Süddeutsche Zeitung

Fußball-WM:Einmal zum Mars und zurück

Im Eröffnungsspiel der Fußball-WM erreicht Südafrika nach einem fulminanten Führungstor gegen Mexiko doch nur ein 1:1 - weil Mphela am Ende nur den Pfosten trifft.

Christian Zaschke, Johannesburg

- Es lief die 90. Minute, und jetzt würde Afrikas Traum wahr werden, Katlego Mphela, genannt "Der Killer" lief allein auf das Tor der Mexikaner zu, er schaute, er schoss, und der Ball - der wusste nichts von Afrikas Traum, er prallte an den Pfosten und rollte davon. 1:1 (0:0) endete also das WM-Eröffnungsspiel zwischen Südafrika und Mexiko, was bedeutet, dass für beide Teams noch alles möglich ist im Turnier. Für die Südafrikaner heißt das: Die Party geht jetzt erst richtig los, die Hoffnung lebt.

Groß war die Euphorie gewesen in den vergangenen Tagen, und ganz heimlich waren ebenso groß die Befürchtungen, das Team könne auf diesem internationalen Niveau nicht mithalten. Jetzt ahnen die Gegner und wissen die Fans: Mit dieser Unterstützung ist das limitierte Team Südafrikas zu vielem fähig. Natürlich hatten die Mexikaner das mindestens geahnt, sie wussten ja was auf sie zukommen würde. Jeder wusste es, der sich in den vergangenen Tagen in Johannesburg aufgehalten hatte. Der Lärm, das Brummen, das Summen, die Freude, die Begeisterung. Aber wie soll man sich vorbereiten auf dieses Gedröhne von Zehntausenden Vuvuzelas, das einem ganz allmählich das Großhirn weichwummert, wie soll man sich vorbereiten auf 85000 Menschen, die von der Hoffnung beseelt werden, dass ihre Jungs das Unmögliche wahrmachen, dass Bafana Bafana gegen Mexiko gewinnen. Es ist eine Sache, in einem beliebigen Stadion voller lauter Fans ein Auswärtsspiel bestreiten zu müssen. Es ist eine vollkommen andere Sache, im Eröffnungsspiel der ersten WM in Afrika gegen den Gastgeber antreten zu müssen, der von Menschen leidenschaftlich unterstützt wird, die in dieses Turnier, in dieses Spiel, in diese Milliardenveranstaltung so viel mehr hineinlesen als Fußball. Johannesburgs Soccer City bebte vor Erwartung, und immer, jede Minute und jede Sekunde, fand diese Erwartung Ausdruck im Brummwummern der Vuvuzelas.

Nur am Anfang, in den ersten Minuten, schienen die südafrikanischen Spieler überfordert zu sein mit dem Druck. Manche Spieler wirkten nervös, manche agierten zu lässig; vermutlich wollten letztere dieses flaue Gefühl im Magen einfach überspielen, dieses Gefühl, mit dem der Körper mitteilt, dass er mehr als nur ein bisschen nervös ist, dass innerlich zittert, dass er Angst hat. Bereits in der zweiten Minute kam Mexiko zur ersten Chance, Giovani dos Santos scheiterte, und auch die folgende Ecke war brandgefährlich. In diesen ersten Minuten wirkte die Begegnung wie das Aufeinandertreffen einer routinierten Bundesliga-Elf und einem aufgeregten Regionalligisten. Aber das sollte sich ändern.

Ganz allmählich fanden Bafana Bafana besser ins Spiel, im Mittelfeld zeigten der ehemalige Dortmunder Steven Pienaar und Siphiwe Tshabalala, dass sie nicht nur mit dem Ball umgehen können, sondern auch imstande sind, das Spiel in ihrem Sinne zu lenken. Der Abwehr gelang es im Verbund mit dem Pressing spielenden Mittelfeld, die Mexikaner weit vom eigenen Strafraum wegzuhalten. Den hohen Favoriten aus Südamerika schien das nicht viel auszumachen. Geduldig passten sie den Ball zurück und zurück und zurück, sie warten ab, sie schienen den Eindruck zu haben, diese Partie nötigenfalls auch mit einem späten Tor für sich entscheiden zu können. Ein frühes hatten sie ja bereits erzielt, in der 37. Minute, doch der Treffer wurde wegen Abseits nicht gegeben. Es entwickelte sich ein ausgeglichenes, aber weder ein gutes noch ein aufregendes Spiel; aber auch das sollte sich ändern.

In der zweiten Halbzeit griffen die Südafrikaner entschlossener an, vielleicht hatte Trainer Carlos Alberto Parreira ihnen gesagt, dass diese Mexikaner das gleiche flaue Gefühl im Bauch haben und man sie durchaus mal unter Druck setzen könne. In der 55. Minute dann setzte sich Tshabalala auf der linken Seite durch, er lief in den Strafraum, und im Stadion wummerten sich die Vuvuzelas in neue Höhen; da war sie, die große Chance, Soccer City schaute auf Siphiwe Tshabalala, und der jagte den Ball mit Wucht und Macht und Präzision zum 1:0 in den rechten Torwinkel, und dann hob das Stadion kurz ab und flog zum Mars. Nunja, zumindest wurde es von einer Explosion des Jubels so sehr erschüttert, dass es sich vielleicht einen Millimeter über den Boden erhoben hat, ganz kurz nur. Es war wie ein Traum für die südafrikanischen Fans. Und jetzt wollte auch die Mannschaft alles.

Teko Modise vergab eine Riesenchance aus sechs Metern Entfernung, Soccer City stöhnte (66. Minute), wenig später lief Modise schon wieder in den Strafraum, er wurde umgerissen, Schiedsrichter Ravshan Irmatov ließ weiterspielen (70. Minute). Zwei so große Chancen ausgelassen, natürlich rächt sich das, sonst wäre Fußball nicht Fußball: In der 79. Minute verschätzte sich Kapitän Aaron Mokoena bei einer Flanke, hinter ihm hatte sich Rafael Marquez davongestohlen und drosch die Kugel aus kurzer Distanz zum 1:1 ins Netz. Erleichtert gratulierten die Mexikaner einander, zehn bange Minnuten mussten sie noch überstehen, dann durften sie mit dem Unentschieden sehr zufrieden sein. Als beide Teams vom Platz geschritten waren, dröhnten die Vuvuzelas einfach weiter durch die Nacht.

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SZ vom 12.06.2010/jüsc
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