Es hatte sich angedeutet, dieses Tor Nummer 52, natürlich, denn hier spielte ja immerhin Frankreich, der Weltmeister. Als es dann gefallen war, sah man vor allem Stolz im Gesicht von Olivier Giroud, 36. Der alte Mittelstürmer Giroud, oft geschmäht, oft verlacht, allzu oft aber auch gebraucht, ist jetzt der alleinige Rekordtorschütze der französischen Nationalmannschaft. Thierry Henry hat 51 Mal getroffen. Und Giroud hat die Möglichkeit, seiner Bilanz noch den ein oder anderen Treffer hinzuzufügen. Denn sein 1:0 am Sonntagabend im Al-Thumama-Stadion von Doha war nur der Auftakt zu einem eindrucksvollen 3:1-Sieg im Achtelfinale gegen Polen. Nun folgt das Viertelfinale, und wer weiß, wie weit es dann noch gehen kann für Les Bleus.
Die Franzosen wollten in diesem Spiel auf keinen Fall dort weitermachen, wo sie in der Vorrunde aufgehört hatten, das stand aber auch nicht zu erwarten. Beim kuriosen 0:1 am Mittwoch gegen Tunesien hatte der Nationaltrainer Didier Deschamps vom Torwart bis zum Mittelstürmer fast die gesamte Startelf umgebaut, wer will noch mal, wer hat noch nicht ( bloß der FC-Bayern-Verteidiger Benjamin Pavard kam auch in dieser Partie nicht zum Einsatz). Neun Neue auf dem Feld, da war dann wenig zusammengelaufen, und am Ende wurde Antoine Griezmanns vermeintlicher Ausgleich noch vom Videoschiedsrichter einkassiert, nach Ende der Partie. Deschamps' Referenzpunkt war stattdessen das eindrucksvolle 2:1 gegen Dänemark, was sich in der identischen Aufstellung niederschlug, mit dem Abwehrduo Varane/Upamecano, dem jungen Aurélien Tchouaméni im Zentrum und vorne mit dem Vierzack Mbappé/Griezmann/Dembélé/Giroud.
Wie kann man deren Offensiv-Power stoppen? Das war die große Frage gewesen für den polnischen Trainer Czeslaw Michniewicz, und er entschied sich offenbar für eine etwas andere Taktik als beim letzten Gruppenspiel gegen Argentinien (0:2), in welchem die Polen einen eisernen Vorhang aus Verteidigerbeinen hochgezogen hatten, was ihnen aber nichts nützte. Diesmal wollten sie selbst am Spiel teilhaben. Und wenn die Franzosen ihnen zu entwischen drohten, dann hielten sie diese halt am Arm oder am Trikot fest. Der Schiedsrichter Jesús Valenzuela aus Venezuela sah darüber lange hinweg oder beließ es bei gutem Zureden. Aber Robustheit alleine ist halt auch noch keine Strategie.
Girouds Treffer versetzt auch den zweifachen Torschützen Mbappé in Stimmung
So stellte sich die für Polen bittere Erkenntnis recht schnell ein: Ein Kylian Mbappé setzt sich in seinen Sprints auch dann durch, wenn er noch einen Stopp an der Eisdiele einlegt. Und nach einer halben Stunde Spielzeit waren so schon ein halbes Dutzend guter Gelegenheiten zusammengekommen für die Franzosen. Die beste: Ousmane Dembélé legt vors Tor, Giroud rutscht herbei, der Ball hoppelt aber knapp neben den Pfosten (29.).
Würde das am Ende so ein Hundert-Mal-den-Ball-berührt-Spiel werden, in dem doch der Gegner trifft? Kurz sah es so aus, in der 38. Minute nämlich, als binnen Sekunden erst zweimal Piotr Zielinski und dann Jakub Kaminski Schüsse aufs französische Tor absetzten, die aber jeweils mit Glück geblockt werden konnten. Es war also auch eine Erlösung für die Franzosen, als Giroud, eingesetzt von Mbappé, den Ball zum 1:0 neben den rechten Pfosten setzte (44.). Und es beflügelte offenbar auch Giroud selbst: Anfang der zweiten Halbzeit traf er mit einem spektakulären Seitfallzieher, zuvor war allerdings wegen eines Fouls abgepfiffen worden (58.).
Erstaunlich war die Wirkung des Rekordtors auch auf Mbappé. Der 23-Jährige, der immer im Verdacht steht, sich selbst den Glanz ein bisschen mehr zu gönnen als den Kollegen, verdribbelte nun ein paar Bälle, anstatt sie zu den Kollegen zu passen. Die Führung für Frankreich blieb knapp. Doch dann zirkelte Mbappé den Ball gleich zweimal unter die Latte des polnischen Tores, erst zum 2:0 (74.), dann zum 3:0 (90+1.).
Robert Lewandowski vergab schließlich noch einen Handelfmeter, durfte die Ausführung aber wiederholen, weil sich Lloris zu früh von der Linie bewegt hatte. Beim zweiten Mal traf Lewandowski (90+9.). Doch es blieb beim Sieg des Favoriten, der nun auch dies bedeutet: Der Pole Lewandowski - Kapitän, Titelsammler, Weltfußballer - bleibt mit dem Nationalteam ungekrönt. Da ist er allerdings nicht der einzige, seitdem König Stanisław August im Jahr 1795 abdanken musste.