Fußball-WM: Argentinien:Wie auf einem Dorfplatz

Wenn 15 Minuten vor dem Trainingsende der argentinischen Elf die Weltöffentlichkeit den Platz betreten darf, beginnt die Show des Diego Maradona. Ein Besuch.

Thomas Hummel, Pretoria

Das Training der argentinischen Nationalmannschaft ist beendet auf diesem Sportplatz der Universität Pretoria, auf der Tribüne drängelt sich die Weltöffentlichkeit. Fernsehkameras, Fotografen, Journalisten aus allen möglichen Ländern, von Algerien bis Schweden, von Argentinien bis Deutschland. Das Flutlicht leuchtet bereits, unten packen Betreuer Bälle, Wasserflaschen, Verbandszeug. Spieler nehmen noch einen Schluck. Dazwischen fläzt Diego Maradona mehr als er sitzt in einem Plastikstuhl am Spielfeldrand.

Fußball-WM: Argentinien: Alles im Griff: Diego Maradona im Training der argentinischen Elf.

Alles im Griff: Diego Maradona im Training der argentinischen Elf.

(Foto: ap)

Er spricht mit den Betreuern und Spielern um ihn herum, und doch auch mit der Weltöffentlichkeit. Maradona redet sehr laut, seine tiefe, heisere Stimme dringt verschwommen auf die Tribüne. Wie er da so fläzt und mit den Händen gestikuliert, wirkt Diego Maradona, als säße er mit alten Kumpels auf einem Dorfplatz in Argentinien und schimpft und kalauert und klagt. So laut er nur kann.

Argentiniens Beobachter kennen diese Unterhaltung. Wenn 15 Minuten vor dem Trainingsende die Weltöffentlichkeit den Trainingsplatz in Pretoria betreten darf, beginne Maradona seine Show, sagen sie. Beim Übungsspielchen gibt er den Schiedsrichter, er geht schwerfällig über den Rasen, zieht ein Bein ein wenig nach. Er gestikuliert, weist an, bläst sehr fest in seine Pfeife. Er macht Späße mit seinen Spielern, gibt einen Elfmeter für diese Mannschaft und einen Elfmeter für jene. Die Stimmung ist sehr entspannt.

Kritiker wundern sich

Argentinien hat bei dieser Weltmeisterschaft beeindruckt. In der Vorrunde hat die Mannschaft Nigeria, Südkorea und Griechenland recht locker beherrscht, dann musste sie im Achtelfinale gegen Mexiko zu Beginn eine schwierige Phase überstehen, es half ein Abseitstor, doch am Ende stand wieder ein ungefährderter Sieg. Nun wartet im Viertelfinale Deutschland, wie schon 2006. Doch den Argentiniern ist nicht bange, zu gut hat ihr Team bislang gespielt. Und das alles mit dem Trainer Diego Maradona. Das Land wundert sich selbst ein wenig, wie glatt die Südafrika-Reise ihrer Albiceleste verläuft.

Denn die Argentinier haben ihrem Idol lange nicht zugetraut, eine Gruppe hochtalentierter Fußballer bei einer WM zu betreuen. Bei der Ernennung Maradonas schlugen viele die Hände über den Kopf zusammen, nach seinen vielen Drogen-Eskapaden und Krankheitsgeschichten galt der 49-Jährige als sozial schwer vermittelbar. Die meisten Nationalspieler sollen ebenfalls wenig begeistert gewesen sein, noch in der Qualifikation zogen sie nur widerwillig mit. Und verpassten mit schlechten Leistungen und Ergebnissen fast die Reise nach Südafrika.

Doch hier im Quartier in Pretoria hat sich vieles gedreht. Kritiker wundern sich, dass die Mannschaft plötzlich ordentlich trainiert, die Spieler freuen sich über den großen Freiraum, der ihnen vom Trainerstab gewährt wird. Und die Vorstellungen auf dem Platz haben nichts mehr zu tun mit dem teilweise lustlosen Gekicke in der Qualifikation. Plötzlich steht da ein Team im Stadion, dass zu den ernsthaften Favoriten auf den Titel gehört.

Wandlung zur guten Laune

Bevor das Training zu Ende ist, muss sich wie immer die Verlierermannschaft des Trainigsspielchens ins Tor stellen, die Siegermannschaft legt sich gemeinsam die Bälle an den Strafraum und ballert gleichzeitig mit voller Wucht auf die Besiegten. Diego Maradona hat sich immer zu den Verlierern ins Tor gestellt. Danach dringt verschwommen seine heisere Stimme auf die Tribüne, er hält sich den Kopf und will offensichtlich einen Schmerz weggreiben. Ein Ball hat ihn getroffen. Er holt sich den vermeintlichen Schützen, einen Betreuer, und deutet einige Hiebe in seinen Magen an. Ein Schaukampf, wie es Teenager gerne tun.

Argentina's coach Maradona catches the ball during a training soccer session in Pretoria

Wenn die Kameras eingeschaltet sind, dann beginnt die Show des Diego Maradona. Er mischt beim Training mit - und lässt sich nach dem Spielchen von den Siegern mit Fußbällen beschießen.

(Foto: rtr)

Selbst regelmäßige Beobachter können sich die Wandlung hin zur guten Stimmung und guten Leistung nicht ganz erklären. Die Aura Maradonas als Fußballgott des Landes mag den aktuelles Stars doch ein wenig Respekt einflößen. Einige Spieler haben ihre Eitelkeiten offenbar dem Ziel WM-Titel untergordnet. Viel wird auch gesprochen über die Hintermänner Maradonas, doch Genaues weiß kaum einer. Da sind Maradonas Ko-Trainer Alejandro Mancuso und Hector Enrique. Mancuso war Anfang der neunziger Jahre Nationalspieler und gilt als ein sehr guter Freund Maradonas. Enrique hielt Maradona bei der WM 1986 im defensiven Mittelfeld den Rücken frei. Er war es, der ihm vor dem Jahrhundert-Solo gegen England den Ball zuspielte. In der eigenen Hälfte zwar nur, ein einfacher Pass über wenige Meter. Enrique sagte dennoch einmal, dass er der Beginn für Maradonas Werke sei. Er meinte das halb im Scherz, aber eben auch ein bisschen ernsthaft.

Enrique und Mancuso regeln im Hintergrund viele Dinge, wenngleich sie auf dem Trainingsplatz kaum in Erscheinung treten. Da ist Diego der Chef, zumindest wenn die Weltöffentlichkeit ihre Kameras draufhält. Als weiterer Schattenmann gilt Oscar Ruggeri. Der darf eigentlich den Trainingsplatz gar nicht betreten, denn offiziell gehört der 48-Jährige nicht der argentinischen Delegation an. Dennoch stand er zuletzt neben Maradona, mit einer Presse-Akkreditierung, und wenn Diego zum Spaßkick einlädt auf den Trainingsplatz, ist Ruggeri auch immer dabei.

Wo ist Carlos Bilardo?

Maradona wollte den Abwehrchef der Weltmeister von 1986 unbedingt in seinem Trainerteam haben. Doch der Verbandschef Grondona verhinderte Ruggeri, weil der in dieser Phase mit seinem Klub San Lorenzo de Almagro wegen ausstehenden Gehalts einen Streit ausfocht. Das sah Grondona gar nicht gerne und legte sein Veto sein. Dennoch ist Ruggeri jetzt in Südafrika und soll sich im Hintergrund vor allem um Argentiniens Defensive kümmern.

Bleibt noch Carlos Bilardo. Der Trainer von 1986 ist von Grondona gleichzeitig mit Maradona als Koordinator der Nationalmannschaft eingestellt worden. So lautet zumindest sein Titel, eigentlich sollte er wohl auf Maradona aufpassen und zur Not einspringen, falls er es doch nicht schaffen sollte. Die beiden verbindet eine eheähnliche Freundschaft: manchmal mögen sie sich, manchmal überhaupt nicht. In Südafrika aber ist der 71-Jährige kaum zu sehen, selbst die argentinischen Beobachter wissen nicht so genau, was Bilardo treibt. Vielleicht läuft es einfach so gut, dass er nicht mehr gebraucht wird.

Als sich Diego Maradona aus dem Plastikstuhl herausschält, wirft er zwei Betreuern auf der Ersatzbank noch ein paar Worte zu. Er lehnt dabei seinen Oberkörper ein wenig nach vorne und schwingt einen Arm durch die Luft. Dann geht er über die Tartanbahn, der Weltöffentlichkeit entgegen, die oben auf der Tribüne steht und um ein paar Worte bittet. Maradona tut so, als ginge ihn das gar nichts an, dann spricht er doch wie nebenbei ein paar Sätze mit seiner rauen, tiefen Stimme. Kaum einer versteht etwas, es sind auch nur kleine Witze und ein paar Sprüche. Dann verschwindet er im Kabinengang. Die Show ist für heute beendet.

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