Süddeutsche Zeitung

Frankreich bei der Fußball-WM:Der Weltmeister zeigt seine Schwächen - und seine Stärken

Ein paar Aussetzer hinten, aber vorne viel Wirbel und natürlich Mbappé: Durch ein 2:1 gegen Dänemark erreicht Titelverteidiger Frankreich vorzeitig das Achtelfinale. Der Stürmer aus Paris unterstreicht seinen Sonderstatus.

Von Claudio Catuogno, Doha

Wenn die Franzosen spielen, schauen viele immer besonders genau hin bei dieser WM, die Franzosen sind der aktuelle Weltmeister. Sollten sie weit kommen beim Turnier in Katar, könnten sie die erste Mannschaft seit Brasilien 1962 werden, die diesen Titel verteidigt. Seither ist das niemandem mehr gelungen, was zeigt, wie schwer es ist. Am Ende entscheidet eben nicht nur, wer das beste Team hat, sondern auch Tagesform, Matchglück, Trainerintuition und vieles mehr.

Und trotzdem war das zweite Vorrundenspiel gegen Dänemark am Samstagabend im Stadion 974 von Doha, das sie 2:1 (0:0) gewannen dank zweier Tore von Kylian Mbappé, ein guter Formtest für die Mannschaft des Weltmeistertrainers Didier Deschamps. Die Dänen sind nicht die Australier, die man locker mit 4:1 wegschießen kann, wie das den Franzosen in ihrem Auftaktspiel gelang. Die Dänen sind für Les Bleus eher so etwas wie der nervige Arbeitskollege vom gleichen Stockwerk, der ständig bei einem ins Büro kommt und bei dem man immer schon vorher weiß, dass es irgendwie Ärger gibt.

In der Nations League haben die Franzosen in diesem Jahr beide Spiele gegen die Dänen verloren, zuhause 1:2, auswärts 0:2. Und als man sich bei der WM 2018 ebenfalls schon in der Vorrunde über den Weg lief, kam ein trübes 0:0 heraus, nach dem kaum jemand auf Frankreich als kommenden Weltmeister getippt hätte. Auch bei den WM-Turnieren 1998 und 2002 sowie bei den EM-Turnieren 1984, 1992 und 2000 spielte man übrigens gegeneinander, was mal dem einen, mal dem anderen den Weg in ein großes Turnier bereitete: Dreimal holte danach Frankreich einen Titel (1984, 1998, 2000), einmal die Dänen (1992).

Anstelle des Kreuzband-Patienten Lucas Hernández spielt nun dessen Bruder Theo

So weit ist es aber noch lange nicht, erst mal war dieses Spiel für beide Trainer klassisches Vorrundengeschäft. Deschamps wechselte dreimal im Vergleich zum Australien-Sieg, für den am Kreuzband verletzten Lucas Hernández startet dessen Bruder Theo, außerdem begannen Jules Koundé und Raphael Varane anstelle von Benjamin Pavard und Ibrahima Konaté. Kasper Hjulmand hatte nach dem 0:0 gegen Tunesien ebenfalls einen Ausfall auf dem Zettel: Thomas Delaney ist mit einer Knieverletzung nach Hause geflogen. Andreas Skov Olsen, Kapitän Simon Kjaer und Kasper Dolberg bekamen aus anderen Gründen zunächst einen Bankplatz zugewiesen. Dafür waren Joachim Andersen in der Dreierkette, die offensiven Flügelspieler Jesper Lindström und Mikkel Damsgaard sowie der Mittelstürmer Andreas Cornelius neu dabei.

Und auch wieder jener Mann, bei dem nach dem Herzstillstand-Drama von der EM 2021 viele besonders genau hinschauen, wenn er mit Dänemark spielt: Christian Eriksen, inzwischen mit einem Herzschrittmacher ausgestattet und bei Manchester United unter Vertrag.

Die Dänen erwiesen sich durchaus als hartgesottene Nervensägen, sie hatten, wenn es ernst wurde, anfangs aber kaum Argumente zur Hand. Die Franzosen machten das Spiel: Rechts wirbelte Ousmane Dembélé den bemitleidenswerten Joakim Maehle schwindelig. In der Mitte wartete dann mal der lange Olivier Giroud, doch dessen Kopfballversuch fand nicht den Weg ins Tor (15.). Ein andermal geriet Kylian Mbappé in Rückenlage und zog drüber (40.). Das waren nur zwei von vielen guten Gelegenheiten, die die Franzosen nicht ins Ziel brachten.

Unproduktive Dominanz birgt immer die Gefahr, dass man gar nicht mehr damit rechnet, dass doch mal etwas passieren könnte. Wie in der 36. Minute, als plötzlich Cornelius auf das Tor von Hugo Lloris zustürmte, einer der seltenen dänischen Konter - sein Schuss aus spitzem Winkel ging aber vorbei. Und kurz darauf (38.) gelang es Rasmus Kristensen, den Vertretungs-Bruder Theo Hernández zu tunneln, aber kein anderer Däne konnte mit Kristensens scharfer Hereingabe im Strafraum etwas anfangen.

Braithwaite trifft den Pfosten - da haben die Dänen den Favoriten sogar am Rande einer Niederlage

So verrannen die Minuten, erste Halbzeit, zweite Halbzeit, die Franzosen schienen alles im Griff zu haben, trafen aber nicht - bis auf der linken Seite ein Doppelpass von Hernández und Mbappé letzteren im Strafraum an den Ball brachte: Das war das 1:0 für die Franzosen (61.). Geduld wird eben belohnt - und nun brachten sie diese Partie souverän nach Hause? Von wegen.

Christensen glich nach einer Ecke per Kopfball aus (68.), und als kurz darauf Lindström völlig frei zum Abschluss kam, aber Lloris parieren konnte, da fühlte sich diese Partie plötzlich so an wie jene der Deutschen gegen Japan (1:2): Mitte der zweiten Halbzeit, der Favorit stand am Rande einer Niederlage. Kurz darauf setzte der eingewechselte Martin Braithwaite den Ball sogar an Lloris' Pfosten (81.). Gleich mehrmals hatte sich Frankreichs Abwehr überrumpeln lassen - der Weltmeister zeigte seine Schwächen.

Doch dann zeigte er wieder seine Stärken: Les Bleus haben eben Kylian Mbappé und wissen ihn in Szene zu setzen. Diesmal war es Antoine Griezmann, der perfekt auf Mbappé flankte, der musste den Ball nur noch über die Linie drücken (86.). Frankreich steht vorzeitig im Achtelfinale, Dänemark hat erst einen Punkt und muss nun gegen Australien gewinnen. Was einem Team aber gelingen kann, das dem Weltmeister derart gekonnt auf die Nerven ging.

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