Fußball-WM 2018:Mehr WM-Begeisterung, bitte!

Fußball-WM 2018: Ein Mädchen lässt sich vor einem Aufsteller für die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Moskau ablichten. (Symbolbild)

Ein Mädchen lässt sich vor einem Aufsteller für die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Moskau ablichten. (Symbolbild)

(Foto: AP)
  • Im Kreml werden an diesem Freitag die Gruppen für die Weltmeisterschaft 2018 ausgelost.
  • Russland will, dass die WM-Begeisterung startet - aber aktuell dominieren andere Themen die Debatte.
  • Der Bürgermeister von Kaliningrad rät: "Seien Sie gastfreundlich und schlagen Sie bitte niemanden!"

Von Julian Hans, Moskau

Bei aller Kritik, die die Fifa für die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 an Russland zu Recht hat einstecken müssen - eines muss man ihr lassen: Wenn an diesem Freitagabend ab 16 Uhr deutscher Zeit Millionen Fans rund um den Globus dabei zusehen, wie im Staatlichen Kremlpalast die WM-Gruppen ausgelost werden, wird das wahrscheinlich die transparenteste Entscheidung sein, die jemals im Kreml getroffen wurde.

Aber die Adresse sollte nicht täuschen. In der eigenen kleinen Stadt, die der Kreml in Wahrheit ist, sind die Bereiche klar abgesteckt: die Kirchen mit ihren goldenen Zwiebeltürmen für die Religion, der Große Kremlpalast für die weltliche Macht - und besagter Staatlicher Kremlpalast für Musik, Galas und Zerstreuung. Da ist der Fußball passend eingeordnet, auch wenn seine Fans ihn bisweilen in der Nähe der Religion verordnen und seine Funktionäre traditionell und oft im Eigeninteresse die Nähe zur weltlichen Macht pflegen.

"Seien Sie gastfreundlich und schlagen Sie bitte niemanden!", rät Kaliningrads Bürgermeister

Bei fünf Grad Frost in der Hauptstadt und einer dünnen Schneedecke versucht Russland sich langsam warmzulaufen für ein Fußballfest, das erst im Sommer stattfinden wird, wenn es in Sankt Petersburg nachts nicht dunkel wird und tagsüber in Sotschi bis zu 40 Grad heiß. Vor den Kreml-Mauern, auf dem Roten Platz, hat gerade die Eisbahn eröffnet, dick gepolsterte Kinder laufen dort Schlittschuh. Eishockey ist der wahre Nationalsport der Russen, bei den Spielen sitzt die ganze Familie auf den Rängen und friert. Aber beim Fußball? Gewalt und leere Stadien sind zwei Probleme der russischen Profiliga, die sich gegenseitig bedingen: Wer nimmt schon seine Kinder mit zum Spiel, wenn dort die Hooligans den Ton angeben? Und solange die Familien nicht kommen, geben die Hooligans den Ton an.

Die WM könnte das ändern, indem sie das ganze Volk mit Fußball-Begeisterung ansteckt, das ist ein Versprechen des Weltverbands Fifa. Aber ob vier Wochen reichen für die Kehrtwende? Und ob die zehn Milliarden Euro wirklich gut angelegt sind, die nach offiziellen Angaben für den Stadienbau ausgegeben wurden?

In der Exklave Kaliningrad etwa, dem westlichsten Austragungsort des Turniers, besuchten zuletzt im Schnitt etwa 5100 Zuschauer die Spiele des heimischen Vereins "Baltika". Nun hat Kaliningrad ein Stadion nach Fifa-Standards mit 35 000 Plätzen bekommen. Während des Turniers wird von den Bürgern aber vor allem eines erwartet: Sie sollen nicht stören. So hat es zumindest der Bürgermeister des ehemaligen Königsberg kürzlich formuliert. Alexander Jaroschuk rief die 400 000 Einwohner in einem Radio-Interview dazu auf, ihre Stadt schön sauber zu halten: "Und am besten fahren sie raus in die Natur und machen ein paar Tage Urlaub". Wer der englischen Sprache mächtig sei, solle den Touristen helfen. An alle anderen ging der Appell: "Seien Sie gastfreundlich und schlagen Sie bitte niemanden!"

In den vergangenen Wochen hat das russische Fernsehen den WM-Pokal auf seiner Tour durch das Land begleitet. Auf zentralen Plätzen ihrer Städte durften sich die Bürger neben der Trophäe fotografieren, das nennt man wohl Demokratisierung des Fußballs. Am Freitag ist dann Miroslav Klose an der Reihe, der WM-Rekord-Torjäger aus Deutschland wird die sechs Kilo schwere Statue bei der Auslosung in den Saal tragen. "Es ist eine Ehre für mich, auf eine Art noch immer Teil der WM zu sein, auch nach meinem Rücktritt", sagte der Weltmeister. Es sei etwas Besonderes, "Russland und der Welt diese Trophäe zu präsentieren, für die wir 2014 in Brasilien so hart gekämpft haben".

Das Gebäude, in dem die Show stattfindet, ist das jüngste auf dem Kreml-Gelände, ein nüchterner Kasten aus Glas und weißem Marmor, den Nikita Chruschtschow 1961 für die Parteitage der KPdSU errichten ließ. Platz ist für 6000 Besucher, Eric Clapton und Elton John haben hier exklusive Konzerte gegeben. Für die Fifa wird Gary Lineker durch den Abend führen, der bestbezahlte Moderator der BBC und im früheren Leben Torschützenkönig der WM 1986 in Mexiko. 1990 hat er nach der Halbfinal-Niederlage der Engländer in Italien den Spruch geprägt von den 22 Männern, den 90 Minuten und den Deutschen, die am Ende immer gewinnen.

Gary Lineker und Maria Komandnaja führen durch die Show

Vielleicht ein gutes Omen für das Team von Joachim Löw. Für die hängt vom Ausgang der Auslosung nicht nur ab, auf welche Gegner sie in der Vorrunde treffen, sondern auch, wo sie ihr Mannschaftsquartier aufschlagen werden. Immerhin sind die WM-Spielorte in elf Städten über 4000 Kilometer und vier Zeitzonen verteilt. Am liebsten wäre dem Bundestrainer der Standort Sotschi, hat Oliver Bierhof schon verraten. Sonne, Meer und Wärme. Wenn die zugelosten Spielorte eine andere Wahl nahelegen, wird es Ramenskoje, 45 Kilometer außerhalb von Moskau. Im Sommer ist es dort ja auch warm, wenn auch keine Palmen wachsen wie am Schwarzen Meer.

Gary Lineker führt gemeinsam mit der russischen Sportjournalistin Maria Komandnaja durch die einstündige Show, was angeblich die Fußballfans in Iran beunruhigt. Sie sollen sich laut Berichten iranischer Medien mit der Bitte an die junge Frau gewandt haben, sich nicht zu freizügig zu kleiden, weil das iranische Staatsfernsehen sonst die Übertragung immer unterbreche, wenn sie im Bild ist. Was an der Sorge dran ist, ist schwer zu überprüfen, jedenfalls hat es der Zeremonie zu zusätzlicher Aufmerksamkeit verholfen.

Vier Lostöpfe

Die acht Vorrunden-Gruppen für die Fußball-WM 2018 in Russland (14. Juni bis 15. Juli) werden aus vier Töpfen zusammengelost. Jede Gruppe besteht aus je einer Mannschaft pro Topf. Ausschlaggebend für die Einteilung der Töpfe war die Fifa-Weltrangliste vom 16. Oktober. Ausgeschlossen ist, dass in einer Gruppe mehr als zwei Mannschaften eines Kontinentalverbands aufeinandertreffen. Deutschland kann also nur auf einen Vorrunden-Gegner aus Europa treffen.

Topf 1

Deutschland, Russland, Brasilien, Belgien, Portugal, Frankreich, Argentinien, Polen.

Topf 2

England, Spanien, Schweiz, Kolumbien, Kroatien, Peru, Mexiko, Uruguay.

Topf 3

Dänemark, Island, Schweden, Costa Rica, Iran, Senegal, Tunesien, Ägypten.

Topf 4

Serbien, Australien, Japan, Saudi-Arabien, Südkorea, Nigeria, Marokko, Panama.

Zeitplan WM 2018

14. bis 28. Juni Gruppenphase

30. Juni bis 3. Juli Achtelfinale

6./7. Juli Viertelfinale

10./11. Juli Halbfinale

14. Juli Spiel um Platz 3

15. Juli Finale

Bei der Fifa dürfte man derzeit für jeden Aufreger dankbar sein, der nicht mit Doping zu tun hat. Der ehemalige Leiter des Moskauer Anti-Doping-Labors hat von den USA aus, wohin er als Kronzeuge geflohen ist, gerade seine Vorwürfe gegen russische Nationalspieler präzisiert. Der Weltverband druckst herum, verharmlost und verspricht eher vage, die Vorwürfe zu prüfen. Dass irgendwelche Konsequenzen gegen den WM-Gastgeber zu erwarten wären, glaubt niemand.

Die Russen werden es so schon schwer genug haben. Derzeit führt die Fifa sie in ihrer Rangliste auf dem letzten Platz aller WM-Teilnehmer. Fairerweise sollte man dabei aber nicht vergessen, dass die Mannschaft als einzige keine Qualifikationsspiele absolvieren musste, also auch keine Punkte sammeln konnte. Die Mannschaft von Trainer Stanislaw Tschertschessow hatte aus diesem Grund - bis auf Freundschaftsspiele gegen Spanien und Argentinien - über lange Zeit fast keinen Kontakt mit echten Spitzenteams.

Bei den drei WM-Auftritten seit dem Zerfall des kommunistischen Imperiums, 1994, 2002 und 2014, ist Russland jeweils in der Vorrunde ausgeschieden.

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