Fußball-WM:Kane ist ihr Schicksal

Tunisia v England: Group G - 2018 FIFA World Cup Russia

Begraben in der Jubeltraube: Englands Doppeltorschütze Harry Kane (unten)

(Foto: Getty Images)
  • Von Beginn an startet die englische Mannschaft engagiert in die Partie gegen Tunesien, nach elf Minuten trifft Kapitän Harry Kane.
  • Der persönliche Höhepunkt für Kane ist sein zweites Tor in der Nachspielzeit, mit dem er England zum 2:1-Erfolg verhilft.
  • Damit brechen die Engländer auch ihren Auftaktfluch: Erstmals seit der WM 2006 haben sie das erste Spiel bei einem Turnier gewonnen.

Von Sven Haist, Wolgograd

Von Harry Kane war nichts mehr zu sehen. Nacheinander warfen sich die Teamkollegen an der Eckfahne auf den Torschützen, über ihm wölbten sich die Mitspieler in ihren roten Trikots, in dem Menschenpulk ging es zu wie in einem Ameisenhaufen. Die Beteiligten lagen so dicht aufeinander, dass nicht auszumachen war, wer nun alles Kanes Kopf tätschelte. In der Geste war auch Trost für die ungerechtfertigte Diskussion enthalten, die Kane vor der WM in Russland über sich ergehen lassen musste. In England wurde dem Mittelstürmer vorgehalten, dass er noch kein Turniertor für die Three Lions erzielt hat. Bei der EM 2016 ging es für Kane nach vier Einsätzen ohne Tor zurück auf die Insel - noch mal passiert ihm das nicht.

Bereits in der elften Minute des englischen Auftaktspiels gegen Tunesien entledigte sich Kane der Last der Erwartungen. Nach einem Kopfball des Innenverteidigers John Stones reagierte der Mann mit der Nummer 9 im Strafraum am schnellsten und drückte den Abpraller mit dem rechten Fuß über die Linie. Kane erzielte den Führungstreffer gleich in seinem ersten Spiel als WM-Kapitän der englischen Auswahl. Mit 24 Jahren löste er den ehrenvollen Sportsmann Bobby Moore ab, der 1966 das Mutterland des Fußballs im heimischen Wembley-Stadion zum bislang einzigen Weltmeistertitel führte.

Kanes persönlicher Höhepunkt in der bisherigen Karriere war dann allerdings doch eher sein zweites Tor, mit dem er England in der Nachspielzeit zum 2:1 (1:1) über Tunesien verhalf. "Gott sei Dank hat es einen guten Abschluss gefunden", sagte Kane in der ARD: "Wir sind froh über den Dreier und haben bekommen, was wir verdient haben." Nach den zurückliegenden, eher schamhaften Turnierleistungen können die Engländer im Grunde nur noch an Renommee gewinnen. Um der Liste an eingespielten Peinlichkeiten ein Ende zu setzen, muss die Delegation um Nationaltrainer Gareth Southgate aber erst noch die Gruppenphase meistern. Ein Scheitern an Tunesien, Panama und Belgien in Gruppe G würde die Vergangenheit wieder aufwirbeln, die nach Southgates Amtsübernahme im Herbst 2016 sukzessive zur Ruhe gelegt wurde. Und gegen Tunesien sah es lange nicht nach einem Sieg aus, auch wenn die Darbietung durchaus vorzeigbar war - sieht man von den vielen fahrlässig vergebenen Chancen ab.

In der Startaufstellung erinnerte nicht mehr viel an das Achtelfinal-Aus bei der EM 2016 in Frankreich. Mit Kane, Dele Alli, Kyle Walker und Raheem Sterling standen bloß vier Spieler in der Startelf, die damals beim 1:2 gegen Island von Beginn an mitgewirkt hatten. Auch in der Spielweise zeigte die englische Auswahl keine Gemeinsamkeiten mit ihren Vorgängern. Die Lust auf dieses Turnier war jedem Profi anzusehen.

Vom Anpfiff an stürmten die Engländer nach vorne, wie sie es unter Southgate noch nie getan haben. Als ob sie all die angesammelten Blamagen ihrer Vorgänger in einem Spiel wettmachen wollten. Zur Halbzeit hatten sie elf Torschüsse abgegeben, die für Tunesien nicht zu bändigen Raheem Sterling, Dele Alli und Jesse Lingard zielten fast überall hin, nur nicht ins Tor.

Kyle Walker mit einer Tollpatschigkeit

Tunesiens Torhüter Mouez Hassen musste frühzeitig wegen einer Schulterverletzung ausgewechselt werden, mehrmals hatte er bei seinen Paraden die Gesundheit riskiert, weil Englands körperliche Überlegenheit dazu führte, dass jeder gewonnene Kopfball im tunesischen Strafraum eine Großchance einleitete. Die Versuche der Innenverteidiger Stones und Harry Maguire holte Hassen jeweils aus dem Kreuzeck, in der dritten Minute wehrte er aus der Nahdistanz einen kaum zu haltenden Schuss von Lingard noch mit dem Fuß ab.

Sein Ersatzmann Farouk Ben Mustapha passte sich anschließend diesem Leistungsniveau an, wobei England eher an der eigenen Zappeligkeit verzweifelte. Sinnbildlich dafür stand eine Szene: Nach einem Freistoß herrschte erneut Chaos im Strafraum, Maguires von Alli verlängerten Kopfballaufsetzer lenkte Tunesiens Syam Ben Youssef an die Latte, danach schlug Stones vor der Torlinie ein Luftloch (39.).

Die Großzügigkeit in der Chancenverwertung hätte sich England leisten können, wäre nicht Kyle Walker eine Tollpatschigkeit unterlaufen, die der kolumbianische Schiedsrichter Wilmar Roldán mit einem Elfmeter bestrafte. Um einen Flankenball abzuschirmen, streckte Walker den rechten Arm ins Gesicht von Fakhreddine Ben Youssef. Der sank zu Boden - und klopfte sich anschließend vor Freude mehrmals auf die Schenkel. Ferjani Sassi nutzte den Strafstoß zum 1:1 (33.). Weitere Chancen gab es kaum für die Nordafrikaner.

In der zweiten Halbzeit hatten die Engländer dann lange keine Idee mehr für ein weiteres, entscheidendes Tor. "Wir haben gut angefangen, die zweite Halbzeit war schwierig, da haben beide Teams miteinander gerungen", analysierte Kane, der dann in der Nachspielzeit mit einem Kopfball für Aufatmen sorgte. Bis dahin war lange nichts mehr von ihm zu sehen gewesen.

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