Spanien bei der Fußball-WM:Ein Sieg, der die Tränen kullern lässt

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Das zweite Tor: Salma Paralluelo (Mitte) jubelt und wird von den Auswechselspielerinnen kräftig gedrückt. (Foto: Grant Down/AFP)

Die Verliererinnen weinen, die Siegerinnen aber auch: Spanien gewinnt ein emotionales Viertelfinale gegen die Niederlande - obwohl es zwischenzeitlich aussieht, als hätte sich der Trainer verzockt.

Von Felix Haselsteiner, Wellington

Am Ende blieben nur Tränen, auf beiden Seiten. Die Interviewzone im Stadion von Wellington ist ein kalter, von seinen rustikalen Betonwänden geprägter Ort, doch füllten ihn nach dem ersten Viertelfinale dieser WM auf einmal Emotionen aller Art. Einer Protagonistin nach der anderen rollten die Tränen über das Gesicht, die Niederländerin Jackie Groenen weinte bitterlich und fand kaum Worte für das Aus, die Spanierin Jenni Hermoso weinte neben ihr aus höchst emotionaler Freude. So setzte sich das fort, irgendwann hatten auch die Mitarbeiter und selbst die spanischen Journalisten rote Augen.

Bei all diesen Emotionen konnte man erkennen: Hier ging es nicht mehr nur um Fußball - in Wellington war am Freitag mehr passiert als ein 2:1 nach Verlängerung, mit dem Spanien zum ersten Mal in das Halbfinale einer Weltmeisterschaft einzog.

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Zwei besondere Teams waren da aufeinander getroffen, beide spielten Fußball nicht nur im Kampf um einen Titel, sondern auch im Kampf um Anerkennung. Die Spanierinnen hatten der Öffentlichkeit viel zu beweisen, weil sie Spiel für Spiel zeigen müssen, dass sie eine Einheit sind und nicht nur ein Gebilde fantastischer Einzelkönnerinnen, die sich aber gegenseitig nicht mögen und im Weg stehen. Die Niederländerinnen auf der anderen Seite brauchten bei dieser WM einen Erfolg, nach der Enttäuschung der EM aus dem vergangenen Jahr.

Spaniens Trainer Vilda wechselt ohne Not Bonmatí aus - und wird fast dafür bestraft

Eine Dreiviertelstunde lang konnte man klar erkennen, wer in dieser Ausgangslage besser zurecht kam. Spanien bestimmte die erste Halbzeit nach Belieben, fand schnell in das gefürchtete, zielstrebige Kombinationsspiel, das wie schon im Achtelfinale Aitana Bonmatí im Mittelfeld anleitete, gemeinsam mit Jenni und Teresa Abelleira, die auf der Sechser-Position eine der Entdeckungen des Turniers ist - aber erneut ohne Alexia Putellas in der Startelf. Stürmerin Esther hatte nach drei Minuten bereits eine hervorragende Chance, in der 17. Minute traf Alba Redondo gleich zweimal hintereinander den Pfosten, in der 38. Minute brauchte es eine knappe Abseitsstellung, um die Niederlande vor dem Rückstand zu bewahren, ansonsten hielt Torhüterin van Domeselaar das 0:0 fest.

"Wir brauchten 45 Minuten, um in das Spiel zu kommen", sagte die niederländische Innenverteidigerin Stefanie van der Gragt nachher - die dann die Geschichte der zweiten Halbzeit nahezu alleine erzählte. Erst, weil sie in der 80. Minute, als die Niederlande deutlich besser im Spiel war und sich ein Unentschieden verdient hatte, aus dem Nichts am Strafraumrand eine Flanke mit der Hand abwehrte. Schiedsrichterin Stephanie Frappart, die zuvor schon einen niederländischen Elfmeter nach Ansicht der Fernsehbilder zurückgenommen hatte, eilte erneut zum Bildschirm und entschied auf Elfmeter: Mariona Caldentey verwandelte über den Umweg Innenpfosten zum 1:0, was offenbar auch Trainer Jorge Vilda dazu anstiftete, das Spiel als gewonnen anzunehmen. Vilda wechselte ohne Not Bonmatí aus - und wurde fast dafür bestraft.

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Die Niederlande kam noch einmal zurück, weil deren Trainer Andries Jonker in der Schlussphase seine Innenverteidigung in die Offensive beorderte. In Stürmerposition kam van der Gragt in der Nachspielzeit in ein Laufduell und im Stile einer Stürmerin erzielte sie mit einem wuchtigen Schuss das 1:1. Es folgte daher eine Verlängerung, die nun ein Ungleichgewicht hatte: Ohne Bonmatí hatte Spanien weniger Kontrolle, dafür konnte die Niederlande nun das Spiel aus dem Mittelfeld heraus ausgeglichen gestalten und hatte zahlreiche gute Chancen zur Führung - vor allem in Person von Lineth Beerensteyn.

Die Stürmerin setzte sich immer wieder in Laufduellen durch, scheiterte allerdings beim Abschluss, auch in der 110. Minute bei ihrer besten Chance. Es folgte ein spanischer Gegenangriff über links, mit der - ebenso wie Putellas - eingewechselten Salma Paralluelo, die im Strafraum einen Haken schlug und dann wieder den Innenpfosten anvisierte: Zum zweiten Mal an diesem Nachmittag sprang der Ball von dort aus ins Tor, diesmal war es die Entscheidung.

Die Last, die von Spaniens Spielerinnen abfällt, ist spürbar

"Irgendwann werden wir stolz sein darauf, aber das muss man erstmal zuhause verarbeiten", sagte van der Gragt nach dem Spiel, ihrem letzten, sie beendete mit dem Schlusspfiff auch ihre 14 Jahre lange Karriere. Die Niederlande, das bleibt als Erkenntnis, sind wieder eine Nation, die mit den besten der Welt "mithalten" kann, sagte Jonker, der "gemischte Gefühle" äußerte: "Auf der einen Seite bin ich sehr enttäuscht, denn es wäre möglich gewesen, obwohl Spanien etwas besser war als wir. Auf der anderen Seite bin ich auch ein bisschen stolz."

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Die Halbfinalistinnen aus Spanien allerdings waren in ihrem Sieg noch ein Stück weit emotionaler. Die Last, die von dem Team abfällt, ist mit jeder Runde, die Spanien weiterkommt, spürbar, bei Kapitänin Irene Paredes, bei den jungen Spielerinnen wie Abelleira und nicht zuletzt bei Trainer Vilda, der seine Kritiker immer mehr zum Schweigen bringt. Dieses Halbfinale mag historisch sein für Spanien, vor allem aber steht es für das pragmatische Zusammenfinden eines Teams, dem das die Wenigsten zugetraut hatten. Die Spielerinnen und der Trainer hatten diesen Pragmatismus vor dem Turnier versprochen, sie wollten sich daran messen lassen und mit zunehmender Dauer der WM scheint es, als würden sie daran wachsen.

Das gilt auch für diejenigen, die selbst ein Politikum sind. Putellas sprach als einzige spanische Spielerin erneut kein Wort, so wie das ganze Turnier schon. Man muss bei Spaniens Nummer elf daher viel interpretieren auf dem Feld, etwa wenn man ihr nach der Einwechslung bei jeder Aktion ansah, dass sie diejenige im Kader ist, die noch am meisten zu beweisen hat. Abseits davon lagen in Wellington immerhin ihre Gefühle nicht mehr im Bereich der Interpretation, erstmals war sie ganz deutlich sichtbar nicht mehr Einzelkämpferin inmitten eines Teams: Auch Putellas saß nach Schlusspfiff in Tränen aufgelöst neben Hermoso auf der Bank.

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