DFB bei der Fußball-WM 2019:Wo bleibt der Aufschwung?

Vor der Frauen-Fußball-WM in Frankreich -Training

Mit Spaß vor dem Kickoff: Dzsenifer Marozsan, Lina Magull, Linda Dallmann und Melanie Leupolz (von links) beim Training.

(Foto: dpa)
  • Vor dem Start der Fußball-WM in Frankreich zeigt sich, dass die deutschen Fußballerinnen immer noch um Anerkennung kämpfen.
  • Der Sport an sich wächst zwar, aber in Deutschland stagniert die Entwicklung.

Von Anna Dreher, Rennes

Manchmal ist es weniger ein klarer Gedanke, sondern ein Gefühl, das zu einer Entscheidung verleitet. So etwas kann schiefgehen, aber es gibt Menschen, die bringen Signale aus dieser undefinierbaren Bauchgegend im Leben dorthin, wo sie wollen. Nicole Rolser wirkt wie jemand, der sich nicht durcheinanderbringen lässt, wenn andere das Gegenteil behaupten, egal wie vehement. Rolser, 27, fand vor siebeneinhalb Jahren die Idee gut, nicht mehr in der Bundesliga für den SC 07 Bad Neuenahr zu spielen, sondern beim Liverpool LFC in England. Als erste Deutsche.

Sie war damit gewissermaßen Trendsetterin für einige der Nationalspielerinnen, die bei der an diesem Freitag beginnenden Weltmeisterschaft in Frankreich für ein möglichst gutes Abschneiden Deutschlands sorgen sollen. Aus dem Kader von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg spielen Dzsenifer Marozsán und Carolin Simon bei Olympique Lyon; von Bayern München werden Leonie Maier bald zum FC Arsenal und Sara Däbritz zu Paris Saint-Germain wechseln. Inzwischen ist das Normalität. "Damals", sagt Rolser, die seit 2015 für den FC Bayern spielt, "haben mich alle für verrückt erklärt. Die deutsche Liga war noch wesentlich professioneller. Aber ich habe eine Chance gesehen."

"Top-Spielerinnen wandern ab, weil sie sehen, was woanders möglich ist"

Der europäische Frauenfußball ist zurzeit in einer freudig unruhigen Bewegung, er rückt Stück für Stück raus aus der Nische. Nur in Deutschland spürt man nicht so viel von diesem Aufschwung. Jahrelang war die Bundesliga unangefochten attraktiv für die besten nationalen und internationalen Spielerinnen mit ihrem ausgeglichenen Wettbewerb auf hohem Niveau; regelmäßig standen der 1. FFC Frankfurt oder Turbine Potsdam im Finale der Champions League, später folgte der VfL Wolfsburg. Doch in den Schlagzeilen der Medien und den Köpfen der Spielerinnen sind andere Ligen inzwischen viel präsenter.

In den Wochen vor dem WM-Eröffnungsspiel der Französinnen gegen das Team aus Südkorea (Freitag, 20.15 Uhr, ZDF) waren auch einige erstaunlichen Zahlen ein beherrschendes Thema: Im März kamen 60 739 Zuschauer ins Wanda Metropolitano, als Atlético Madrid gegen den FC Barcelona spielte; so viele Menschen waren weltweit noch nie im Stadion bei einem Ligaspiel des Frauenfußballs gewesen. Die italienische Liga machte auf sich aufmerksam, als Juventus Turin gegen den AC Florenz 39 027 Fans anlockte. Im April wurde in Frankreich eine neue Bestmarke gesetzt bei der entscheidenden Partie um den Meistertitel zwischen Lyon und Paris, die 25 907 Leute besuchten.

Und in Deutschland? Der Rekord in der Bundesliga liegt seit 2014 bei 12 464 Fans. Beim Pokalfinale 2010 in Köln zwischen dem FCR Duisburg und dem USV Jena waren es 26 282, als die Partie erstmals abgekoppelt vom Männer-Endspiel stattfand.

Derart volle Ränge beim Frauenfußball sind noch Ausnahmen, auch durch kostenlos verteilte Tickets erreicht. Aber sie zeigen doch, dass in anderen Ländern eine Aufmerksamkeit generiert wird, die hierzulande noch nicht konsequent genug verfolgt wird. "Wir haben gefühlt Stillstand, während andere Nationen ständig Schritte nach vorne machen", sagt Ralf Kellermann, früher Trainer und heute Sportlicher Leiter beim VfL Wolfsburg: "Die Organisation der Liga ist gut. Aber jedes Jahr wandern Top-Spielerinnen ab, weil sie sehen, was woanders möglich ist."

Bei den durchschnittlichen Zuschauerzahlen jedoch lagen die großen Vereine vergangene Saison in ähnlichen Bereichen: Zu Spielen des FC Chelsea kamen 1864, zu Lyon 1428, zu Wolfsburg 1689 Besucher. Nur ein Klub ragt heraus, aber der befindet sich auf einem anderen Kontinent, in einem Land, das ein anderes Verhältnis zu dem in Europa alles dominierenden Männerfußball hat: In den USA strömen im Schnitt knapp 17 000 Fans zum Portland Thorns FC. Auch deshalb ist die National Women's Soccer League (NWSL) im Vergleich zu den europäischen Ligen die einzige, deren Gesamtzuschauerzahl wächst. Auch die sportliche Situation ist in den meisten Ligen ähnlich wie in Deutschland: wenige dominierende Top-Vereine und andere, die sich bemühen mitzuhalten. Hinkt die Bundesliga also vielleicht doch nicht hinterher?

Es geht bei dem Eindruck, von anderen Ligen womöglich überholt zu werden, natürlich um die Zuschauerzahlen bei Spitzenspielen. Auch der Frauenfußball wünscht sich ein stabil wachsendes Publikum und gesellschaftliches Interesse. Aber eine viel größere Rolle spielen die Aspekte, die irgendwann zu dieser Steigerung führen dürften: finanzielle Investitionen, bessere Infrastruktur, mehr Marketing, regelmäßige Fernsehpräsenz sowie größere Unterstützung von den Lizenzvereinen der Männer. Und da zeigen andere Länder mehr Engagement.

England scheint die neue Trauminsel zu sein

In Spanien wurde jüngst der Spieltag der Männer wegen des Champions-League-Finales der Frauen zwischen Barcelona und Lyon verschoben. Am Dienstag war in Barcelona bei der Trikotpräsentation auf haushohen Plakaten nicht nur Lionel Messi zu sehen, sondern auch die Kapitänin der Frauen, Vicky Losada. Das spiegelt eine andere Haltung wieder - auch in England, wo der Frauenfußball Ende des 19. Jahrhunderts seinen Anfang nahm. Vor den Männerspielen werden dort oft Szenen vom Spieltag der Frauen gezeigt und die nächsten Termine eingeblendet.

"Im Fanshop damals hing auch von mir ein Plakat, so groß wie das der Männer, das war ganz selbstverständlich", sagt Nicole Rolser. In Deutschland habe sie das noch nicht gesehen. "Es wird medial viel mehr gemacht und die jahrelange Expertise aus dem Männerbereich genutzt", sagt sie: "Wir haben auch mal mit den Männern trainiert. Fünf gegen zwei mit Steven Gerrard und Luis Suárez. Das pusht."

Wie relevant ist der Fußball der Frauen?

Überhaupt scheint England die neue Trauminsel für Fußballerinnen geworden zu sein mit seiner Women's Super League (WSL), Europas einziger vollprofessioneller Frauenliga mit einem eigenen finanzkräftigen Sponsor. Auch dort werfen die Frauenabteilungen noch keine selbsterwirtschafteten Gewinne ab. Aber es wird investiert - und das macht attraktiv. Allein vom FC Bayern wechseln diesen Sommer Leonie Maier, Manuela Zinsberger und Jill Roord zum FC Arsenal, wo sie ihre ehemaligen Mitspielerinnen Vivianne Miedema, Viktoria Schnaderbeck und Lisa Evans wiedertreffen. "Ganz viele Spielerinnen denken inzwischen übers Ausland nach", sagt Rolser, "ich werde so oft von anderen darauf angesprochen, wie das bei mir war."

Als die deutsche Nationalmannschaft der Frauen sich vor der WM im Trainingslager in Grassau vorbereitete, kam auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorbei und sprach diese Thematik an. In einer Stube saß ihm Bayerns Melanie Leupolz schräg gegenüber. "Von entscheidenden Positionen im Verein muss die Unterstützung kommen", erklärte ihm die 25-Jährige: "Wenn der Frauenfußball dort mit einer entsprechenden Relevanz bewertet wird, dürften wir bei einem Spitzenspiel vielleicht auch mal in die Arena, und dann könnten wir auch mal vor so einem Publikum spielen. Das würde schon gehen - wenn man will." Nun, bei der WM, warnt sie, müsse die Bundesliga aufpassen, dass nicht noch mehr Nationalspielerinnen zu ausländischen Vereinen abwandern, sonst verliere diese weiter an Attraktivität.

Es geht um Standards wie Flutlicht und Rasenheizung

Denn es ist ein Kreislauf: Wenn von den deutschen Top-Vereinen Spielerinnen ins Ausland wechseln, weil sie ein neues Umfeld, eine neue Sprache, eine oft bessere Infrastruktur und mehr Gehalt lockt, werden anschließend die Besten der Ligakonkurrenz abgeworben. Dadurch verschiebt sich das Niveau in eine Richtung. Die Liga wird unattraktiver, was weniger Zuschauer und Sponsoren anlockt, was wiederum die finanziellen Möglichkeiten einschränkt - und alles beginnt von vorne. "Daran müssen wir alle etwas ändern. Aber der DFB versäumt es seit Jahren, strukturelle Dinge einzufordern", sagt Kellermann. Es gehe um Standards wie Flutlicht und Rasenheizung, damit die Ausrichtung von Spieltagen gewährleistet ist. Vermeintliche Selbstverständlichkeiten in einer höchsten Liga, sollte man meinen.

Der DFB ist sich der Situation bewusst. "Für mich hängt die allgemeine Entwicklung auch ganz stark mit dem Auftreten von Uefa und Fifa zusammen, die den Frauenfußball sehr stark gesellschaftspolitisch unterstützen. Davon profitieren alle Verbände", sagt Heike Ullrich, als DFB-Direktorin für Vereine, Verbände und Ligen zuständig. Die Highlights wie zuletzt in Spanien sieht sie jedoch vor allem als Investitionsprojekte: "Unser Ziel ist es aber, dass sich die Liga kurz- bis mittelfristig selbst trägt." Auch deswegen gebe es einen Austausch mit den internationalen Ligen. "Wir wissen, dass wir alle die Aufgabe haben, unsere Sportart voran zu bringen. Da helfen wir uns gegenseitig" Auch der DFB habe - wie der englische Verband FA - einen Plan.

Was sich bei all dem nicht geändert hat, ist die Wechselwirkung zwischen Nationalmannschaft und Liga. Spielen die DFB-Frauen erfolgreich, strahlt das auf das Interesse an der Bundesliga ab. Insofern ist ein erfolgreiches Abschneiden nicht nur wichtig für die Trophäensammlung.

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