Fußball-WM der Frauen:Manuel-Neuer-Gedächtnisparaden

Fußball-WM der Frauen: Eine außergewöhnliche Parade nach der anderen: Chiles Torhüterin Christiane Endler.

Eine außergewöhnliche Parade nach der anderen: Chiles Torhüterin Christiane Endler.

(Foto: Thibault Camus/AP)
  • Chiles Torhüterin Christiane Endler glänzt bei der Fußball-WM der Frauen gegen das US-Team.
  • Ihre Paraden erinnern an die Taten von Manuel Neuer und bieten für jeden Torhüter und jede Torhüterin Anschauungsmaterial.
  • Endler engagiert sich national und international besonders für Gleichberechtigung.

Von Anna Dreher

Christiane Endler war im richtigen Moment auf die andere Seite ihres Tores gewechselt, mit flinken kleinen Schritten. 48 Minuten waren gespielt zwischen den USA und Chile bei der Fußball-WM der Frauen. Christen Press, unbewacht, zog an der Fünfmeterraum-Grenze ab. Kaum eine Torhüterin hätte diesen Ball gehalten. Endler aber streckte ihren Arm nach oben, die Finger weit gespreizt, und wehrte den Schuss noch ab. Mit dieser Aktion erinnerte die chilenische Torhüterin an Manuel Neuer, auch er hat schon einige solcher Bälle auf diese für ihn typische Art pariert. Alle Spielerinnen auf dem Platz, außer vermutlich Endler selbst, waren verblüfft darüber, was da eben passiert war - und danach noch passierte: Endler zeigte gegen die USA eine außergewöhnliche Parade nach der anderen. Ein Video davon würde sich bestens als Anschauungsmaterial für jede Torhüterin und jeden Torhüter eignen: So und nicht anders geht's!

Nur drei Mal wurde Endler, 27, von den nicht nachlassenden US-Amerikanerinnen überwunden. Von Kapitänin Carli Lloyd (11., 35.), die damit als erste Spielerin in sechs WM-Partien in Serie traf, und von Julie Ertz (26.). Ohne Endler, Tochter einer Chilenin und eines Deutschen, wäre Chiles Niederlage viel höher als 0:3 ausgefallen, zwei Drittel der Großchancen machte sie zunichte. Die frühere Welttorhüterin Hope Solo (USA) hatte sich schon vorher festgelegt. Endler, sagte sie, sei "kraftvoll, schnell, beweglich, eine tolle Athletin! Sie hat alles, um die Beste der Welt zu sein."

Als eine der weltweit besten Torhüterinnen gilt Endler bereits, ihre Leistung gegen die USA war ein Beleg dafür. Kurz nach dem Abpfiff zeigte sich dann auch, warum Endler nicht nur zwischen den Pfosten so wichtig ist für Chiles Frauenfußball. Sie ist auch eine prägende Figur im Kampf um mehr Anerkennung für ihren Sport - nicht nur in ihrem Heimatland. "Heute spielen wir bei einer WM und repräsentieren Chile, wo der Frauenfußball leider nie viel Unterstützung hatte. Aber wir sind dabei, die Dinge zu verändern", sagte Endler, nachdem sie zur besten Spielerin der Partie gewählt wurde. "Wir zeigen, dass man professionell spielen kann, dass es Orte gibt, wo Frauenfußball wertgeschätzt wird. Und wir arbeiten daran, dass wir auch in Chile einen höheren Stellenwert bekommen."

In den vergangenen Monaten haben sich mehrere Frauen-Nationalteams gegen bestehende Verhältnisse und für Chancengleichheit eingesetzt - für finanzielle, infrastrukturelle und gesellschaftliche Verbesserungen, die besonders im von "Machismo" geprägten Südamerika nicht gewährleistet sind.

Endler kämpft dafür auf nationaler und internationaler Ebene. Es gibt Beispiele, die zeigen, welchen Status Chiles Fußballerinnen in ihrem Land haben. Maria Jose Rojas, inzwischen bei Slavia Prag, erzählte einst, dass sie mit ihrem Team bei einem früheren Verein oft nicht auf den Platz gelassen wurde und stattdessen auf einem Parkplatz trainieren musste. Die Nationalelf wurde 2016 von der offiziellen Rangliste des Weltverbands Fifa als inaktiv gestrichen, weil Chiles Fußballverband ANFP zwei Jahre lang keine Partien des Nationalteams angesetzt hatte. Die frühere Nationalspielerin Iona Rothfeld sagte gegenüber CNN, die Mannschaft habe aufgehört, zusammen zu trainieren - ohne dass die Spielerinnen eine Erklärung dafür vom Verband bekommen hätten. "Weil es niemanden gekümmert hat, war niemand bereit, uns den Respekt entgegenzubringen, den wir verdient hatten", sagte sie. "Wir waren einfach egal."

Sie gilt als das große nationale Vorbild, das es vorher nicht gab

Erst nach einem Wechsel an der Verbandsspitze wurden die Bedingungen besser. 2017 bestritt Chile wieder ein Freundschaftsspiel gegen Peru vor 10 000 Zuschauern im Estadio Nacional in Santiago, 2018 war man Ausrichter und Gewinner der Copa América Feminina. So qualifizierte sich die Mannschaft von Trainer José Letelier zum ersten Mal für eine WM.

Zusammen mit anderen Spielerinnen gründete Rothfeld 2016 ANJUFF, den nationalen Verband für Fußballerinnen, um die Rechte chilenischer Spielerinnen zu vertreten - Christiane Endler war eine der Gründerinnen, sie ist damit auch Ansprechpartnerin für Fußballerinnen anderer südamerikanischer Länder geworden, die alte Strukturen aufbrechen wollen.

Endler fing an einer deutschen Schule mit dem Fußball an, ein bisschen Deutsch spricht sie. Mit Chiles Traditionsklub Colo-Colo wurde sie Meisterin und gewann die Copa Libertadores, bevor sie nach Europa wechselte: zu Chelsea, Valencia und 2017 zu Paris Saint-Germain, wo sie im Vorjahr den Pokal gewann. Sie gilt nun als das große nationale Vorbild, das es im chilenischen Frauenfußball vorher nicht gab. Und weil sie sich dieser Verantwortung bewusst ist, hat sie eine Initiative gegründet: Sie wird noch 2019 die dritte ihrer Schulen mit Frauenfußball-Fokus eröffnen. Es geht dabei weniger darum, die nächsten Stars für die Nationalelf zu finden, als darum, in ihrem auch von Armut geprägten Land allen eine Chance zu geben.

Eine Inspiration für andere zu sein, kann mit einer Glanzleistung eben auch dann gelingen, wenn man ein Spiel 0:3 gegen die USA verliert. Vielleicht folgt am Donnerstag gegen Thailand nun auch der erste WM-Sieg. Sogar der Achtelfinal-Einzug als Gruppendritter ist für Chile noch möglich - weil dank Endlers Paraden das Torverhältnis passabel blieb.

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