Vierzehn Jahre ist es her, dass es rund um die deutsche Nationalmannschaft zur Zäsur kam. Der deutsche Fußball lag nach einem peinlichen Vorrunden-Aus bei der EM 2004 in Portugal am Boden, und plötzlich betrat Jürgen Klinsmann die Bühne. Der kündigte an, beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) jeden Stein umdrehen zu wollen, und auch wenn sich, weiß Gott, nicht jedes Umdrehen eines jeden Steins als sinnvoll erwies, so gab es strukturell am Ende vor allem dieses Ergebnis: Die Nationalmannschaft war ein eigener Laden geworden, abgekapselt vom Verband.
Mehr als ein Jahrzehnt lang ist dieser Status von den Nationalelf-Verantwortlichen um Oliver Bierhoff und Joachim Löw forciert und ausgebaut worden, anfangs noch gegen ein wenig Widerstand, später mit quasi freier Hand. Ein immer stärkeres Eigenleben hat diese Nationalmannschaft entwickelt, bis sie irgendwann im Jahr 2015 nicht mehr die Nationalmannschaft war, sondern "Die Mannschaft" - ein frei schwebendes Premium-Produkt, das zwar viel Geld einspielt, aber der Fußballbasis in seiner merkantilen Ausrichtung kaum noch zu vermitteln ist.
Nun ist die DFB-Auswahl wieder in einer Vorrunde gescheitert, und gemäß Verbandspräsident Reinhard Grindel geht es jetzt um tiefgreifende Veränderungen. Damit rückt automatisch wieder die alte Fragen in den Vordergrund, die so ähnlich 2004 schon gestellt wurde: Was bedeutet dies für das Verhältnis zwischen Nationalelf und Verband? Auf dem Weg zu den Antworten lohnt ein Blick auf den generellen Zustand des DFB - unabhängig vom sportlichen Scheitern in Russland. Der Verband ist nämlich kaum noch präsentabel. Der Umgang mit den Erdoğan-Fotos von Mesut Özil und Ilkay Gündogan war auch schon vor dem WM-Start irritierend, im Verlauf des Turniers und danach wurde es noch schlimmer. Das Verhalten - auch der aktuellen Führung - rund um die "Sommermärchen-Affäre" zur WM 2006 wirft weiterhin Fragen auf. Und trotz neu geschaffener Strukturen gibt es im DFB Vorgänge, die Compliance- und Ethikexperten erstaunen. Auch in finanzieller Hinsicht ist die Situation problematisch: Höheren Sponsoreinnahmen stehen Unwägbarkeiten bei den Folgen der WM-Affäre sowie Nachprüfungen der Behörden zum Thema Gemeinnützigkeit gegenüber. Und zudem baut der Verband gerade seine knapp 150 Millionen Euro teure Akademie.
Im übertragenen Sinne spiegelt die Nationalmannschaft also gerade den Zustand des DFB - ein Verband, der bereits taumelt, reist nach Russland, und verliert dort endgültig sein Gleichgewicht.
Die Nationalmannschaft sollte besser kontrolliert werden
Gerade deshalb ist es richtig, das Verhältnis zwischen der Nationalelf und Verband zu hinterfragen. Man muss der aktuellen DFB-Spitze um Präsident Grindel zugute halten, dass sie die Abkapselung des Nationalteams schon vor dem Scheitern in Russland als kritisch einstufte. DFB-Generalsekretär Friedrich Curtius warnte bereits vor einem Jahr vor einer "Verselbständigung". Eine neue Verbandsstruktur und ein neuer Posten für den Nationalelf-Manager Oliver Bierhoff (nun Direktor für den Leistungssport) sollte den Satelliten Nationalelf wieder näher an die Zentrale rücken. Doch diese neue Struktur wurde bislang nicht mit Leben gefüllt. Nichts verdeutlicht das besser als der Fakt, dass Bundestrainer Löw selbst nach dem WM-Aus quasi solo darüber befinden konnte, ob er im Amt bleibt oder nicht - ohne Vorlage einer umfassenden Analyse.
Dabei ist es eigentlich richtig, dass Einheiten wie die Nationalmannschaft weitgehend autonom handeln, ohne dass ihnen ein großer Tanker wie der DFB im Tagesgeschäft permanent dazwischenfunkt. Aber es muss auch eine bessere Kontrolle und disziplinierte Einbettung geben, mit dem Präsidium als einer Art Aufsichtsrat. Und wenn die Vermarktung einen Grad erreicht, in dem es nur noch "Die Mannschaft" gibt und keine Erdung mehr zum Fußballvolk, dann muss der DFB-Chef intervenieren. Ebenso wenn sich wie in der Debatte um die Özil-Fotos ein klarer Interessenskonflikt ergibt, weil der Bundestrainer und der Spieler aus dem gleichen Beraterkonglomerat vertreten werden.
Solche Entscheidungen sind dann aber auch nur in zweiter Linie eine Sache der Struktur. Sondern vor allem eine Frage der konkret handelnden Personen.