Süddeutsche Zeitung

England bei der Fußball-WM:Harry Kane kann es doch noch

Der englische Stürmer erzielt beim 3:0 im Achtelfinale gegen Senegal sein erstes Tor bei der WM. Im Viertelfinale kommt es nun zum Showdown gegen Frankreich - und Kane jagt einen speziellen Rekord.

Von Sven Haist, al-Chaur

Er kann es doch noch - und wie! In den ersten drei Turnierspielen blieb Harry Kane jeweils ohne eigenes Tor, obwohl England insgesamt beachtliche neun Treffer erzielte. Die Kritik an Kane hielt sich auf der Insel aber in Grenzen, weil der Mittelstürmer plötzlich in neuer Rolle glänzte: als Vorlagengeber.

Auch beim Führungstreffer im Achtelfinalduell mit Senegal, das England 3:0 gewann, wirkte der Kapitän wesentlich mit. Beim bisher ansehnlichsten Turniertor kombinierte sich England von hinten nach vorn, an allen elf Gegenspielern vorbei. Den Angriff initiierte Innenverteidiger Harry Maguire mit einem Pass raus auf die linke Seite. Dort ließen Luke Shaw und Phil Foden in einem einstudierten Spielzug den Ball laufen, ehe Kane, der sich geschickt zurückfallen ließ, ein vorzüglicher Steilpass auf den für ihn nachrückenden Jude Bellingham gelang. Dessen Flanke kam genau in den Lauf von Jordan Henderson, der das Zuspiel mühelos in der 38. Spielminute verwertete - womit der Weg ins Viertelfinale eigentlich frei war.

Die Restzweifel lösten sich ein paar Minuten später auf, als Kane nach einem Tempogegenstoß den Ball ins Tor knallte - derart hart, dass der Einschlag noch daheim in England zu hören gewesen sein dürfte. In den dortigen Pubs wurde in den vergangenen Tagen gewitzelt, wenn Kane weiter so selbstlos agiere, würde er Landsmann Wayne Rooney als Rekordtorschützen seines Landes nicht mehr einholen. Dazu fehlt ihm nach seinem 52. Treffer im England-Trikot jetzt nur noch ein läppisches Tor. Er wird es wohl schaffen.

Im Viertelfinale kommt es zum Showdown England gegen Frankreich

Englands ungefährdeter Sieg über Senegal bestätigte den Trend dieser WM: Die Gruppensieger geben sich in Katar weiter keine Blöße. Alle Vorrundenersten der Gruppen A bis D haben das Viertelfinale erreicht, dadurch kommt es am Samstag zu einem Showdown: Titelverteidiger Frankreich trifft auf Mitfavorit England. Und jetzt, da Senegal ausgeschieden ist, ist Marokko die letzte im Turnier verbliebene Nation aus Afrika.

Das Duell mit Senegal glich aus englischer Sicht dem Schlagabtausch mit Kolumbien im Achtelfinale bei der WM 2018. Beide Kontrahenten durften zwar nicht unterschätzt werden, galten aber als machbare Aufgaben. Daher war die Partie ein Gradmesser für das Mutterland des Fußballs, inwieweit Trainer Gareth Southgate seine Auswahl über die Jahre vorangebracht hat. Vor vier Jahren benötigte England noch ein Elfmeterschießen zum Zittersieg. Diesmal war das Spiel schon nach regulärer Spielzeit entschieden - beziehungsweise nach 57 Minuten, als Bukayo Saka zum 3:0 traf.

Nachdem schon das Überstehen der Vorrunde für England nie wirklich gefährdet war, nutzte Southgate die Partien vor allem, um die Form seiner Spieler zu testen. Weil nahezu jeder seinen Einsatz rechtfertigte, konnte er gegen Senegal bis auf den aus Katar abgereisten Raheem Sterling aus sämtlichen Spielern seines Kaders wählen. Sterling war "wegen einer Familienangelegenheit" zurück nach England geflogen, wie der englische Verband mitteilte. Laut BBC ist in Sterlings Haus in London eingebrochen worden, während seine Familie zugegen war. Die Täter sollen bewaffnet gewesen sein.

Southgate entschied sich taktisch und personell für ein Best of aus den bisherigen Begegnungen, darunter die vor dem Turnier selten praktizierte 4-3-3-Formation, die dank einer Nominierung von Henderson zusätzliche Stabilität im Mittelfeld gibt. Zusätzlich vertraute Southgate erstmals in einer K.o.-Phase Linksaußen Phil Foden in der Startelf, den zweifellos spielstärksten, aber defensiv nicht immer ganz zuverlässigen Fußballer.

Mit beiden Maßnahmen lag der Trainer richtig. Foden rechtfertigte seine Aufstellung mit mehreren guten Offensivszenen wie der direkten Vorarbeit zum dritten Treffer. Seine Ballsicherheit war ein Grund für die Dominanz der Engländer, die gegen Senegal zudem ruhig und kontrolliert agierten. Das ist nicht selbstverständlich in einem Match, in dem der Druck auf das Team groß war, weil die Nation einen Pflichtsieg erwartete. Aus einem geordneten Spielaufbau wartete England geduldig auf seine Chance und versuchte, mit vielen Spielverlagerungen die dichten Abwehrreihen der Senegalesen auseinanderzuziehen - was sich zunächst als mühselig erwies.

Ohne Sadio Mané fehlt den Senegalesen die Schlagkraft in der Offensive

Das Herzstück der Senegalesen bildet das vorzeigbare Abwehrtrio aus Torwart Édouard Mendy sowie den Innenverteidigern Abdou Diallo und Kalidou Koulibaly, doch ohne den verletzten Sadio Mané und den gelb-gesperrten Idrissa Gueye fehlte den Westafrikanern jede Schlagkraft in der Offensive. Die wenigen beachtlichen Torannäherungen ergaben sich nur nach Ballverlusten der Engländer im Spielaufbau. Dabei leisteten sich jeweils Saka und Harry Maguire fehlerhafte Pässe, die beinahe Ismaïla Sarr und Boulaye Dia in der Anfangsphase ausgenutzt hätten. Sarr schoss aus kurzer Distanz überhastet drüber, den Schuss von Dia wehrte Englands Torwart Jordan Pickford erstklassig ab.

Trainer Southgate fing frühzeitig in der zweiten Halbzeit an, seine wichtigsten Spieler zu schonen. Einzig Harry Kane blieb bis zuletzt auf dem Spielfeld. Vermutlich, um sein Rekordtor zu erzielen - auf das er allerdings noch ein bisschen warten muss. Mindestens bis zum Viertelfinale gegen Frankreich.

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