Argentinien steht im WM-Finale:Plötzlich gegen zwei Messis

Argentinien steht im WM-Finale: Argentiniens Protagonisten: Julián Álvarez (Mitte) jubelt mit Lionel Messi (links).

Argentiniens Protagonisten: Julián Álvarez (Mitte) jubelt mit Lionel Messi (links).

(Foto: Maximiliano Luna/dpa)

Lionel Messi bekommt beim 3:0 im Halbfinale gegen Kroatien einen Partner, der Tore erzielt wie sonst nur er. Nun träumt ganz Argentinien vom WM-Titel - für Luka Modric endet dagegen wohl mehr als eine WM.

Von Javier Cáceres, Lusail

Ein junger Mittelstürmer namens Julián Álvarez, der noch nicht alle äußeren Merkmale der Pubertät überwunden hat, hat am Dienstagabend Argentiniens Weg ins WM-Finale geebnet. An einem unwirklichen Ort namens Lusail, wo man Argentiniens WM-Traum fast schon als geplatzt ansehen musste, weil die von Lionel Messi, 35, angeführte Mannschaft eben hier zum WM-Auftakt gegen Saudi-Arabien verlor (1:2), trat Álvarez, 22, die Tür zum Endspiel mit kilometerweitem Anlauf machtvoll auf.

3:0 siegten die Argentinier im Halbfinale gegen Kroatien, ein Tor erzielte Lionel Messi (per Elfmeter, 34. Minute), zweimal traf Álvarez (39., 69.). Am Sonntag wartet auf die Argentinier nun der Sieger aus der Begegnung zwischen Frankreich und Marokko, die am Mittwoch in al-Chaur stattfindet.

Messis Traum, endlich den WM-Titel für sein Land zu holen, ist lebendiger denn je. "Es gehen mir so viele Dinge durch den Kopf, ich weiß nicht, wie ich meine Gefühle beschreiben soll", sagte Messi nach dem Spiel. Für Luka Modric, 37, endet dagegen wohl mehr als eine WM.

Messi verwandelt den Elfmeter, mit einem strammen Linksschuss unter die Querlatte

Mit dem Anpfiff durch den überaus erratischen italienischen Schiedsrichter Daniele Orsato hatte Messi Geschichte geschrieben. Er egalisierte den Rekord des früheren deutschen Nationalspielers Lothar Matthäus, der bis dahin der einzige Fußballer mit 25 WM-Spielen gewesen war. Doch nachdem die Partie den schleichenden Rhythmus der Angst vor den Fehlern verlassen hatte, schlug nicht die Stunde Messis - sondern erst einmal die von Julián Álvarez.

Hier und da hatten die Kroaten am Tor der Argentinier gekratzt - zum Beispiel durch einen Lupfer des früheren Bundesligaprofis Ivan Perisic (31.), der auf dem Netz landete. Kurz nachdem es erstmals den Anschein gehabt hatte, dass die Lethargie Messis vorbei war, weil Argentiniens Nummer 10 erstmals ein paar Tempowechsel vornahm und die Kroaten verwirrte, schob sich Julián Álvarez ins Bild und verwandelte den kroatischen Traum vom zweiten WM-Finale nacheinander in eine Schimäre. Und das, obwohl er nur Aushilfsstürmer bei Manchester City ist, denn da ist ja auch ein gewisser Erling Haaland beschäftigt.

Ausgerechnet die als taktisch so ausgebufft und defensiv so hart geltenden Kroaten fingen sich zwei Konter ein. Enzo Fernández, der wie Álvarez der Akademie von River Plate entsprungen ist und nun bei Benfica Lissabon spielt, schickte Álvarez auf eine lange Reise gen Strafraum, Kroatiens Innenverteidiger Lovren schlug am Ball vorbei, und als Álvarez Aug in Aug mit dem zuletzt so gefeierten Torwart Livakovic stand, lupfte er den Ball vorbei. Livakovic ließ Álvarez auflaufen, der Argentinier stürzte, und Orsato zeigte aus nachvollziehbaren Gründen auf den Punkt. Es protestierte an der Außenlinie Mario Mandzukic, Trainerassistent der Kroaten, und sah dafür Rot.

Aber: Den Strafstoß verwandelte Messi, mit einem strammen Linksschuss unter die Querlatte. Es war sein elftes WM-Tor insgesamt, womit er einen weiteren Rekord einsackte. Er ist nun vor Gabriel Batistuta, alias "Batigol", Argentiniens Rekord-WM-Torschütze. Aber die Show riss kurzzeitig Álvarez an sich - wie ein Briefträger des Tores klingelte er ein zweites Mal bei den Kroaten. Und traf diesmal höchstpersönlich.

Messi schlägt Haken, bis Gegenspieler Gvardiol durch die Schlitze seiner Gesichtsmaske die Orientierung verliert

Er erhielt den Ball am Mittelkreis. Aber als er noch in der eigenen Hälfte stand, sprich: sechzig Meter vom gegnerischen Tor entfernt. Álvarez trieb den Ball vor sich her, und da er offenkundig niemanden fand, auf den er sich stützen könnte, lief er einfach weiter. Je länger sein Lauf dauerte, desto stärker schien er sich an seinen Kameraden Haaland zu erinnern. Keine Kraft der Natur schien seinen Lauf mit dem Ball am Fuß aufhalten zu können, zwei Abpraller landeten auf seinem Körper, und er ließ nicht ab, bis der Ball zum 2:0 im Tor lag (39.). Kurz vor der Pause verhinderte Livakovic noch das 3:0, diesmal bei einem Kopfball von Alexis Mac Allister. Doch das verhinderte nicht, dass es noch fiel. Nach der Pause. Und nach einem Zeichentrickduell zwischen Lionel Messi und Josko Gvardiol, oder: zwischen der A.-Tom-Ameise und einem Maskenmann.

Es siegte: Messi. Einen Haken hier, einen Haken dort schlug Messi, mal mit links und mal mit rechts, bis Gvardiol durch die Schlitze seiner einschüchternden schwarzen Gesichtsmaske die Orientierung ziemlich verlor. Irgendwann hatte sich Messi bis zur Grundlinie durchgewuselt, so dass er auf Álvarez zurücklegen konnte. Álvarez schob ein. Doch alle wussten, dass dies als das Tor Messis in Erinnerung bleiben wird. In einem Spiel, das mit ebendiesem 3:0 entschieden war. Und doch noch Platz hatte für den Beginn einer unabwendbaren Nostalgie.

Denn: In der 82. Minute wurde der Kapitän der Kroaten, der 37-jährige Luka Modric, ausgewechselt. Er ging in dem Wissen, dass sein Trainer mit dem Wechsel zweierlei signalisieren wollte: dass er gewillt war, die weiße Fahne zu hissen, dass Argentinien WM-Finalist war. Und dass der Moment gekommen war, sich von den Plätzen zu erheben. Für Luka Modric, den Kapitän der Kroaten und vormaligen Gewinner des "Ballon d'Or", des Preises für den besten Fußballer der Welt von 2018. Gegen Argentinien hatte er debütiert, im Jahr 2006, und wer weiß, ob er am Dienstag sein letztes Spiel für Kroatien spielte. Denn am Samstag steht für den WM-Zweiten von 2018 bloß noch das undankbare Spiel um Rang drei an. Die Zeichen jedenfalls, sie sahen nach Abschied aus. Denn Modric, ein Gigant der Geschichte des Fußballs seines Landes und Europas, er ging unter Tränen.

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