Fußball-WM: Diego Maradona:Der Kopf Gottes

Diego Maradona gilt gemeinhin als Hampelmann, Ex-Junkie und Trainerwitz. Doch bislang hat Argentinien bei dieser WM überzeugt. Könnte es sein, dass Maradona der ideale Trainer für diese Elf ist? Eine Verteidigung.

Jürgen Schmieder

Natürlich hat er ihn umarmt. Und geküsst, womöglich gar auf den Mund. Als Lionel Messi am vergangenen Donnerstag seinen 23. Geburtstag feierte, gehörte Diego Maradona zu den herzlichsten Gratulanten. Er hatte ein Trikot der argentinischen Nationalelf als Präsent dabei, auf das er geschrieben hatte: "Mit all meiner Liebe und Bewunderung. Für Lio. Dein Diego." Nun ist dieser Diego nicht etwa ein gewöhnlicher Fan des wohl begabtesten Fußballers weltweit, er ist sein Trainer.

Fußball-WM: Diego Maradona: Diego Maradona nach dem Spiel gegen Mexiko: Dank an eine höhere Macht.

Diego Maradona nach dem Spiel gegen Mexiko: Dank an eine höhere Macht.

(Foto: ap)

Beziehungsweise: ein Trainerwitz, glaubt man der allgemein vorherrschenden Meinung. Ein besseres Maskottchen, ein Hampelmann, der da an der Seitenlinie seine Show abzieht, wie er vor vier Jahren bei der WM in Deutschland seine Show zugedröhnt auf der Tribüne abgezogen hat. Von Taktik hat er ebenso viel Ahnung wie von Disziplin, er ist gutem Essen ebenso wenig abgeneigt wie blonden Frauen und weichen wie harten Drogen. Die vier Siege in vier Spielen hat diese argentinische Elf nicht wegen, sondern trotz Diego Maradona geschafft. Kaum ein Kommentator, der sich nicht despektierlich über Maradona äußert und nicht in einem Nebensatz erwähnt, dass Maradona von Taktik und Trainingslehre keine Ahnung habe. Das positivste Attribut ist "Bauchtrainer".

Nach seiner Ernennung zum Nationaltrainer am 28. Oktober 2008 haben sie in der Heimat zunächst gelacht über diesen Exzentriker, der als Spieler Weltmeister wurde, Uefa-Cup-Sieger, italienischer Meister, spanischer Pokalsieger und argentinischer Meister. Dann haben sie ihn verflucht, weil Gefahr bestand, dass die argentinische Elf die WM in Südafrika verpassen könnte - am 15. September 2009 ernannte der Präsident des Verbandes, Julio Grondona, gar Carlos Bilardo zum Interimstrainer, weil Maradona nach Europa verschwunden war. Offiziell war es eine Diätkur.

Argentinien schaffte die Qualifikation doch noch - und hat nun bei diesem Turnier alle vier Spiele gewonnen. Maradona wird in der Heimat nicht mehr verlacht oder verflucht, sondern gefeiert. Könnte es tatsächlich sein, dass dieser Diego Armando Maradona der ideale Trainer für die argentinische Elf ist? Ja, vielleicht sogar ein richtig guter Trainer für viele nationale Auswahlmannschaften?

Wie ein Familienoberhaupt

Er führt seine Mannschaft wie das Oberhaupt einer italienischen Familie und verteidigt die Seinen wie ein Vater, der seine Kinder vor der bösen Welt da draußen beschützen muss. "Er bekommt den Ball und wird gefoult, er bekommt den Ball und wird getreten", sagte er über Lionel Messi. Zu gerne sagt er Sätze voller Pathos wie: "Wir sind nicht wie alle anderen, wir sind Argentinier!" Und allzu oft betont er, dass er eigentlich nicht an die Seitenlinie gehört, sondern auf das Spielfeld. "Ich würde am liebsten dabei sein, ich will mir ein Leibchen anziehen und spielen", sagte er nach dem Achtelfinale gegen Mexiko.

Fußball-WM: Diego Maradona: Der Spielerversteher: Diego Maradona umarmt Tevez. Der Spieler beschwerte sich nach seiner Auswechslung kurz, um sich sogleich zu entschuldigen.

Der Spielerversteher: Diego Maradona umarmt Tevez. Der Spieler beschwerte sich nach seiner Auswechslung kurz, um sich sogleich zu entschuldigen.

(Foto: ap)

Natürlich spricht Diego Maradona am liebsten über Diego Maradona - selbst dann, wenn er nicht direkt über Diego Maradona spricht. "Alle, die an uns gezweifelt haben, haben sich schwer getäuscht. Wir tragen zum Glück einer ganzen Nation bei", raunte er nach dem Achtelfinale. "Die Journalisten sollten sich bei den Spielern entschuldigen."

Er meint: Sie sollen sich bei Diego Maradona entschuldigen. Er meint auch: Der beste Fußballer aller Zeiten ist Diego Maradona, der gewiefteste Trainer ist Diego Maradona - und würde man ihn fragen, zu wem er da vor den Spielen betet, würde er wohl sagen: zum Gott der Iglesia Maradoniana. Diese WM ist seine Show, seine Plattform, nicht wenige Beobachter berichten, dass Maradona genau weiß, wann er gefilmt wird und seine Mätzchen genau dann beginnt, wenn an den Kameras das rote Licht angeht. Doch nimmt er mit dieser Ich-Bezogenheit - gewollt oder ungewollt - seine Spieler aus dem Rampenlicht, einer wie Messi, der am liebsten seine Ruhe hat, kann sich aufs Kicken konzentrieren, während sein Trainer die Journalisten beschimpft. Und die Journalisten den Trainer verlachen oder verfluchen.

Glaubt man den Aussagen seiner Akteure, dann ist er ein Spielerversteher, dieser Diego Maradona. "Er ist ein Trainer, der ganz nah dran ist bei den Spielern", sagt Lionel Messi. "Es gibt keinen Besseren", sagt etwa Gonzalo Higuain. "Er ist der perfekte Mann für diese Aufgabe." Maradona weiß offenbar, wie ein sensibler und stolzer argentinischen Nationalspieler behandelt werden möchte, nämlich mit Respekt. Deshalb umarmt er jeden Spieler beim Verlassen des Platzes und gibt ihnen ein Küsschen. "Ich tue das, um ihnen meinen Respekt auszudrücken für die Leistung, die sie erbracht haben", sagt Maradona. Jeden Tag soll er Spieler zu Einzelgesprächen in seinem Büro empfangen.

Maradona gesteht seinen Spielern Individualismus zu, er gibt ihnen Freiräume. Bei der deutschen Elf bedeutet dieser Begriff, dass die Spieler nach dem England-Spiel "ein Bier trinken und Pommes Frites essen dürfen" (Joachim Löw) und dann für eineinhalb Tage aus dem Hotel dürfen - woran freilich nichts zu kritisieren ist. In Argentinien bedeutet Freiraum, dass etwa Carlos Tevez in einem Einzelzimmer nächtigen darf, weil er nun mal gerne nackt herumläuft. Oder dass die Spieler auch am Abend vor Spielen Damenbesuch empfangen dürfen und vom Mannschaftsarzt Donato Villani nur geraten bekommen: "Es sollte nicht um zwei Uhr morgens passieren und mit Champagner und einer Havanna." Zu diesem lockeren Umgang sagt Maradona: "Die freilaufenden Hühner sind die glücklichsten."

Diese Dinge sind bekannt über Diego Maradona, sie werden ihm auch nicht zur Last gelegt. Vielmehr lästern die Kommentatoren meist darüber, dass er keine Ahnung habe von taktischer Ausrichtung, dass ihm das Videostudium des nächsten Gegners so zuwider sei wie eine strikte Diät und dass er moderne Trainingslehre ebenso ablehne wie die Fragen aufmümpfiger Journalisten.

Gewagte Thesen sind das, eigentlich sind die Qualitäten Maradonas als Fußballlehrer objektiv noch nicht zu beurteilen. Über die Fähigkeiten seiner Hintermänner ist wenig bekannt. Carlos Bilardo gilt als ausgewiesener Experte, doch taucht er in Südafrika nur selten auf. Die Ko-Trainer Alejandro Mancuso und Hector Enrique gelten als Vertraute Maradonas, er hat einst mit ihnen in der Nationalelf gespielt. Oscar Ruggeri, offiziell nur als Jounalist akkreditiert, gilt als aber als Mann, der im Hintergrund an der Defensive bastelt. Kurzum: Es ist zu wenig bekannt, um ein objektives Fazit der Qualitäten des Trainerstabes zu ziehen.

Objektiv ist allein festzustellen, dass die argentinische Elf nicht wie ein Haufen zusammengewürfelter Einzelkönner daherkommt, sondern wie eine homogene Elf, die ihre Spiele auch dann recht souverän gewann, wenn sie nicht unbedingt den schönsten Fußball zeigt - und würde der Trainer nicht Maradona heißen, würden nicht wenige nun den Menschen loben, dem das gelungen ist.

Die Sache mit Maradona funktioniert, die argentinische Elf steht im Viertelfinale und gilt als Favorit auf den Titel. Ob Maradona nun wirklich nur Galionsfigur - oder Hampelmann - ist und Bilardo, Mancuso, Enrique und Ruggeri die klugen Köpfe dahinter oder ob es einfach nur Zufall ist, dass diese Elf Erfolg hat, ist nicht zu bewerten. Vielleicht hat Maradona gerade deshalb Erfolg, weil er Nationaltrainer ist und nicht bei einem Verein arbeitet. Die italienische Zeitung Il Mattino hat zwar eine Umfrage veröffentlicht, nach der sich 81 Prozent der Bürger Neapels Maradona als Trainer des SSC Neapel wünschen und der Geforderte sagt: "Neapel ist mein Traum und Träume sterben nie."

Das System Maradona hat zunächst einmal bei einer nationalen Auswahl Erfolg. Er muss nicht jeden Tag an der Mannschaft feilen, er muss nicht mit einem Manager über Zugänge verhandeln, er steht nicht alle drei Tage unter Beobachtung. Er muss aus einem Pool überaus talentierter Spieler die seiner Meinung nach besten und am nächsten verwandten auswählen, er muss sie zu einer homogenen Mannschaft formen, sie ein paar Wochen über bei Laune halten und beim nur alle vier Jahre stattfindenden Turnier Erfolg haben. Das ist ihm bisher gelungen - und dafür verdient er Respekt.

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