die deutsche Spielmacherin wieder eingesetzt, nachdem Marozsán mit einem Zehenbruch gleich zu Beginn gegen China ausgefallen war. Jetzt ergänzte die Bundestrainerin: "Wir müssen weiter schauen, wie der Zeh reagiert, jede Belastung führt ja zu einer Reaktion. Vielleicht entscheiden wir erst am Samstag, ob wir die Option von Anfang an oder erst im Laufe des Spiels ziehen wollen."

Marozsán könnte mit ihrer Qualität durchaus dabei helfen, eine gute Bilanz aufrecht zu erhalten: Schweden, das Team um die langjährige Wolfsburgerin Nilla Fischer, ist ein Lieblingsgegner. Seit der WM 1995 in Schweden hat Deutschland gegen die Skandinavierinnen bei keinem großen Turnier mehr verloren. Damals (2:3-Niederlage im Gruppenspiel) stand auch Voss-Tecklenburg auf dem Platz - und erreichte später mit dem Team das Finale.

20 von 28 Begegnungen gegen Deutschland verlor Schweden, die jüngste schmerzliche K.-o.-Niederlage in diesem zur Tradition gewordenen Duell war das olympische Finale 2016: Ein Schuss aus 14 Metern ins Eck und ein von der Torhüterin hinter die Linie abprallender Freistoß ließen die deutschen Frauen 2:1 siegen - beide Male hatte Marozsán den Ball geschossen. Aber, betont Voss-Tecklenburg: "Man sagt ja, jede Serie kann irgendwann zu Ende gehen und wahrscheinlich spielt auch Schweden mit genau diesem Gedanken."

Schwedens Ministerpräsident vergisst jegliche Diplomatie

Diese Vermutung der Bundestrainerin bestätigten die Schwedinnen nach ihrem 1:0 im Achtelfinale gegen Kanada: "Hoffentlich können wir diese ewige Geschichte jetzt mal umschreiben", sagte Kapitänin Caroline Seger zum Gegner Deutschland, "irgendwann muss es ja mal so weit sein." Zu drastischer Wortwahl griff Verteidigerin Magdalena Eriksson: "Wir haben es satt, von diesem verdammten Deutschland-Spuk zu hören." Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven vergaß vor lauter Freude gar jegliche Diplomatie. "Deutschland ist nicht mehr das Deutschland, das es noch vor ein paar Jahren war", sagte er im heimischen Fernsehen. In der Zeitung Expressen hieß es: "Nach diesem Abend scheint alles möglich zu sein." Und bei Aftonbladet wurde gespöttelt: "Das Beste, was die deutsche Mannschaft bislang gezeigt hat, war ihr viel zitierter Werbefilm."

Voss-Tecklenburg hat darauf natürlich ihre eigene Sicht. Sie sagt, "wichtiger" als jeder Blick in die Historie werde sein, "wer gut mit der Drucksituation umgeht." Die Analyse der eigenen WM-Leistung bleibt, wie von allen im deutschen Team stets betont, selbstkritisch. Aber der Trainerin gefällt, dass ihre Mannschaft nun die letzte im Turnier ohne Gegentor ist (auch US-Torhüterin Alyssa Naeher wurde beim 2:1 gegen Spanien erstmals clever überwunden). Deutschland habe in den bisherigen vier Spielen auch wenige "so richtig klare" Torchancen zugelassen. Zudem hätten sich ihre Spielerinnen zuletzt eben auch mal mit Ballstafetten durchgespielt und seien so zum Torabschluss gekommen (nicht nur per Standards). "Dass wir in der letzten Aktion noch cooler werden müssen und Situationen noch besser erkennen könnten, das wissen wir", sagte Voss-Tecklenburg. "Das geht aber nur über Erfahrungswerte."

Spionage-Arbeit im Stadion

Die Mannschaft hat schon einige davon gesammelt in den drei Wochen, seit der blaue Teambus die lange Allee zum Golfressort hochgefahren kam. Von 23 Spielerinnen hatten 15 noch nie an einer WM teilgenommen. Und für Voss-Tecklenburg ist es nach ihrer Station als Schweizer Nationaltrainerin allein von der Aufmerksamkeit her eine ganz andere Aufgabe. "Ich empfinde eigentlich gar nicht so viel Druck. Ich glaube, das hat auch viel damit zu tun, dass ich der Mannschaft vertraue und dass ich hier unheimlich viele Dinge sehe, die uns allen im Trainerteam sehr gut gefallen", sagte sie. "Diese Mannschaft hat einen enormen Charakter und einen Willen und eine Leidenschaft, die ich richtig gut finde."

Eines würde sich ihr Team nie vorwerfen lassen können, egal, wie das Turnier ausgehe: nicht alles gegeben zu haben.

So wurde dann auch am freien Dienstag nicht ganz freigegeben. Am Abend schaute sich das deutsche Team das Achtelfinale Niederlande gegen Japan an. Die Spielerinnen würden sich freuen, WM-Feeling mal anders erleben zu dürfen, sagte die Trainerin. Und Spionage-Arbeit war der Stadionbesuch ja auch: Der Sieger könnte Deutschlands Halbfinalgegner sein.

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