Fußball-WM der Frauen:Von Aufbruch bis Zehenbruch

Women's World Cup - Group B - Germany v China

Überzeugte bei der WM: Giulia Gwinn.

(Foto: Lucy Nicholson/REUTERS)

Die DFB-Spielerinnen nehmen trotz des frühen Ausscheidens auch Positives mit, die Amerikanerinnen sind wow - und ein Duell endet 7:1. Episoden von der Fußball-WM in Frankreich.

Von Anna Dreher und Tim Brack

Ohne Olympia in die Zukunft

Wahrscheinlich hätte Lena Goeßling mit ihrer Entscheidung gewartet, wenn die WM anders gelaufen wäre. Für die deutsche Mannschaft - und für sie persönlich. So aber gab die 33-Jährige wenige Tage nach dem Aus im Viertelfinale gegen Schweden (1:2) bekannt, was sich schon während des Turniers angedeutet hatte: ihren Rücktritt nach 106 Länderspielen.

Goeßling hatte im Kader von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg am meisten Erfahrung - und kam doch nicht über eine Reservistenrolle hinaus, obwohl es durchaus Routine gebraucht hätte in Momenten der Überforderung für das deutsche Team. Die Olympiasiegerin von 2016 und Europameisterin von 2013 stand bei ihrer dritten WM-Teilnahme kaum auf dem Platz, 80 Minuten gegen Spanien - für mehr reichte es nicht.

Voss-Tecklenburg, 51, sieht ihre Aufgabe beim DFB als langfristiges Projekt. Sie hat auch deshalb in Frankreich auf Spielerinnen der Zukunft gesetzt, zu denen sie schon in der Gegenwart großes Vertrauen hat. Lena Oberdorf etwa durfte - anders als Goeßling - in vier Spielen zeigen, was sie kann. Mit 17 Jahren. Und wenn es nun darum geht, aus dem enttäuschend frühen Aus und der fatalerweise verpassten Qualifikation für Olympia 2020 etwas Positives abzuleiten, dann landet man schnell bei der Integration der Jüngsten.

Bei denjenigen, die wieder für glanzvollere Auftritte des zweimaligen Welt- und achtmaligen Europameisters sorgen sollen - für die es in den vergangenen Jahren fußballerisch nicht gereicht hat. Oberdorf agierte mit erstaunlicher Reife. Vor allem aber Giulia Gwinn, 20, wurde zum jungen deutschen Gesicht der WM. Sie fiel mit taktischer Flexibilität auf. Und mit ihrem Siegtor zum Auftakt gegen China - im, das darf man so sagen, frühen Schicksalsspiel der DFB-Elf bei dieser Tour de France.

Denn wie wäre das Turnier wohl verlaufen, wenn Dzsenifer Marozsán sich nicht bei einem fiesen Foul nach nur zwölf WM-Minuten einen Zeh gebrochen hätte? Wenn sie nicht erst in der zweiten Halbzeit des Viertelfinales wieder (wirkungslos) hätte mitspielen können? Wenn sie mit ihrer Kreativität und Ballsicherheit die Regisseurin gewesen wäre? Diese Fragen haben auch Voss-Tecklenburg beschäftigt. Und vielleicht hat die Trainerin ein bisschen zu oft betont, für wie unersetzlich sie ihre Nummer 10 hält. So wurde womöglich anderen im Team ein wenig von dem genommen, was doch so nötig war: Viel Selbstbewusstsein.

Das fußballerische Potenzial ist da, der kämpferische Wille auch. Nach der vergebenen Olympia-Chance muss nun die Chance zur Entwicklung genutzt werden, wenn Deutschland bald wieder zur Weltspitze gehören soll.

Wow, wie präsent und selbstbewusst ist dieses US-Team!

Schöne Grüße an Mr. Trump

Morgan und Rapinoe

US-Stars: Morgan (li.) und Rapinoe.

(Foto: Francois Mori/dpa)

In ihren Köpfen sind die Nationalspielerinnen der USA schon vor dem Turnierstart diejenigen gewesen, die am 7. Juli im Konfettiregen als neuer Weltmeister die Trophäe in den Himmel strecken werden. Vielleicht kann also nach dem Finale am Sonntag gegen die Niederlande (17 Uhr) gesagt werden: Mensch, gut vorhergesehen!

Was jedenfalls schon jetzt gesagt werden kann: Wow, wie präsent und selbstbewusst ist dieses US-Team! Es war eine Herausforderung für alle Gegner, jemanden besiegen zu wollen, der nicht nur auf überragende Art Fußball spielt, sondern noch dazu überaus überzeugt von sich ist.

Der Reiz einer WM liegt in der Vielfalt ihrer Teilnehmer. Aber ein bisschen wären alle gerne genauso wie das Team USA gewesen: ausgestattet mit einer Mentalität der Unbezwingbarkeit, offenbar ohne Selbstzweifel. "Schon unser Training ist überkompetitiv. Es braucht viel Fokus, um allein in dieser Umgebung zu überleben", sagte US-Trainerin Jill Ellis auf die von staunenden Beobachtern oft gestellte Frage nach dem Erfolgsrezept: "Das ist seit über 20 Jahren so. Sich in dieser Härte durchzusetzen, ist das Geheimnis. Weil du nicht überlebst, wenn du nicht die innere Stärke dafür hast." Mit dieser Stärke gelingt es Starspielerin Megan Rapinoe sogar, sich mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten anzulegen - und im Viertelfinale gegen Frankreich trotzdem die entscheidenden beiden Tore zu schießen.

Fair Play ohne Theatralik

Bei jedem Turnier gibt es diese schönen Szenen, mit denen sich veranschaulichen lässt, wie Fairness im Fußball gelebt werden kann. Nach dem Achtelfinale tröstete die Niederländerin Shanice van de Sanden minutenlang die unterlegene Japanerin Saki Kumagai - es war eine der rührendsten Gesten dieser WM, die auch viel über den generellen Umgang der Spielerinnen untereinander erzählt.

Wie es um das Fair Play bestellt ist, lässt sich aber oft auch anhand unscheinbarer Szenen festmachen: Wenn ein Pfiff ausbleibt, die Gefoulte aber nicht meckert und die (Fehl-)Entscheidung akzeptiert. Wenn leichte Zusammenstöße kein Anlass dazu sind, sich theatralisch auf dem Rasen zu wälzen und etwas Zeit von der Uhr zu nehmen. "Wir stehen einfach für ehrlichen Fußball", erklärte Giulia Gwinn diesen auffälligen Habitus im Frauenfußball. In Frankreich repräsentieren die Fußballerinnen mit ihrer Ritterlichkeit die Werte des Fair Play - in großen und in kleinen Szenen.

"Wollt mehr!", ruft sie den Mädchen und Frauen zu

Frauenfußball-WM - Frankreich - Brasilien

Vorbild für Mädchen: Marta.

(Foto: Francisco Seco/dpa)

Martas emotionaler Appell

Es war eine WM, bei der sich nicht immer alles nur um Siege oder Niederlagen drehte. Das Turnier war auch eine große Bühne, um mit globaler Aufmerksamkeit Zeichen für den Frauenfußball zu setzen, zu inspirieren. Eine, die das besonders gut kann, tat das auch in Frankreich: Brasiliens Kapitänin Marta.

Ihr Team war im Achtelfinale gegen den Gastgeber nach Verlängerung ausgeschieden. Mitten in dieser Enttäuschung hielt Marta eine ergreifende Rede: "Wollt mehr!", rief sie vor der TV-Kamera den Mädchen und Frauen in der Heimat zu: "Es wird bei Brasilien nicht ewig eine Marta, eine Formiga, eine Cristiane geben. Das Überleben des Frauenfußballs hängt von Euch ab!" Und als emotionale Zugabe der Satz: "Weint am Anfang, um am Ende lächeln zu können."

Marta, 33, hat schon viele Kämpfe bestehen müssen, im Sport wie im Leben. Und in einem vom Machismo geprägten Land und Kontinent ist ein großer Kampf noch längst nicht gewonnen: der um Frauenrechte und Gleichberechtigung. Marta forderte die Brasilianerinnen dazu auf, nicht nachzulassen und nicht aufzugeben. Und sie unterstrich ihren Appell zusätzlich, indem sie eine weitere Bestmarke im Fußball setzte. 17 WM-Tore hat Marta nun erzielt - und DFB-Goalgetter Miroslav Klose damit auf Rang zwei verdrängt. "Das war ein Tor für alle Frauen", sagte die sechsmalige Weltfußballerin.

Wer um grundsätzliche Rechte kämpfen muss, kann sich nicht darauf konzentrieren, mit den Weltbesten des Fußballs mitzuhalten. Auch für die Spielerinnen aus Chile und Argentinien, die ihre Verbände verklagt haben, um Chancengleichheit zu erwirken, war die WM früh vorbei. Aber es ging eben um mehr als um Sieg oder Niederlage.

Zäh, aber meistens richtig

Es darf als Zeichen der Gleichberechtigung verstanden werden, dass die Fifa den Video Assistant Referee (VAR) auch bei der Frauen-WM einsetzte. 2018 hatte die umstrittene Technik beim Turnier der Männer manchen Zweifler zum Gläubigen bekehrt. In Frankreich sollten nun auch die Fußballerinnen in den Genuss erhabener Fairness kommen.

France v USA: Quarter Final  - 2019 FIFA Women's World Cup France

Die trauernde Französin Henry.

(Foto: Robert Cianflone/Getty Images)

Dass sich der Videoschiedsrichter aber nicht problemlos per Hauruck-Aktion einführen lässt, verdeutlichten die Vorkommnisse in den Stadien von Valenciennes bis Nizza. In Russland 2018 hatten die Abläufe oft geschmeidig gewirkt wie die Choreografie eines Moskauer Balletts, in Frankreich waren sie zäh wie Trockenbaguette. Wartezeiten von mehreren Minuten quälten regelmäßig die Beteiligten. Die Schiedsrichterinnen, die zuvor im Umgang mit dem VAR geschult worden waren, taten sich unter dem Druck des Turniers schwer, zügig zu entscheiden. Zudem erschwerte die Umsetzung neuer Regeln ihre Arbeit - ein bisschen zu viel für eine WM.

Dem Schiedsrichter-Chef Pierluigi Collina ging es aber weniger um Schnelligkeit als um Treffsicherheit. Und am Ende lag die Videotechnik sehr oft sehr richtig. Abgesehen von den Kamerunerinnen, die gegen England einen Streik anzettelten, akzeptierten alle Spielerinnen die Entscheidungen. Wie ist also das Video-Debüt im Frauenfußball einzuordnen? Es ist wie mit der Gleichberechtigung: work in progress.

Verloren, aber Herzen gewonnen

Gastgeber verlässt Party

Am Ende dieses Turniers, das sie selbst am liebsten bis zum Schluss auf dem Rasen mitgestaltet hätten, dürften sich Frankreichs Nationalspielerinnen zumindest damit trösten, gegen einen Gegner verloren zu haben, der als quasi unüberwindbar galt. Bei einem Turnier, in dem die Mannschaft von Trainerin Corinne Diacre sich vom öffentlichen und internen Druck nicht lähmen und von der außergewöhnlichen Atmosphäre zunächst antreiben ließ. Bis die Runde der letzten Acht das eigentliche Traumfinale vorwegnahm: Frankreich gegen die USA.

Zwei Tore von Megan Rapinoe, eines von Wendie Renard, dann verließ der Gastgeber diese Party viel zu früh. La fête est finie titelte die Pariser Sportzeitung L'Équipe - die Feier ist vorbei, der Traum vom Titel im eigenen Land geplatzt. Damit war auch das Ziel verfehlt, sich als erste Nation bei den Männern und bei den Frauen Weltmeister nennen zu können.

Ein Erfolg war die WM für Les Bleues trotzdem: In ausverkauften Stadien wurden sie gefeiert, Präsident Emmanuel Macron twitterte, das Team habe "definitiv die Herzen der Franzosen gewonnen!" Vielleicht ist das ja über das Turnier hinaus ähnlich wertvoll wie der Titel.

7:1 - Europas Kantersieg

Nach mehr als vier Wochen hat sich nun die so lange gesuchte Paarung gefunden, jene beiden Mannschaften, die sich am Sonntagabend im WM-Finale gegenüber stehen werden: die USA und die Niederlande, der Weltmeister gegen den Europameister - das klingt zumindest schon mal richtig gut. 24 Nationen haben am Turnier teilgenommen. Neun aus Europa, drei aus Südamerika, drei aus Nord-, Mittelamerika und der Karibik, drei aus Afrika, fünf aus Asien - und Australien.

Nur wurde dann bald aus der Welt- eine Europameisterschaft - mit Fremdbeteiligung des Favoriten. Bereits im Viertelfinale waren nur noch zwei Kontinente vertreten: Europa und die USA, gegen die sich Spanien zuvor nicht durchsetzen konnte. Zum ersten Mal bei acht ausgetragenen Weltmeisterschaften hieß es in der Top-8-Runde: 7:1 für Europa.

Abgesehen davon, dass auch Schiedsrichterentscheidungen diese Konstellation beeinflussten, spiegelte sich darin ein klarer Entwicklungsunterschied - weil in Europa und in den USA finanzielle, infrastrukturelle und gesellschaftliche Voraussetzungen gegeben sind, um die andere noch kämpfen müssen. Im von allen geführten Ringen um Aufmerksamkeit hat jedoch zum Beispiel Italien gezeigt, dass selbst ein Viertelfinal-Aus helfen kann: Die Squadra Azzurra sorgte auch so in der Heimat für eine noch nie dagewesene Begeisterung für den Frauenfußball.

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