Fußball-WM: Brasilien:Gebaut auf Beton

Die Brasilianer erinnern verdächtig an ihre Vorgängerteams, die 1994 und 2002 die Titel vier und fünf holten. Und zur Not hilft ihnen "die heilige Hand Gottes" und sie lächeln die Zweifel einfach weg.

Thomas Hummel, Johannesburg

Luis Fabiano zeigte sein breitestes Lachen. "Klar, es war Hand, vielleicht war es die heilige Hand Gottes", der 29-Jährige konnte kurz gar nicht sprechen, weil er es so witzig fand. "Zuerst war es Hand und dann die Schulter", Fabiano lachte, "aber es war kein absichtliches Handspiel und deshalb legal." Seine Laune wurde immer besser: "Es war eines der schönsten Tore meiner Karriere".

Kurz zuvor war Sven-Göran Eriksson an gleicher Stelle während der Pressekonferenz im Bauch von Soccer City nach dem 2:0 des brasilianischen Stürmers gefragt worden und, welch Wunder, fand die Szene nicht ganz so witzig. "Natürlich war es Handspiel, zweimal sogar, und dieses 2:0 veränderte alles", klagte der Trainer der Elfenbeinküste. Der Schwede meinte: Dieses Tor entschied das Spiel, weil seine Mannschaft danach die so geliebte Ordnung aufgeben und Brasilien Platz für Konter lassen musste.

Nach dem 3:1-Erfolg Brasiliens in Soccer City hob aber nicht nur Eriksson zum Klagelied über Schiedsrichter Stéphane Lannoy aus Frankreich an. Offensichtlich angespornt vom irregulären Treffer Luis Fabianos traten die Ivorer bisweilen gegen jedes brasilianische Bein, das ihnen in in den Blick kam - ohne dafür die regelkonforme Strafe zu erhalten. "Wir sind hier, um ein schönes Spiel zu zeigen. Aber dieses schöne Spiel muss kontrolliert werden. Wenn der Schiedsrichter solche Fouls erlaubt, dann ist das falsch", schimpfte Carlos Dunga.

Am meisten erregte sich der schneidige Trainer Brasiliens über die gelb-rote Karte für seinen Mittelfeldspieler Kaká. Der war in der Schlussphase mehrfach mit ivorischen Gegenspielern aneinandergeraten, kurz vor Schluss ließ er Kader Keita, einen der wildesten Treter, gegen seine Schulter auflaufen und sah dafür die zweite gelbe Karte. Die mit Spannung erwartete Partie endete in einem traurigen Schauspiel: Keita hielt sich das Gesicht, obwohl er mit dem Körper gegen Kaká geprallt war, Kaká mimte den Unschuldsengel, die anderen Spieler bildeten zu fußballdeutsch ein Rudel, schubsten und drohten und draußen keifte Dunga mit gefletschten Zähnen. Vom schönen Spiel blieb da wahrlich nicht viel übrig.

Das schöne Spiel, zu brasilianisch jogo bonito, ist aber ohnehin nicht Dungas Vorliebe. Der frühere defensive Mittelfeldspieler des VfB Stuttgart bevorzugt Sicherheit statt Spektakel, defensive Disziplin statt freigeistigen Offensivfußball. Das schürt den Missmut in der Heimat, viele erwarten bereits sehnsüchtig das Scheitern des kantigen Mannes. Doch den Gegners flößt die von ihm formierte Mannschaft Respekt ein.

Dungas gemeißelte Abwehr

Dabei bricht sie mit den Klischees der Vergangenheit. Das Land definiert sich seit den Tagen von Pelé und Garrincha, Zico und Socrates über die Offensive, im gegnerischen Strafraum soll sich die Kreativität und Gewandtheit der lebenslustigen Gesellschaft ausdrücken. Abwehrspieler oder gar ein Torwart genießen in Brasilien kein hohes Ansehen - dafür aber umso mehr bei Trainer Dunga. Eriksson, bekanntermaßen auch ein Freund des defensiven Strukturfußballs, kam fast ins Schwärmen: "Brasilien kann die WM gewinnen. Sie verteidigen sehr gut und es ist sehr schwierig, sie zu schlagen", sagte er.

Brasilien verfügt diesmal über die vermutlich beste Verteidigung des Turniers. Torwart Julio Cesar, Lucio und Maicon sind tragende Mitglieder von José Mourinhos Betonabwehr bei Inter Mailand. Maicon erhielt von Eriksson ein neues Attribut: Wenn er nach vorne geht, "dann kommt er wie ein Zug". Vor der ohnehin stabilen Viererkette postiert Dunga die zwei defensiven Mittelfeldleute Gilberto Silva und Felpie Melo, die nichts anderes tun, als das Spiel des Gegners in der Feldmitte kaputt zu machen. "Konter kann man gegen die Brasilianer nicht spielen, weil sie immer mit diesen beiden zusätzlich hinten bleiben", erklärte Eriksson.

Aufgebaut auf dieser Betonformation soll vorne ein Tor reichen, um anschließend über den eigenen Konter den Gegner zu übersprinten. Dabei vertraut Dunga in der Offensive Leuten, die zuletzt nicht überzeugten. Kaká hat eine zähe Saison bei Real Madrid hinter sich, spielte auch gegen Nordkorea schwach. Und Luis Fabiano hatte zuletzt fünf Partien lang kein Tor geschossen, was in Brasilien die Kritiker gleich zu ersten Angriffen nutzten. Die dürften nun vorerst beendet sein, weil Luis Fabiano zweimal traf und Kaká mit seinem feinen Pass zum 1:0 plötzlich Form und Selbstvertrauen bekam. Auch das dritte Tor von Elano bereitete er vor.

Durch den Sieg qualifizierte sich Brasilien schon vor dem letzten Gruppenspiel gegen Portugal für das Achtelfinale. Weshalb die Ausfälle von Kaká (Sperre) und Elano (Prellung nach einem üblen Tritt des Ivorers Cheik Tioté) kaum ins Gewicht fallen.

Und so erinnert diese brasilianische Mannschaft verdächtig an die Teams von 1994 und 2002. Mindestens sechs defensive Kämpfer sicherten ein paar Hochbegabte ab. 1994 hießen die Romario und Bebeto, 2002 Ronaldo und Rivaldo. Die Titel vier und fünf basierten vor allem auf wenigen Gegentreffern. Beim Titelgewinn in den USA kommandierte Dunga selbst in der Zentrale die Defensive, vom WM-Sieg in Japan und Südkorea sind noch Lucio und Gilberto Silva dabei. Eriksson warnte deshalb die nächsten Gegner der Brasilianer: "Man muss gegen sie perfekt spielen, sie nutzen den kleinsten Fehler." Und bei Bedarf nehmen sie eben die Hand zu Hilfe und lächeln alle Zweifel einfach beiseite.

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